Exklusive Daten aus Langzeitstudie Die Wahrheit über das Homeoffice in fünf Grafiken

Beschäftigte fühlten sich vor allem in den Lockdowns allein, als sie besonders viel Zeit im Homeoffice verbachten. Quelle: imago images

Kaum ein Wissenschaftler hat das Homeoffice in der Pandemie so genau erforscht wie Hannes Zacher von der Uni Leipzig. Seine Daten zeigen, wie sich die Einstellung der Beschäftigten zum Homeoffice über die Jahre verändert hat und welche Rolle Lockdowns und Omikron spielen.

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Hannes Zacher konnte sich bei seiner wissenschaftlichen Arbeit rund um das Homeoffice nun schon mehrmals auf das Glück verlassen: Nicht nur, weil er seine Studie Ende 2019, also vor dem Ausbruch der Pandemie, startete und schon damals eine Frage zum Homeoffice stellte. Als hätten er und sein Team der Universität Leipzig die massenhafte Zwangsversetzung der Beschäftigten an einen Schreib- oder wahlweise Küchentisch in den eigenen vier Wänden kommen sehen.

Außerdem sollte die Studie, in der sich Zacher und seine Kollegen seit April 2020 noch viel intensiver mit dem Homeoffice beschäftigen, aktuell schon beendet sein. Eigentlich. Zacher setzte sie nur bis Ende 2021 an, beantragte die Fördermittel der Volkswagenstiftung bloß bis zu diesem Zeitpunkt. „Schließlich war ich damals überzeugt, dass wir bis dahin einen Weg aus der Pandemie gefunden haben sollten“, sagt Zacher. Als im Herbst klar wurde, dass das nicht klappen würde, stellte Zacher eilig einen Folgeantrag, den die Stiftung erneut bewilligte. „Zum Glück“, wie der Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie sagt.

Denn so dramatisch die Zeiten für Bevölkerung und Gesundheitssystem sind, so bedeutend sind sie für die Forschung des Teams. Schließlich ist es Ziel der Forscher, den gesamten Zeitraum der Pandemie zu überblicken: Die Variante Omikron, die Wiedereinführung von Kontaktbeschränkungen und Homeofficepflicht außer Acht lassen zu müssen, hätte dem Zahlenwerk eine Menge Bedeutung entzogen.

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So aber ermöglichen die Daten, die Zacher und seine Kollegen in den vergangenen fast zwei Jahren sammelten und die der WirtschaftsWoche in dieser Form exklusiv vorliegen, detaillierte Erkenntnisse zu der Bedeutung des Homeoffice in der Pandemie, zu den Risiken und Chancen. Andere Studien beziehen sich zumeist auf kürzere Zeiträume oder ihre Befragungen finden nur im Abstand einiger Monate statt. Die Zahlen aus Leipzig hingegen lassen einen Rückschluss zu auf das Verhalten der Beschäftigten, wenn die Infektionszahlen steigen oder sinken, wenn Lockdowns kurzerhand erlassen oder wieder aufgehoben werden, wenn sich neue Virusvarianten wie Omikron ausbreiten.

Die Studie zeigt, dass sich die Nutzung des Homeoffice in den vergangenen Jahren auf einem hohen Niveau eingependelt hat (siehe Grafik oben). Und die Beschäftigten wechseln immer dann stärker ins Homeoffice, wenn sich die Republik im Lockdown befindet. Beim ersten Lockdown, im März, April und Mai 2020 mag das wenig überraschend wirken. Viele Beschäftigte wurden notgedrungen ins Homeoffice geschickt. Doch auch die Verbreitung von Omikron und damit verbunden die Wiedereinführung der Homeoffice-Pflicht sorgte den Daten nach für einen Anstieg der Homeoffice-Nutzung. Auch ohne faktischen Lockdown.



