Auf Quiet Quitting folgt „Quiet Firing“. Während es bei dem ersten Trend um das Verhalten von Angestellten geht, handelt Quiet Firing von Chefs – die ihre Mitarbeiter dazu drängen, zu kündigen. Was beide Themen eint: Sie stellen Mechanismen der Arbeitswelt in Frage.
In den sozialen Netzwerken berichten Beschäftigte über subtile Strategien von Arbeitgebern, die Mitarbeiter an den Rand drängen, ihnen keine Projekte mehr zuteilen, keine Wertschätzung zeigen. Was es damit auf sich hat, wie sich Beschäftigte wehren können und warum nun so viel darüber gesprochen wird, erklärt Rechtsanwältin Fiona Schönbohm.
WirtschaftsWoche: Frau Schönbohm, ist Quiet Firing einfach ein moderneres Wort für Mobbing?
Fiona Schönbohm: Nein, nicht unbedingt. Quiet Firing ist aber tatsächlich kein neues Phänomen, sondern nur ein neuer Begriff für ein längst bekanntes Muster am Arbeitsplatz. Die Grenze zum offenen Mobbing wird oft gerade nicht überschritten, Quiet Firing ist unterschwelliger. Mitarbeiter sollen gar nicht so richtig merken, dass sie gerade zu Kündigungen gedrängt werden. Außerdem sind gerade beim Quiet Firing die Grenzen fließend zwischen einfach nur miesen Chefs und dieser Strategie, Mitarbeiter subtil zum Kündigen zu drängen. Auch miese Chefs gab es schon immer.
Warum ist es dennoch so ein großes Thema gerade?
Es ist nicht so, dass sich die Arbeitgeber der Welt nun verschworen haben, um sich neue Gemeinheiten einfallen zu lassen. Vielmehr gehen junge Fachkräfte mit einer anderen Anspruchshaltung ins Berufsleben. Sie sind gefragt und müssen sich nicht mehr alles gefallen lassen. Und sie hinterfragen diese altbekannten Muster zunehmend und machen sie zum Thema.
Wie funktionieren solche subtilen Mechanismen, um Mitarbeiter dazu zu bewegen, den Job zu kündigen?
Es gibt verschiedene Ansätze, wie man zur Kündigung gedrängt werden kann. Wenn einem zum Beispiel auf den Kopf zugesagt wird, dass es keine Entwicklungsmöglichkeiten gibt, die Perspektive für die Zukunft fehlt und auch keine Gehaltsanpassungen mehr gemacht werden, sind das wichtige Indikatoren. Einige Arbeitgeber gehen aber noch viel offensichtlicher vor: Mitarbeitende bekommen nur noch zermürbende, sinnlose Aufgaben zugeteilt. Irgendwelche Excel-Tabellen hin- und her kopieren. Oder sie werden ohne sachliche Gründe ständig für ihr Verhalten und ihre Leistung kritisiert. Wir haben aber auch extremere Fälle gesehen.
Zur Person
Fiona Schönbohm arbeitet als Rechtsanwältin bei der Wirtschaftskanzlei Rose & Partner in Hamburg und Berlin. Sie berät Unternehmen und Führungskräfte im Arbeitsrecht und im Gesellschaftsrecht. Darüber hinaus veröffentlich sie regelmäßig Beiträge und Videos, in denen Schönbohm aktuelle Rechtsthemen erklärt.
Was denn zum Beispiel?
Wir hörten neulich von einer jungen Frau, die als Sachbearbeiterin in einen Raum ohne Computer und Telefon gesetzt wurde – und so ihre Aufgaben einfach nicht wahrnehmen konnte. Eine andere Frau wurde von ihrem Chef ständig kritisiert und ihr wurde gesagt, sie hätte Aufgaben nicht erledigt – dabei wurde sie nie damit beauftragt. Die meisten Fälle des Quiet Firing sind aber so subtil, dass Beschäftigte meist keinen Anwalt aufsuchen und stattdessen kündigen.
Bei Ihrem ersten Beispiel klingt es recht eindeutig: Die Frau will man loswerden. Kritik zu üben ist ja wiederum die Aufgabe einer Führungskraft.
Es hängt immer vom Einzelfall an, wann rechtliche Grenzen überschritten werden. Der Arbeitgeber hat auch grundsätzlich ein Weisungsrecht und darf Aufgaben zuteilen. Aber nicht völlig frei nach Belieben, sondern im Rahmen des Jobs, für den die Person angestellt ist. Mein Chef dürfte mir als Anwältin beispielsweise nicht den ganzen Tag Sekretariatsaufgaben geben, da ich nicht dafür angestellt worden bin. Da muss man genau hinsehen.
Tipps für das Kündigungsgespräch
Verwenden Sie keinesfalls Sätze wie: „Es wird schon nicht so schlimm werden!“, „Mach Dir keine Sorgen!“ oder „Das Leben geht doch weiter!“
Floskeln vermitteln dem Gekündigten nur, dass Sie mit seinen Emotionen nicht zurechtkommen. Sie wirken dadurch verunsichert. Ihre möglicherweise gute Absicht, Trost zu spenden, wird jedenfalls nicht erreicht.
