Was ist der richtige Job für mich? Algorithmus sticht Stellenanzeige

Die Digitalisierung hat die Jobsuche immer individueller und persönlicher gemacht. Aus Annoncen in der Tageszeitung wurden Onlinejobbörsen mit mehr oder minder detaillierten Suchmasken. Quelle: Foto: Getty Images, Illustration: WirtschaftsWoche

Jeder zweite Deutsche steckt im falschen Job. Und gleichzeitig suchen Unternehmen verzweifelt Fachkräfte. Nun soll künstliche Intelligenz in Stellenbörsen und sozialen Netzen helfen, beide Seiten besser zusammenzubringen.

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Es fehlt an Fachkräften. Daran hat auch die Coronakrise nichts geändert. Trotz der Schließungen, die viele Branche unter Druck gesetzt haben, steigt die Zahl der offenen Stellen in Deutschland, für die Unternehmen keine geeigneten Kandidaten finden, bereits wieder. 

Nach Ansicht von Inga Rottländer von der Jobplattform Stepstone liegt das auch daran, dass die Jobsuche hierzulande reichlich veraltet ist. „Studien zeigen regelmäßig, dass rund jeder Zweite im falschen Job steckt“, sagt sie. „Das schadet auch den Unternehmen und letztlich der gesamten Wirtschaft. Diese Situation ist besonders brisant, weil in den nächsten Jahren Millionen von Menschen in Rente gehen.“

Die Digitalisierung hat die Jobsuche immer individueller und persönlicher gemacht. Aus Annoncen in der Tageszeitung wurden Onlinejobbörsen mit mehr oder minder detaillierten Suchmasken. Aber auch sie haben sich laut Rottländer als unzureichend erwiesen. „Denn die Jobsuche ist ein sehr komplexer und persönlicher Vorgang“, meint die Expertin.

„Dem einen ist eine gute Work-Life-Balance wichtig, eine bestimmte Unternehmenskultur oder die Möglichkeit, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Der andere wiederum legt großen Wert auf die Höhe des Gehalts und Aufstiegschancen.“ Anstatt Nutzer ellenlange Wunschlisten ausfüllen zu lassen setzt Stepstone auf einen Chat-Bot. Dazu hat das Unternehmen vor kurzem Mya, einen Anbieter von künstlicher Intelligenz fürs Recruitment aus San Francisco, gekauft. Er ist auf Gesprächssituationen spezialisiert.

KI schätzt Gehaltswünsche

Jobsuchende können sich demnächst auf der Seite von Stepstone, per SMS oder WhatsApp mit Mya austauschen. „Die KI fragt alle relevanten Informationen ab, sucht nach Jobs und weist dann auf passende Stellenangebote hin“, erläutert Rottländer. Die Stärke von Mya soll darin liegen, dass sie nicht bloß mit wenigen Standardfragen gefüttert wurde. Die Technologie soll laut der Sprecherin geschickt herausfinden, wie viel Geld ein Nutzer im neuen Job verdienen möchte, wie lange der Arbeitsweg höchstens dauern darf, ob der Jobsuchende bereit für eine Führungsrolle ist und was für ihn eine gute Unternehmenskultur ausmacht. „Das bedeutet, Mya sorgt für präzisere und auch aktuelle Profilinformationen, die wiederum zu besseren Jobvorschlägen führen“, stellt Rottländer in Aussicht. Der Algorithmus greift dabei auch auf den bei Stepstone hinterlegten Lebenslauf des Nutzers zurück.

Stepstone will mit dieser Technologie Fachkräfte ansprechen, die zwar offen für einen Jobwechsel sind, aber noch nicht auf der Suche nach einer neuen Stelle. Eine Umfrage des Marktforschungsunternehmen Trendence unter Nichtakademikern zeigte zuletzt: Fast jede zweite Fachkraft befindet sich in solch einer Situation. Wer es schafft, solche Menschen anzusprechen, eröffnet Firmen einen großen, neuen Kreis an Bewerbern.

Mya kann hier – so die Theorie – als eine Art ständig aktiver Karriereberater im Hintergrund fungieren. „Unsere Idee dahinter ist, dass wir allen Menschen zu jeder Zeit ihre passenden Möglichkeiten in der Jobwelt aufzeigen – unabhängig davon, ob sich jemand auf Jobsuche befindet oder nicht“, sagt Rottländer. Das Programm wird derzeit im Vereinigten Königreich eingeführt. Voraussichtlich im Spätsommer oder Herbst 2021 soll der Dienst in Deutschland starten. Wer Mya nutzt, sieht zwar dieselben freien Stellen wie in der regulären Suchmaske von Stepstone, habe aber, wie Rottländer betont, den Vorteil, sofort via WhatsApp über neue passende Jobangebote informiert zu werden und Stellen somit schneller zu sehen als wenn er nur gelegentlich Suchbegriffe auf stepstone.de eingibt.

