Überstunden „Führungskräfte verhalten sich oftmals wie Hamster auf Speed im Laufrad“

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Für viele Führungskräfte sind ständige Erreichbarkeit und ausufernde Überstunden immer noch Statussymbole. Ein Fehler, meint Anja Förster. Denn wer weniger umtriebig ist, kann mehr leisten.

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WirtschaftsWoche: Frau Förster, wann haben Sie das letzte Mal bis spät in die Nacht gearbeitet?
Anja Förster: Das ist ewig her. Bis Anfang der 2000er-Jahre habe ich als Managerin für eine internationale Unternehmensberatung gearbeitet und da kam das häufiger vor. Aber das mache ich nicht mehr, denn ich habe gleich zu Beginn meiner Selbstständigkeit ein neues Wort gelernt.

Und das wäre?
„Nein“. 

Ein Wort, das Managern nur selten über die Lippen kommt.
Es ist nicht leicht „Nein“ zu sagen, weil andere dann enttäuscht sind oder man selbst als Bremser gilt, aber es ist richtig und wichtig, für sich einzutreten und solche Arbeitsexzesse abzublocken. Führungskräfte fragen mich dann oft: Aber was soll ich denn machen, wenn die Hütte brennt?

Quelle: Anja Förster

Zur Person

Was antworten Sie?
Das was schiefläuft, ist ja meistens keine Überraschung. Wenn ein Projekt stockt oder die Mitarbeiter noch nicht mit der Recherche begonnen haben, obwohl die Präsentation nächste Woche fällig ist, das bekommt man ja mit – und dann hat man in den allermeisten Fällen die Möglichkeit gegenzusteuern, bevor die Nachtschicht nötig wird.

Und trotzdem kommt das immer noch vor.
Das Absurde ist: Viele sehen durchgeklotzte Nächte immer noch als Ehrenabzeichen. Sie denken: Wow, jetzt habe ich mich richtig reingehängt. Dabei zahlen sie einen Preis, der höher ist, als der des enttäuschten Kollegen, wenn man in die Entschiedenheit geht und Nein sagt.

Und der wäre?
Busy is the new stupid. Ich kann meiner Rolle als Wertschöpferin nur dann gerecht werden, wenn ich mir ganz bewusst Zeiten für den Rückzug aus der Alltagshektik nehme und mich von der toxischen Mischung aus Sofortismus und Dauerdringlichkeit verabschiede. Führungskräfte verhalten sich jedoch oftmals wie Hamster auf Speed im Laufrad. Wer aber dauergestresst ist und keine Kraft mehr für die Zukunftsgestaltung, hat sich von der Rolle als Führungskraft verabschiedet.

Ist das ein generelles Problem?
Gerade ältere Führungskräfte verharren oftmals in dieser industriemechanischen Denke. Je länger jemand am Fließband steht, umso mehr produziert er. Diese Gleichung funktioniert heute nicht mehr. Hinterfragen, weiterdenken, neue Dinge anstoßen, das ist wertschöpfende Arbeit. Und die gelingt nicht, wenn ich in ständiger Hektik lebe und arbeite.

Wie schaffen Führungskräfte diese Abgrenzung, wenn sie in einem Unternehmen arbeiten, in dem ein solch fragwürdiges Leistungsdenken völlig normal ist?
Als einzige Führungskraft „Nein“ zu sagen, wenn alle anderen "Ja" sagen? Da bohren Sie natürlich ein dickes Brett. Niemand kann eine Kultur, die noch tief im Gestern verhaftet ist, im Alleingang umkrempeln.

Also besser direkt den Arbeitgeber wechseln?
Meine Empfehlung ist, selbst die Veränderung zu sein, die man in der Welt sehen möchte. Man kann im eigenen Team anfangen und beispielsweise den Vormittag komplett von Meetings und Unterbrechungen freihalten, um ungestört nachzudenken und Aufgaben zu bearbeiten, bei denen man sehr konzentriert vorgehen muss. Oder sich zumindest 90 Minuten unterbrechungsfreie Zeit im Kalender blocken, um wirklich nicht gestört zu werden. Und wenn die Führungskraft solche Regeln in ihrem Team aufstellt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es wirkt positiv ansteckend und andere Teamleiter sagen: Interessant, was du da machst, das probiere ich auch.

