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Geht auch berauschender: Lauterbachs Cannabis-Kampagne. Quelle: REUTERS

Lauterbachs Cannabis-Aufklärungs-Kampagne: Diese Rhetorik kriegen Sie berauschender hin

Freigabe von sauberem Stoff und dafür intensive Aufklärung der Jugendlichen über die Gefahren von Cannabis – das war die Idee. Doch die Botschaften der ersten Anti-Kiff-Kampagne sind wirr, witzlos und langweilig. Machen Sie es mit Ihren Kampagnen besser. Eine Kolumne.

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Das Bundesministerium für Gesundheit warnt in einer Aufklärungskampagne Kinder und Jugendliche vor dem Konsum von Cannabis. Ein Element der sogenannten „Toolbox“ an Maßnahmen sind Plakate, die nach dem einfachen System funktionieren:

Legal,
aber…

Tenor: Nicht alles, was erlaubt ist, tut einem gut. Die Idee leuchtet erstmal ein. Aber…

Ich habe die Plakat-Ideen mit einem Vertreter der Zielgruppe der 12- bis 25-Jährigen besprochen, nämlich einem 22-jährigen Kampagnen-Entwickler einer Bank, außerdem mit einer jungen deutschen Pflegefachkraft mit Muttersprache Russisch, dann mit dem Inhaber einer Kommunikationsagentur und zuletzt mit einem Journalisten. Deren Reaktionen zeigen Ihnen, was Sie unbedingt besser machen sollten.

Mehrere Plakatsprüche standen zur Diskussion. Ohne Fotos, nur grelle Farben und Sprüche. Etwa dieses erste Beispiel:

Legal, aber... Brokkoli ist mir lieber. Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Legal, aber… Brokkoli ist mir lieber

Reaktion des 22-Jährigen: „HÄÄÄÄ?“
Reaktion des Agentur-Inhabers: „Welcher Jugendliche würde das jemals so behaupten?“
Reaktion der Pflegefachkraft: „Was hat Cannabis mit Brokkoli zu tun? Ich hasse Brokkoli.“
Reaktion des Journalisten: „Erstens: Versteht man nicht auf Anhieb. Zweitens: Wer Bock hat auf Kiffen, lässt nicht die Finger davon, weil Brokkoli gesünder ist.“

Das Kleingedruckte des Plakats soll Aufklärung bringen: „Regelmäßiger Cannabiskonsum passt nicht zu einem gesunden Lifestyle.“

Okay, es hat sich herumgesprochen: Immer mehr Jugendliche achten zugunsten ihrer Gesundheit auf ihre Konsumgewohnheiten, verzichten etwa auf Alkohol. Doch der Brokkoli-Spruch wird dem Konsumenten in der ersten Person Singular regelrecht in den Mund gelegt. Viele Empfänger der Botschaft werden das unbewusst von sich weisen, einige womöglich Cannabis dem Brokkoli vorziehen und die Botschaft des Plakats damit ablehnen. Zumal sich im Leben eben nicht die Frage stellt: Gemüse essen oder kiffen? Sondern eher saufen oder kiffen? Koksen oder kiffen? Diese Fragen bleiben offen.

Fazit: Das Plakat legt den Empfängerinnen und Empfängern der Botschaft eine Meinung in den Mund, die so abstrus ist, dass sie wohl selbst bei Cannabis-Unerfahrenen keine klare Zustimmung hervorrufen wird.

Wenn Sie Ihrer Zielgruppe Standpunkte nahelegen wollen, dann solche, die bei ihr ohne viel Nachdenken sofort Zustimmung hervorrufen, wie:
„Luxusurlaub zu Sparpreisen – das ist mein Ding.“
Oder im konkreten Fall zum Beispiel so: „Legal, aber trotzdem ungesund. Ich passe selber auf mich auf.“

Hier würden wohl alle sagen: Stimmt. Auch wenn der Gag mit dem putzigen Insider-Wort Brokkoli nun fehlt - den die Kampagnen-Macher wohl selber am lustigsten fanden. Denn immerhin wird in der Kiffer-Community Brokkoli als Verklausulierung für Cannabis verwendet. Ob aber die anvisierten 12-jährigen Kinder wie bekifft darüber kichern, wage ich zu bezweifeln. Die anderen Sprüche kommen denn auch weit nüchterner daher.

Legal, aber... lost. Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Beispiel 2: Legal, aber… lost.

Reaktion des 22-Jährigen Zielgruppenvertreters: „Welcher Boomer hat sich das denn ausgedacht?“
Reaktion des Pflegers: „Kapiert man nicht.“
Reaktion des Agentur-Inhabers: „Macht keinen Sinn. Dafür kriegen die auch noch Geld.“
Reaktion des Journalisten (50): „Soll das heißen: Wenn man kifft, ist man verloren?“

Das Plakat erklärt die angestrebte Aussage genauer: „Cannabis kann sich negativ auf die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken.“

Dieser Hinweis lässt sich kaum greifen: Was ist denn eine soziale Entwicklung? Zumal das Jugendwort des Jahres 2020 „lost“ im Deutschen ja bedeutet, dass jemand ratlos, ahnungslos oder verunsichert ist. Und nicht gesellschaftlich schlecht eingebunden. Oder ist das wieder ein Cannabis-Experten-Insidergag, der an der Zielgruppe vorbeigeht?

