Für meine Recherche zu Anbietern von Online-Daytrading-Seminaren habe ich kürzlich ein eindrückliches Telefonat geführt. Ein Mann hatte 12.500 Euro für ein Coaching bei einem Krypto-Guru ausgegeben. Dessen Versprechen: Mit Krypto-Trading ohne Eigenkapital zu „konstant fünfstelligen Gewinnen“. Oha.
Der Mann am Telefon wollte eigentlich nur ein kleines Erbe sicher anlegen, landete aber schließlich bei einem Krypto-Trading-Guru. Warum? Weil der Kunde dem etablierten Finanzsystem misstraute und deshalb Alternativen suchte. Fündig wurde er schließlich bei besagtem Coach.
Finfluencer mit politischer Botschaft
Der schürt in den sozialen Netzwerken geschickt Ängste rund um mögliche Enteignungen von Bankkunden oder den „Great Reset“. Letzterer ist eine Verschwörungserzählung, nach der globale Eliten die Welt im Zuge der (natürlich geplanten) Corona-Pandemie radikal verändern wollen – etwa, indem sie den Kapitalismus abschaffen.
In unübersichtlichen Zeiten, wie wir sie erleben, verfangen solche Geschichten offenbar bei vielen Menschen. Sie sind dann bereit, ihr Geld vor dem drohenden Unbill in vermeintliche Sicherheit zu bringen. Und investieren in Gold, Kryptowährungen oder Rohstoffe – mithilfe derer, die die Ängste erst geschürt haben.
Gerade im Finanzbereich sind immer wieder Menschen anzutreffen, die mit Politik Geschäfte machen wollen. Kolja Barghoorn etwa, der Mann hinter dem rund 340.000 Follower starken YouTube-Kanal „Aktien mit Kopf“, sinniert dort neuerdings nicht mehr nur über ETFs und finanzielle Freiheit, sondern über den „grün-roten Woke-Wahnsinn“.
Der manifestiere sich etwa in der „Entmaskulinisierung“ des Superhelden Thor im Marvel-Film „Thor Love & Thunder“. Schlimm! Lieblingsgegner der politischen Finfluencer sind die Grünen. Stephan Müller, dessen Instagram-Kanal „Techaktien“ 130.000 Nutzer folgen, postete zum Beispiel jüngst auf Twitter ein Foto der Grünen-Politikerin Ricarda Lang in einem ICE mit einer McDonald‘s-Tüte und machte sich über ihre Figur lustig.
In einem anderen Beitrag stellte er fest, sie habe weniger Jobs geschaffen als der Ölkonzern Shell, als sei das irgendeine originelle Erkenntnis oder zumindest witzig. Likes gab‘s natürlich trotzdem.
Das Ganze ist nicht nur ein Social-Media-Phänomen. Thorsten Polleit etwa, Chefvolkswirt beim Goldhändler Degussa, sieht an jeder Ecke die ganz große Krise, unkt von „Globalisten“ und dem bevorstehenden „Great Reset“. Die Lösung hat er passenderweise zur Hand: Wer den Weltuntergang fürchtet, kauft Gold. Klar.
Für die Debattenkultur ist so etwas pures Gift. Auch finanziell sind die Panikmacher eher schlechte Ratgeber. Das zeigte sich übrigens auch im Verlauf meines Telefonats mit dem angehenden Krypto-Trader, der 12.500 Euro in seine „Ausbildung“ gesteckt hat. Als ich ihn fragte, was er mit Trading denn bisher verdient habe, lautete die Antwort: „Gar nichts.“
Ihr
Georg Buschmann
PS: Heute schreibe ich Ihnen an dieser Stelle ein letztes Mal, da ich die WirtschaftsWoche verlassen werde. Für Ihr Interesse und den Austausch über die Jahre bedanke ich mich herzlich.
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