WirtschaftsWoche: Frau Homölle, mehrere amerikanische Regionalbanken sind pleite. In Europa ist mit der Credit Suisse (CS) eine systemrelevante Großbank binnen Tagen umgekippt. Hätten Sie das nach der Finanzkrise 2008 für möglich gehalten?
Susanne Homölle: Ja. Banken sind wirtschaftlich handelnde Unternehmen. Und Unternehmen können Fehlentscheidungen treffen und in Schwierigkeiten geraten. Dass wir eine Bankenkrise mit ganz speziellen Ursachen erlebt haben, führt nicht dazu, dass wir nicht andere Bankenkrisen mit anderen Ursachen erleben werden oder eben erlebt haben.
Die Krise begann in den USA mit den Turbulenzen rund um die Silicon Valley Bank (SVB). Was war das Problem?
Bei den Banken, die in den USA in der Krise sind, handelt es sich um sehr spezielle Banken, die deutlich weniger reguliert werden als die großen internationalen Banken. Und sie haben sehr spezielle Geschäftsmodelle. Die SVB hat Gelder, die Start-ups von Investoren bekommen haben, als Einlagen eingesammelt und langfristig und eigentlich sehr sicher angelegt: in Staatsanleihen. Die sind aber nur vermeintlich sicher. Denn Staatsanleihen sind zwar relativ ausfallsicher, aber nicht sicher vor Zinsrisiken. Weil die Zinsen gestiegen sind, ist der Wert der Anleihen gesunken.
So weit, so gut.
Das war zunächst auch kein Problem. Solange ich die Anleihen bis zum Ende halten will, bekomme ich 100 Prozent zurück. Doch durch den Zinsanstieg hatten die Start-ups Probleme, anderweitig Kapital zu bekommen.
Zur Person
Susanne Homölle ist Professorin für Bank- und Finanzwirtschaft an der Universität Rostock und Mitglied im Aufsichtsrat der Volkswagen Bank.
Also mussten sie an ihre Guthaben ran.
Genau. Sie mussten Einlagen abziehen, sodass die Bank gezwungen war, diese Staatsanleihen in ihren Büchern, die im Wert gefallen waren, zu verkaufen und die bis dato reinen Buchverluste zu realisieren. Wenn ich da nicht mehr hinreichend viel Eigenkapital habe, kann ich diese Verluste nicht mehr tragen.
Nach dem Fall der SVB traf es mit der CS eine systemrelevante Großbank, die solche Probleme gar nicht hatte. Gab es dennoch einen Zusammenhang?
Einen Zusammenhang gab es vielleicht dadurch, dass es wegen der SVB Unsicherheit im Markt gab und er sensibler reagierte auf negative Nachrichten. Aber die CS ist ein anderer Fall. Hier haben wir eine Bank, die schon jahrelanges Missmanagement betrieben hat. Es gab Fehler im Risikomanagement, Compliance-Fehler und letztlich auch strategische Fehler. Man hat wohl sehr lange am Investmentbanking festgehalten, wo man sehr riskante Geschäfte mit teils hohen Verlusten gemacht hat.
UBS – das ist der neue Bankenriese aus der Schweiz
Die UBS ist selbst ein Fusionsprodukt. 1998 schlossen sich der Schweizerische Bankverein (SBV) und die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) zur UBS zusammen. Die Wurzeln des Instituts reichen bis in das Jahr 1862 zurück. Seit damals wurden mehr als 370 Privatbanken, Sparkassen, Vermögensverwalter, Broker und Geschäftsbanken integriert.
In der Finanzkrise 2008 musste das Institut von der Schweizerischen Nationalbank und der Regierung des Landes gerettet werden. Danach dampfte sie das riskante Investmentbanking ein und richtete sich vor allem auf das Geschäft mit Millionären und Milliardären aus. 2021 verlor die Bank im Zuge des Archegos-Zusammenbruchs aber nochmals hunderte Millionen Dollar. Negativ-Schlagzeilen machte die Bank auch mit Rechtsfällen wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung wie etwa in Frankreich und den USA.
Die UBS gehört zu den weltweit größten Vermögensverwaltern für reiche Privatpersonen. Zusammen mit Credit Suisse wird sie mit Anlagevermögen von 3,4 Billionen Dollar hinter der amerikanischen Morgan Stanley zur globalen Nummer zwei in dem Geschäft. Daneben betreibt sie wie die Credit Suisse im Heimmarkt ein großes Privat- und Firmenkundengeschäft. Zusammen werden sie vor Raiffeisen die klare Nummer eins mit Kundeneinlagen von 333 Milliarden Franken und einem Kreditvolumen von 307 Milliarden Franken. Im Asset Management für Profikunden wie Pensionskassen steigt die fusionierte Bank mit Anlagevermögen von 1,5 Billionen Dollar zu den führenden Häusern Europas auf. Das vierte Geschäftsfeld ist das Investmentbanking mit Handel und der Beratung von Firmen etwa bei Unternehmenszusammenschlüssen. Das Handelsgeschäft der Credit Suisse, das dem Institut Milliardenverluste einbrockte, wird abgewickelt.