So gaben die Beschäftigten, die zumindest teilweise im Homeoffice arbeiteten, bei der Befragung im Januar 2022 im Schnitt an, in den letzten vier Wochen fast 58 Prozent ihrer Wochenarbeitszeit in den heimischen Wänden verbracht zu haben. Zwischen dem zweiten Lockdown und dem Omikron-Ausbruch war dieser Anteil noch stark gesunken, nun steigt er seit November wieder.

Hannes Zacher ist Studiendekan für Psychologie und Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie, Universität Leipzig. Quelle: Swen Reichhold/Universität Leipzig

Für ihre Studie, in der sich die Forscher abseits des Homeoffice etwa auch dem Stressempfinden oder der Zufriedenheit im Job widmen, befragten sie in jedem Monat rund 1000 Beschäftigte aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Denjenigen, die zumindest teilweise im Homeoffice arbeiteten, stellten die Forscher dann noch spezifische Fragen rund um die Heimarbeit. Eine Befragungswelle bezieht sich in der Studie stets auf die Erfahrungen aus den vorigen vier Wochen: Gaben die Befragten also im April 2020 an, fast 30 Prozent der Arbeitswoche im Homeoffice gearbeitet zu haben, so taten sie das nach eigener Einschätzung im Monat März. Jede Online-Befragung dauerte etwa 25 bis 30 Minuten, lediglich im Juni 2020 fand einmalig keine Befragung statt.

Zwar schlagen sich viele Veränderungen nur im Bereich der Nachkommastellen der Mittelwerte nieder, mit denen Zacher und seine Kollegen in der Studie arbeiten. Diese Mittelwerte seien allerdings belastbar und bildeten die Trends über die lange Zeit sehr gut ab, so Zacher. Auch ohne die großen Ausreißer nach oben oder unten.



Das Homeoffice habe sich demnach etabliert, kommentiert Zacher die Ergebnisse. „Die Befragten verbringen hier deutlich mehr als die Hälfte ihrer Arbeitswoche und haben auch flächendeckend die Möglichkeit dazu“, so der Forscher. Über den Zeitraum der Befragung registrierten die Forscher nur sehr leichte Schwankungen. Diese Normalität, der so gerne das Wörtchen „neue“ angedichtet wird, bezeichnet Zacher mit Blick auf die Daten mittlerweile als „nicht mehr ganz so neue“ Normalität. Ganz aktuell befänden wir uns noch immer in einer brenzligen Situation, sagt Zacher. Die Infektionszahlen steigen, Omikron verdrängt die anderen Virusvarianten und die Menschen seien wieder ins Homeoffice zurückgekehrt, sagt Zacher. „Und sie werden dort erstmal bleiben.“

Neben der Nutzung des Homeoffice zielen die monatlichen Befragungen des Teams auch auf psychologische Einschätzungen ab, zu den Belastungen im Homeoffice etwa. Eine solche Erhebung kommt zur richtigen Zeit. Das Homeoffice steht in der Kritik, Einsamkeit und Stress zu fördern. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Dezember 2020 zeigte etwa, dass sich das Homeoffice nach Ansicht der Arbeitnehmer negativ auf ihre Motivation und die Beziehung zu Kollegen auswirke. Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kamen zu dem Ergebnis, dass vor allem die Kommunikation durch das Homeoffice leidet. In der Studie der Leipziger Forscher rund um Hannes Zacher überwiegen zwar die positiven Einschätzungen der Befragten, doch die Daten zeigen ebenfalls, dass der Kontakt unter den Kollegen und der Kontakt zwischen Beschäftigten und Führungskräften seit Beginn der Pandemie leidet. Vor allem im ersten Jahr der Befragung, von April 2020 bis April 2021, fiel dieser Wert deutlich (siehe Grafik oben).