Fazit: Wenn wir uns der Zielgruppe im Duktus anpassen wollen, um rhetorisch Nähe zu erzeugen, dann muss die Annäherung absolut glaubwürdig sein. Dafür muss man die Zielgruppe gut genug kennen. Meiner Erfahrung nach würdigen Empfänger eher einen Sprachstil, den sie so selber nicht wählen würden, als den Versuch, sich mit einer aufgesetzten Sprache anzuwanzen. Das verleitet eher zur Häme beim Entlarven.
Hier wurde der Anglizismus „lost“ von den Machern der Kampagne offenbar sogar selber falsch verstanden oder bewusst falsch verwendet. Als „alleine“ oder „verloren“ oder „verlassen“. Das entspricht nicht dem üblichen Sprachgebrauch.

Legal, aber... my body, my temple. Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Drittes Beispiel: Legal, aber… my body, my temple.

Reaktion des 22-Jährigen: „Kein 20-Jähriger sagt das. Keiner!“
Bei allen anderen nur Kopfschütteln.

Ich habe mal gegoogelt: My body my temple. Erster Treffer: Eine Seite zu Psychotherapie, danach die hier besprochene Kampagne des Bundesministeriums für Gesundheit, einige Treffer weiter unten ein Link zu einem Menstruationskochbuch auf Amazon.

Fazit: Der Köder muss dem Fisch schmecken. Wenn Sie bei einem Brainstorming auf witzige Wortspiele oder Claims kommen, die perfekt zu Ihren Werbeaussagen oder zum Produkt passen, überprüfen Sie: Was kommt dem „Fisch“, also den Adressaten Ihrer Botschaften in den Sinn, wenn diese ohne „Vorwarnung“ oder weitere Informationen auf Ihre Kampagne aufmerksam werden. Die erleben Ihre Kampagne ja vom anderen Ende her aufgedröselt. Kapieren die die cleveren Gags dann trotzdem?

Löst der Spruch etwa Zustimmung und Neugier aus? Oder Ratlosigkeit ohne weitere Wissbegier? Wenn zweites, dann weg damit von der Flipchart!

Legal, aber... risky. Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Letztes Beispiel: Legal, aber… risky.

Hierzu die Reaktion des 22-jährigen Kampagnenplaners: „Lächerlich.“ Er meinte den anbiedernden Anglizismus.
Alle anderen hatten zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Lust, sich mit der Kampagne auseinanderzusetzen.

Doch es lohnt sich noch ein genauerer Blick auf das besagte Kleingedruckte der jeweiligen Plakate. Hier: „Cannabis kann Körper und Psyche schaden - vor allem bei Kindern und Jugendlichen“. Ich habe einige Minuten recherchieren müssen, um zu erkennen, an wen sich die Plakate eigentlich genau wenden: an Lehrer, an die Eltern, an Kinder, an Jugendliche? Dann lese ich: an 12- bis 25-Jährige plus deren Bezugspersonen. Also fast alle. Vor allem junge potenzielle Konsumenten und Leute, die wohl eher nicht konsumieren werden und die wegen ihres Alters ohnehin nicht mehr so sehr gefährdet sind. Alle unter einen Hut.

Was dann zu anbiedernder Jugendsprache mitunter in der Ich-Form und in Neonfarben führt und zu „Kinder und Jugendliche“ in der dritten Person Plural wie in einem Gesetzestext plus Bundesadler.

Fazit: Wenn Sie mehrere Zielgruppen erreichen wollen, dann haben Sie heute dank der Werbung in den digitalen Medien die Möglichkeit, auf die jeweiligen Gruppen zugeschnittene Aussagen zu treffen. Wollen Sie etwa Leute davon überzeugen, ihr Auto stehenzulassen und dafür mit dem Zug in den Winterurlaub zu fahren, dann werden Sie andere Versprechen liefern, als wenn Sie jemanden vom Flug auf die Kanaren abhalten wollen, um im Schnee zu rodeln. Alle zusammen ist nur auf den ersten Blick billiger, wenn Sie dafür am Ende keinen überzeugen.

Auf Zigarettenschachteln wird in Text und mit drastischen Bildern von Föten, Geschwüren und Tumoren dargestellt, was der Drogenkonsum anrichten kann. Ich finde, wenn der Zweiklang „Legalisierung & konsequente Aufklärung“ bei Cannabis seinen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach erhofften Erfolg liefern soll, dann muss bereits die erste Botschaft reinzwiebeln: das Plakat.

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