Engagement Darf der Chef das Ehrenamt verbieten?

Die Freiwilligen Feuerwehren sind auf engagierte Ehrenamtler angewiesen. Quelle: imago images

Millionen Deutsche sind ehrenamtlich aktiv. Fallen ihre Einsätze in die Arbeitszeit, ärgert das viele Chefs. Doch wann können sie das Engagement verbieten und sich den gezahlten Lohn wiederholen?

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Der Ärger ist schon programmiert. 60.000 neue Schöffen treten 2024 bundesweit ihren Dienst an. Die ehrenamtlichen Richter verpflichten sich gleich für fünf Jahre, an Straf- und Fachgerichten Volkes Stimme zu vertreten. Eine lange Zeit, in der sie bei ihrem Arbeitgeber immer mal wieder ausfallen, um ehrenamtlich Recht zu sprechen. Das dürfte angesichts ohnehin knapper Personalressourcen nicht jedem Vorgesetzten gefallen und doch muss er es akzeptieren – meistens.

Zwar ist ehrenamtliches Engagement grundsätzlich fast immer Privatangelegenheit und gehört deshalb in die Freizeit. Es gibt allerdings eine Reihe von Funktionen, bei denen Arbeitgeber per Gesetz verpflichtet werden, Beschäftigte von der Arbeit freizustellen. Hier spricht man vom Ehrenamt im öffentlichen Interesse. „Dort werden für die Gesellschaft elementar wichtige Aufgaben erfüllt“, sagt Jan Holze von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Arbeitgeber dürfen deshalb den Einsatz nicht verbieten, selbst wenn es im Betrieb für Probleme sorgt.

Wen es wirklich braucht

Das gilt laut dem Stiftungsvorstand neben den Schöffen für mehr als eine Million Menschen allein bei den Freiwilligen Feuerwehren, zehntausende Ehrenamtliche des Technischen Hilfswerks (THW), aber auch für freiwillige Prüfer in Kammern und Verbänden. Sie würden etwa dazu beitragen, die Qualität der Berufsausbildung zu erhalten, begründet Holze den besonderen Schutzstatus.

Ehrenamtliche bei der Feuerwehr oder dem THW müssen laut Holze in der Regel für Einsätze und Ausbildungsveranstaltungen bezahlt freigestellt werden. Sollte sich der Beschäftigte im Einsatz verletzen, wird das Gehalt ebenfalls weiter überwiesen. Lohn und Sozialabgaben könnten sich Unternehmen von der Gemeinde oder einer anderen zuständigen Stelle erstatten lassen. Beim THW gilt das erst ab zwei Stunden pro Tag oder sieben Stunden in zwei Wochen an freiwilliger Arbeit. 

Bei diesen Blaulicht-Ehrenämtern sind Einsätze oft unvorhersehbar. Das Engagement von Schöffen hingegen lässt sich besser planen. Für sie sollen laut dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) möglichst maximal zwölf Sitzungstage pro Jahr zusammenkommen. In der Praxis könne das durch aufwändige Prozesse allerdings anders aussehen, räumt Höhne ein. Außerdem werden die Einsätze gerade im ersten Jahr manchmal kurzfristig angekündigt.

Arbeitgeber von Schöffen haben das Recht, den Lohn für die verpasste Arbeitszeit nicht zu zahlen, wie Holze erläutert. Betroffene könnten den Verdienstausfall bei der Justizkasse geltend machen. „Zudem dürfen Schöffen nicht aufgefordert werden, die beim Gericht verbrachte Zeit nachzuarbeiten oder für die Sitzungstage Erholungsurlaub zu nehmen“, sagt der Experte. Er hat jedoch festgestellt: „Hier sieht die Realität oft anders aus.“

Arbeitszeit von Schöffen

Selbst der Staat will, dass Menschen das Engagement für ihn als Freizeittätigkeit verstehen. So heißt es im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, dass Ehrenämter im öffentlichen Interesse möglichst außerhalb der Arbeitszeit verrichtet werden müssen – zur Not, indem die Arbeit verschoben wird. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Regelung 2009 gestützt. Der beklagte Landkreis hatte einer Schöffin drei Stunden Ehrenamt nicht auf deren Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, weil sie nicht in die Kernarbeitszeit der Beschäftigten fielen. 

Die Klägerin sah dadurch den Grundsatz verletzt, dass sie durch den Schöffendienst nicht benachteiligt werden darf. Das BAG meinte jedoch: Schöffen müssen möglichst dafür sorgen, dass ihre Gerichtstermine außerhalb ihrer Arbeitszeit stattfinden. Ansonsten sei es ihnen zuzumuten, den Arbeitseinsatz beispielsweise durch Gleitzeit zu verschieben. „Praktisch hieße das: Die Verhandlungen finden am Wochenende statt“, sagt Andreas Höhne, Präsident des Bundesverbands der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter. Sein Fazit: „Dieses Urteil ist realitätsfern und muss dringend vom Gesetzgeber nachgebessert werden.“

Dadurch dass der Schöffendienst nicht als Arbeitszeit zählt, entstehe eine Doppelbelastung, sagt Höhne. Manche Unternehmer würden Ehrenamtliche zudem gar nicht erst einstellen oder sich während der Probezeit trennen, wenn das Engagement bekannt wird – ohne den Grund offenzulegen. 