Zacher und seine Kollegen fragten die Teilnehmer auch, ob diese sich im Homeoffice einsam und ausgeschlossen von „arbeitsbezogenen Aktivitäten und Treffen“ fühlten. Die Befragung zeige, so Zacher, dass der Mittelwert für das Isolationsempfinden seit Beginn der Pandemie zwar unter dem mittleren Wert der Skala (2,5) liege, doch „für eine so bedenkliche Folge des Homeoffice auf einem sehr hohen Wert verweilt und sich die Situation vieler Beschäftigter offenbar nicht bessert“. In den Daten zeigte sich, dass das Gefühl der Einsamkeit bei den Befragten zum Ende des zweiten Lockdowns am stärksten war und nun seit der Ausbreitung von Omikron wieder stärker wird (siehe Grafik oben).

Schon andere Homeoffice-Studien wie die der Universität Konstanz verwiesen in der Vergangenheit darauf, dass sich Beschäftigte bei der Arbeit im trauten Heim einsamer fühlten als im Betrieb.

„Videokonferenzen und Mail-Kontakt reichen offenbar nicht aus, um ein kollektives Gemeinschaftsgefühl zu schaffen“, sagt auch Zacher. Er sieht die Vorgesetzten in der Pflicht: „Das Phänomen der gefühlten Isolation im Homeoffice sollten Führungskräfte unbedingt ernstnehmen, sie müssen hier gegensteuern.“ Die Chefs seien „der Schlüssel für erfolgreiche und psychisch verträgliche Heimarbeit“.



Optimistischere Beobachtungen halten die Daten jedoch auch bereit. So stieg die Zufriedenheit im Homeoffice seit Beginn der Befragung an (siehe Grafik oben). Zwar liegen die Bewegungen auch hier im Nachkommabereich, doch die Befragten zeigen sich im Durchschnitt „eher zufrieden“ mit dem Homeoffice. Und vor allem 2021, im zweiten Corona-Jahr, stieg die Zufriedenheit deutlich an. „Die Befragten verbinden das Homeoffice stärker mit einem Ort der Kreativität und der Erholung – und weniger mit einem Ort der Anforderungen“, so Zacher.

Bei einer Frage, bei der die Beschäftigten ihre Leistungsfähigkeit im Homeoffice in den vergangenen vier Wochen bewerten sollen, kommen die Forscher zu ähnlich positiven Ergebnissen (siehe Grafik unten). So zeigen sich zuletzt deutlich mehr Befragte als noch zu Zeiten des ersten Lockdowns davon überzeugt, dass sie ihre Aufgaben auch von zu Hause aus erfolgreich erledigen können.



Dass sich in der Studie letztendlich positive wie negative Einschätzungen zum Homeoffice gegenüberstehen, zeige laut Zacher „wieder einmal, dass das Homeoffice ein zweischneidiges Schwert ist, ein Wechselbad der Gefühle“, sagt Zacher. Zum einen befänden sich die Beschäftigten in einem vertrauten Ort, in dem sie sich wohlfühlen. „Auf der anderen Seite berichten sie aber davon, abgeschieden zu sein. Das macht das Homeoffice zu einem sehr ambigen Phänomen – und gibt mir zu denken.“ Und so bleibt Homeoffice auch nach zwei Jahren intensiver Forschung ein zu komplexes Thema, um es pauschal als Fluch oder Segen, als Ort der Entfremdung oder Produktivitätswunder abzutun.

Die Studie soll nun noch bis Mitte des Jahres laufen, so Zachers Plan. Voraussetzung: Neue Varianten oder Lockdowns wirbeln die Pläne nicht schon wieder durcheinander. Zacher selbst ist auch während der Pandemie Büromensch geblieben, kommt „sehr gerne und sehr häufig“ an die Leipziger Uni. „In meinem Einzelbüro kann ich mich einfach am besten auf die Arbeit fokussieren“, sagt er. Das Homeoffice beschäftigt den Psychologen in seinem Forscheralltag ja schon zur Genüge. Wenn auch nicht sein eigenes.

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