Oder?
Dieses Vorgehen stößt auf kolossales Unverständnis in der obersten Führungsebene und dann ist es höchste Zeit, sich die Frage zu stellen, ob es nicht klüger wäre, das Spielfeld zu verlassen. 

Sie haben eben gesagt, manchmal brauche es nur die eine zündende Idee, aber die entstehe nicht, wenn die Menschen in der Hektik des Alltags gefangen sind. Was empfehlen Sie, um dem zu entfliehen?
Vormittage ohne Meetings und Unterbrechungen kann sich jeder selbst einrichten, je nachdem, wie frei er in seiner Arbeitsgestaltung ist. Aber auch ansonsten gilt es, sich kleine Oasen der Stille zu schaffen.

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Wie machen Sie das?
Bei mir fängt das schon nach dem Aufstehen an. Ich habe vor einigen Jahren Meditation für mich entdeckt. Jeden Tag 20 oder 30 Minuten innezuhalten, hilft ungemein. Meditation ist eine exzellente Geistesschulung, die mich in einen ruhigeren, klareren Bewusstseinszustand führt. Zudem merke ich im Alltag schneller, wenn meine Aufmerksamkeit abschweift, und kann diese wiederherstellen. Auch die Gestaltung von Pausen ist extrem wichtig. Mal bewusst nicht in die Kantine oder das laute Café gehen, sondern sich in den Park setzen und die Tautropfen beobachten, wie sie an den Blättern hinunterrinnen, statt auch noch diese Zeit mit Telefonaten oder Podcasts zu füllen.      

Also einfach mal nicht geschäftig sein?
Genau. Das fällt uns schwer. Wir lassen uns leicht und häufig ablenken – weil wir es wollen. Aber das ist kein Schicksal, dagegen können wir etwas unternehmen. Gleiches gilt für den ausgeprägten Hang zum Sofortismus ablegen. Niemand zwingt uns ,eine E-Mail sofort zu beantworten, auch wenn der Absender es super dringend klingen lässt. Wer alles parallel macht, kann es nicht in guter Qualität machen. Diese toxische Dauergeschäftigkeit verringert unsere Lebens- und Arbeitsqualität.

Wie machen Sie sich frei von diesem Sofortismus?
Ganz wichtig, nicht sofort aktiv werden. Je hektischer die Dinge werden, desto wichtiger der Perspektivenwechsel: Nicht die dauergehetzte Atemlosigkeit diktiert mein Leben, sondern meine innere Haltung. Im Kern geht es um die Rückbesinnung auf unsere Eigenmacht. Ich mache mir eine realistische To-do-Liste, auf der alles draufsteht, was ich bis zum Abend erledigt haben will. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man einem E-Mail-Schreiber antwortet und sagt, das schaffe ich erst morgen, es das oft gar kein Problem ist, selbst wenn sich die erste Mail sehr drängend angehört hat.

Diese Handlungsempfehlungen gelten aus Ihrer Sicht für jeden? 
Ja, das kann jeder so handhaben.

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Auch der CEO eines großen Konzerns, dessen permanente Erreichbarkeit ja irgendwie auch in seinem üppigen Gehalt eingepreist ist?
Wenn Sie so argumentieren, muss man sich natürlich fragen, wofür wird der CEO bezahlt? Er oder sie wird dafür bezahlt, den Konzern gut in die Zukunft zu steuern – und das gelingt nur, wenn Zeit für „Deep Work“ reserviert ist, um einen Begriff von Professor Cal Newport zu bemühen. Ständige Erreichbarkeit ist der sichere Weg, oberflächliche Arbeit abzuliefern - also genau das, wofür Top-Führungskräfte nicht bezahlt werden.

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