Wer durch das Ehrenamt als Schöffe Schikane und Nachteile im Job befürchtet, kann sich zumindest auf das Deutsche Richtergesetz berufen. Darin heißt es: „Niemand darf in der Übernahme oder Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter beschränkt oder wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes benachteiligt werden.“ Die Kündigung wegen des Ehrenamts ist demnach ebenfalls verboten.

29 Millionen Ehrenamtliche

Oft gibt es Ärger, weil viele Vorgesetzte, laut Experten, schlecht über Rechte und Pflichten beider Seiten informiert sind. Um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen, raten sie deshalb, möglichst schnell das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen. Das gilt auch für ehrenamtliche Tätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit, beispielsweise in Sportvereinen, bei der Flüchtlingshilfe oder an der Schule der Kinder. „Denn in vielen Arbeitsverträgen in Deutschland steht, dass eine Nebentätigkeit angemeldet werden muss. Als Nebentätigkeit gilt im weiteren Sinne auch eine ehrenamtliche Tätigkeit“, erläutert Holze. Das trifft insbesondere dann zu, wenn Ehrenamtliche eine Entschädigung erhalten, etwa als Übungsleiter im Sportverein. Rund 40 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren engagieren sich laut Bundesinnenministerium ehrenamtlich. Das waren 2019 bei der letzten bundesweiten Umfrage knapp 29 Millionen Menschen.

Darf der Chef ein Ehrenamt verbieten?

Anders als bei Schöffen oder Feuerwehrleuten kann ein Arbeitgeber beim allgemeinen Ehrenamt in Ausnahmefällen sein Veto einlegen. Holze nennt drei Szenarien:

  1. Das Ehrenamt nimmt den Beschäftigten so stark in Anspruch, dass die Arbeit leidet: Wer spätabends ehrenamtlich aktiv ist und deshalb regelmäßig übermüdet bei der Arbeit erscheint, riskiert ein Machtwort des Vorgesetzten. Wird das ignoriert, können Abmahnung und Kündigung folgen, warnt Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht beim Deutschen Anwaltverein.
  2. Das Ehrenamt kollidiert mit den Interessen des Arbeitgebers:
    Beim direkten Konkurrenten seines Arbeitgebers sollte ein Ehrenamtlicher nicht gerade tätig sein. Laut Holze kann es außerdem problematisch sein, wenn sich etwa ein Angestellter eines Windturbinenherstellers gegen das Aufstellen von Windrädern engagiert.
  3. Das Ehrenamt schädigt den Ruf des Unternehmens:
    Angenommen, jemand engagiert sich in einem pro-israelischen oder pro-palästinensischen Verein, was der Arbeitgeber angesichts des Kriegs in Gaza als potenziell rufschädigend empfindet. „Grundsätzlich wäre ein solches Engagement Privatangelegenheit des Arbeitnehmers“, sagt Oberthür. Aber im Zweifel müssten hier Gerichte entscheiden, ob ein Verbot tatsächlich angemessen ist. 

Der Gang zum Betriebsrat oder zum Anwalt hilft dem Ehrenamtlichen bei einer direkten Konfrontation allerdings erst mal wenig. Wie sollte zum Beispiel eine Schöffin handeln, wenn am Sitzungstag Kollegen krank sind und der Chef mit Kündigung droht, sollte sie nicht zur Arbeit erscheinen? Höhne verweist noch einmal darauf, dass eine Kündigung in diesem Fall nicht rechtens ist und gibt den praktischen Rat: „Sprechen Sie mit Ihrem Vorsitzenden Richter. Er sollte die ehrenamtlichen Richter unterstützen, gegebenenfalls mit dem Arbeitgeber reden.“

Wer soll da noch durchblicken?

Doch selbst wohlmeinende Arbeitgeber sind mit der Bürokratie zuweilen überfordert. Das fängt mit den teils unterschiedlichen Regelungen zu den verschiedenen Ehrenämtern in Bund und Ländern an. „Die Zahl der Freistellungstage pro Jahr variiert, einige Länder zahlen Arbeitgebern eine Entschädigung – teilweise des Lohns, teilweise nur der Sozialbeiträge – andere Länder sehen dies gar nicht vor“, erläutert Holze am Beispiel der Kinder- und Jugendfreizeit. „Mitunter gibt es auch einen Fonds für diese Zahlungen, der dann irgendwann im Jahresverlauf ausgeschöpft ist.“ Das sorge in Firmen natürlich für noch mehr Frust.

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Im Gegenzug profitieren Unternehmen laut Holze neben dem häufig ideellen Nutzen des Ehrenamts ganz konkret, wenn sie es Beschäftigten erleichtern, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Solche Betriebe würden als Arbeitgeber attraktiver. Fähigkeiten, die im Ehrenamt gelernt werden, könnten außerdem auch im Job interessant werden.

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