Jobbörse Instagram

Viele Unternehmen wollen Fachkräfte allerdings noch viel früher für sich gewinnen. Etwa über Jobanzeigen in sozialen Netzwerken. Die Algorithmen auf Facebook oder Instagram kommunizieren im Gegensatz zu Mya indirekt mit den Nutzern. Sie analysieren neben den Vorlieben und persönlichen Informationen auch, welche Anzeigen angetippt wurden und spielen beim nächsten Besuch noch mehr ähnliche Posts in die Stories oder die Timeline. Instagram setzt dabei auf kurze Wege: Wer auf Jobanzeigen tippt, landet direkt auf Onlinebewerbungsformularen oder kann sich in den Jobbörsen des Unternehmens weiter umschauen. Manchmal führt das Wischen nach oben auch direkt zur Blitzbewerbung via WhatsApp-Chat.

Allerdings stoßen Social-Media-Algorithmen schnell an ihre Grenzen. Wo der Nutzer wohnt, erkennen sie zwar sofort an der IP-Adresse. Aber wer mit seinen Interessen nicht ins Raster dessen passt, was für Alter und Bildungsstand als typisch gilt, der wird bei den geschalteten Jobanzeigen schnell weiter scrollen müssen. Instagram kann schon mal hartnäckig versuchen, einer Akademikerin mit gutem Einkommen immer wieder einen Sommerjob als Erdbeerverkäuferin oder eine Teilzeitstelle im Amazon-Lager anzudrehen. Eine Lösung kann es sein, sich für die effektive Jobsuche via Social Media ein separates Konto zuzulegen. Wer hier Firmen aus der gewünschten Branche folgt und Karrieretipps für Bewerbungen liket, schickt den Algorithmus auf die richtige Spur. Dann können auch gut bezahlte Stellen etwa aus der Finanzbranche auf Instagram oder Facebook gefunden werden.

Arbeitgeber werben auf TikTok

Wenn beispielsweise Industriebetriebe über fehlende Quereinsteiger und Auszubildende klagen, liegt das häufig auch daran, dass die hoch spezialisierten Berufe in der breiten Bevölkerung gar nicht bekannt sind. Und das gilt auch für den öffentlichen Dienst. Der gewinnt zwar mit seinen sicheren Stellen und der vergleichsweise guten Bezahlung im Zuge der Coronapandemie bei vielen Menschen an Attraktivität. Was sie in den einzelnen Einrichtungen dann aber genau machen, das wissen die wenigsten. Vor allem der Kurzvideodienst TikTok spielt für Arbeitgeber eine immer größere Rolle, um Talente überhaupt erst auf sich aufmerksam zu machen und sich von der Konkurrenz abzuheben. Dabei geht es weniger um die konkrete Jobanzeige als darum, ein gutes Bild von den Anforderungen und dem Alltag im Job zu vermitteln. „Unternehmen werden sich mehr als heute um die Talente bewerben müssen – nicht andersherum und das sehe ich in klassischen Portalen derzeit nicht abgedeckt“, sagt Jörn Mecher, Gründer und Geschäftsführer von Intermate Media. Die Agentur ist auf soziale Medien und Influencer-Marketing spezialisiert.

Intermate-Kunde Aldi Nord ist beispielsweise auf TikTok vertreten. Der Discounter präsentiert sich dort nicht nur als Ort für Schnäppchenjagd, sondern auch als cooler Arbeitgeber. Die Marketingagentur selbst nutzt auf der Suche nach neuen Mitarbeitern ebenfalls TikTok und bedient sich dabei des besonderen Tonfalls, der das Netzwerk ausmacht. Im Gegensatz zu den traditionellen text- oder bildbasierten Plattformen zieht TikTok mit dem kurzen Videoformat insbesondere junge und kreative Menschen an, die oft kaum andere soziale Netzwerke nutzen. „33 Prozent der TikTok-Nutzer sind nicht auf Instagram – schalte ich dort meine Job-Ads, erreiche ich gegebenenfalls gar nicht die richtigen Bewerber“, erläutert Mecher.

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Theoretisch lassen sich laut dem Experten auch auf dieser Plattform alle Arten von Jobs finden. „TikTok hat circa 16 Millionen monatlich aktive Nutzer in Deutschland“, schätzt er. Einem möglichen Arbeitgeber auf TikTok zu folgen, kann sich nach Ansicht des Experten noch in anderer Hinsicht lohnen. So bleibe man bei Kampagnen oder Entwicklungen im Unternehmen auf dem Laufenden: „Das kann mir im Bewerbungsgespräch den entsprechenden Vorteil bieten.“

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