Dank der Größenvorteile dürfte die UBS die Kosten senken und das Angebot ausbauen können. Im Wachstumsmarkt Asien schließen sich die Nummer eins UBS und die Nummer zwei im Geschäft mit Reichen und Superreichen zusammen. Vor allem in Südostasien verstärkt sich die UBS dank des Zukaufs. Im zweiten Wachstumsmarkt USA nimmt die Schlagkraft der UBS im Geschäft mit Ultrareichen zu.
Ab 2027 dürfte sich der Deal positiv auf den Gewinn je Aktie auswirken. 2022 fuhr die UBS einen Gewinn von 7,6 Milliarden Dollar ein und schaffte damit das beste Ergebnis seit 16 Jahren. Credit Suisse erlitt dagegen einen Verlust von 7,3 Milliarden Franken.
Zusammen kommen UBS und Credit Suisse gegenwärtig auf rund 120.000 Mitarbeiter. Einem Insider zufolge dürften aber mindestens 10.000 Jobs abgebaut werden, vor allem bei der Credit Suisse.
Die kombinierte Bilanzsumme von 1,7 Billionen Dollar ist laut Analysten von Citi mehr als das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz. Dies läuft den Interessen der Schweiz eigentlich zuwider, denn eine Rettung dieses Giganten könnte die Kräfte des Landes übersteigen. Bereits heute gelten Credit Suisse und UBS als zwei der weltweit 30 Banken, deren Ausfall das ganze Finanzsystem in Mitleidenschaft ziehen könnten.
„Aus der Komplexität der Transaktion ergeben sich diverse Unwägbarkeiten“, erklärte ZKB-Analyst Michael Klien. Dazu gehörten Umsetzungsrisiken und Kulturkonflikte. Kunden, die Konten bei beiden Banken haben und ihre Risiken streuen wollten, könnten zudem einen Teil ihres Geldes abziehen.
Dazu könnten Rechtsstreitigkeiten kommen. „Dieser Deal wird zwangsläufig juristischen und politischen Widerstand hervorrufen“, erklärte Octavio Marenzi, Chef der Finanzberatung Opimas. Die Schweizer Regierung habe von Notstandsbefugnissen Gebrauch gemacht, um diese Fusion durchzusetzen. „Eine rechtliche Anfechtung durch die Aktionäre der Credit Suisse, die ihr Eigentum als widerrechtlich beschlagnahmt sehen, ist garantiert.“
Am Ruder bleiben die bisherigen UBS-Steuermänner, Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher und CEO Ralph Hamers. Kelleher dementierte in der Vergangenheit Spekulationen, dass die beiden Konflikte haben. Zudem warfen Medien zuletzt die Frage auf, ob nicht der krisengestählte frühere Morgan-Stanley-Finanzchef Kelleher besser für den CEO-Posten geeignet sein könnte als der Retailbanker und Digitalisierungsexperte Hamers.
(Stand: 20. März 2023)
Notenbanken und Regierungen haben schnell reagiert: Die CS wurde mit der UBS zwangsfusioniert, bei den US-Banken garantierte die Regierung die Einlagen. Waren diese Reaktionen richtig?
Was wirklich wichtig war und was man auch aus der Finanzkrise 2008 gelernt hat, ist: Dass es wichtig ist, schnell einzugreifen. Das hat man getan. Dass es notwendig ist, sieht man jetzt auch in den USA. Die First Republic Bank ist die nächste Regionalbank, die auf der Kippe steht. Da setzt man wirklich alles daran, das Vertrauen wiederherzustellen: Indem man etwa die Wetten gegen diese Bank begrenzt, um den Einlagenabzug zu verhindern. Das kann letztlich nur die Politik mit ihrer Macht und Kraft.
Die CS/UBS-Fusion hat aber das Problem „too big to fail“ noch vergrößert: Aus zwei großen wird eine sehr große Bank.
Das sehe ich tatsächlich kritisch. Dahinter stehen, glaube ich, zwei Probleme: Wir haben in der Schweiz eine nationale Bankenaufsicht. Die Schweiz hat ein sehr großes Interesse daran, ihre Banken zu retten. Also gehe ich davon aus, dass sie in Zukunft alles tun wird, um die UBS immer zu sichern. Die UBS ist quasi eine staatliche Bank – im Sinne einer staatlichen Garantie dahinter. Das Zweite, was ich erschreckend finde, ist: Es gibt eigentlich für alle großen Banken Sanierungs- und Entwicklungspläne. Auch die Schweizer Bankenaufsicht hat so eine Strategie. Ich frage mich: Warum wurde die nicht umgesetzt? Das ist eine Frage, die jetzt noch deutlich mehr diskutiert werden muss.
Ist es überhaupt möglich, Krisen, wie wir sie zuletzt erlebt haben, zu verhindern?
Nein. Weil wir nicht alles vorhersehen können. Man kann nicht alles ex ante, also im Vorhinein, regulieren. Die Regulierung ist in den letzten Jahren extrem angewachsen. Man hat viele sinnvolle Maßnahmen ergriffen. Aber Banken sind wirtschaftlich handelnde Unternehmen, die machen Fehler. Auch die Regulierer machen Fehler. Daher glaube ich, dass es immer wieder dazu kommen kann, dass eine Bank in Schieflage gerät.
Dieses Interview ist eine Zusammenfassung des Gesprächs mit Susanne Homölle für den BörsenWoche-Podcast. Die gesamte Episode können Sie hier anhören.