Sagen Sie nicht: „Wenn ich hätte wählen können, hätte ich den Müller rausgeworfen, nicht Dich!“ oder „Was soll ich denn machen? Ich habe das ja nicht entschieden!“
So vermitteln Sie nur Hilflosigkeit und verdrehen das Geschehen auf eine fast unlautere Art und Weise: Sie zwingen den Anderen, Sie als „Opfer“ mit seinem berechtigten Schmerz zu verschonen. Außerdem müssten Sie damit rechnen, dass der betroffene Mitarbeiter seinen Gefühlen bei den Kollegen freien Lauf lässt.
Gehen Sie nicht lax oder fahrlässig mit den Gefühlen Ihrer verbliebenen Mitarbeiter um! Sparen Sie sich scheinbare Aufmunterungen wie „Ihr könnt Euch freuen, Euch betrifft es ja nicht!“
Erkennen Sie stattdessen deren Emotionen an. Es ist für niemanden einfach, wenn Kollegen entlassen werden – die Gefühle bewegen sich von Hilflosigkeit, Scham und schlechtem Gewissen gegenüber den gekündigten Kollegen bis hin zu Sorge und Ärger aufgrund der neuen Mehrarbeit.
Machen Sie grundsätzlich keine Aussagen über anstehende Entlassungen. Falls aber einer Ihrer Mitarbeiter nachfragen sollte, geben Sie ihm kleine Bissen Information. So vermeiden Sie, dass die Gerüchteküche erst richtig brodelt und möglicherweise unter den Mitarbeitern ein Hauen und Stechen beginnt.
Bleiben Sie bei der Wahrheit! Geben Sie den Bleibenden keine anderen Begründungen für die Kündigung als dem Gekündigten. Wenn auch nur einer der entlassenen Kollegen über die wahren Hintergründe spricht, haben Sie Ihr Image nachhaltig geschädigt. Das Vertrauen in Sie als Vorgesetzter ist dann verloren. In so einem Fall ist es sehr schwer, eine Mannschaft wieder in die Spur zu bringen.
Nicht zuletzt könnten Chefs unliebsamen Beschäftigten auch einfach kündigen. Warum setzen sie stattdessen auf Quiet Firing?
Der einzig logische Grund für Arbeitgeber könnte sein, die Regeln des Kündigungsschutzgesetzes zu umgehen, und so eigentlich schwer kündbare Arbeitnehmer loszuwerden. Auch die Abkürzung einer Kündigungsfrist könnte eine Motivation sein. In der Praxis erleben wir aber viel öfter, dass der dahinterstehende Mensch das Problem ist: Der Chef scheut einfach den Konflikt, kann nicht gut kommunizieren oder kommt mit seiner Führungsrolle nicht zurecht. Schlechte oder miese Chefs fahren solche Taktiken. Wenn man sich vernünftig und fair verständigt, ist jedenfalls über einen Aufhebungsvertrag eigentlich immer eine Regelung zu finden, die für beide Seiten gut tragbar ist.
Was raten Sie Beschäftigen, die das Gefühl haben, aus ihrem Job gedrängt zu werden?
Der erste und wichtigste Tipp ist, sich alles aufzuschreiben, alles zu dokumentieren. Gerade wenn absehbar ist, dass es zu einer Auseinandersetzung kommen könnte. Beispielsweise: Gab es ungerechtfertigte Kritik? Wann wurden Aufgaben übertragen, wann wurden sie erledigt? Hat der Arbeitgeber alle Mittel zur Verfügung gestellt, damit derjenige seine Aufgabe erledigen kann? Arbeitgeber müssen Pflichten erfüllen: Aufgaben zuweisen, Ziele im Rahmen des Jobs vorgeben – und sie haben eine Fürsorgepflicht. Mitarbeitende haben einen Anspruch darauf, dass diese Pflichten eingehalten werden. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, können Beschäftigte sich schriftlich beim Vorgesetzten beziehungsweise dem Betriebs- oder Personalrat beschweren. Das Signal allein ist wichtig: So einfach lasse ich mich hier nicht rausdrängen!
Dennoch dürften sich gerade jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell dazu entschließen, ihren Job zu wechseln. Lässt sich zumindest noch etwas dabei herausholen?
Das stimmt, wer auf den konkreten Job nicht unbedingt angewiesen ist, wird sich in so einer Situation früher oder später bestimmt lieber einen neuen Arbeitsplatz suchen wollen. Allein für das psychische Gleichgewicht, aber auch für die eigene Karriere wird das sicher oft die richtige Entscheidung sein. Aber einfach so kündigen, das sollten sich Betroffene immer gut überlegen. Gerade wenn man aus rechtlichen Gründen für den Arbeitgeber schwer kündbar ist, sollte man mit dem Chef stattdessen über einen Aufhebungsvertrag sprechen und eine vernünftige Abfindung raushandeln. Wenn für den Arbeitgeber zum Beispiel für die ordentliche Kündigung eine sechsmonatige Kündigungsfrist galt, kann man dort anknüpfen und anbieten, im gegenseitigen Einvernehmen früher zu gehen, wenn dafür zum Beispiel vier oder fünf Monatsgehälter als Abfindung gezahlt werden. Betroffene sollten dabei aber immer die Auswirkungen auf mögliche Sozialleistungen im Hinterkopf behalten.
Lesen Sie auch: So holen Sie mehr aus dem Frust-Job heraus
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im November 2022 bei der WirtschaftsWoche. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.