Widerworte
Quelle: imago images

Das Dunning-Kruger-Syndrom ist überall, die Idiokratie ist Alltag

Über den Fachkräftemangel reden, ohne selbst vom Fach zu sein? Das geht! Kompetenz aber ist, wenn das Problem gelöst ist. Alles andere ist Idiokratie.

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Im Jahr 2006 kam die Science-Fiction-Komödie Idiocracy des amerikanischen Regisseurs Mike Judge ins Kino. Dieses Werk zeichnet eine interessante Alternative zu den bisherigen Varianten der Zukunftsaussichten, die entweder voller Licht (Utopien) oder Schatten (Dystopien) sind. Gut, richtig zuversichtlich ist das Werk jetzt nicht, eher so optimistisch wie in dem alten Witz aus der US-Serie WestWing, wo wir lernen: „Schlimmer kann es nicht kommen“, sagt der Pessimist. Darauf der Optimist: „Doch, das geht!“

Das stimmt. Bei Idiocracy sehen wir zu Beginn Szenen aus zwei ziemlich unterschiedlichen Milieus. Da ist einmal ein wohlhabendes, intelligentes Akademikerpärchen, das so lange über den richtigen Zeitpunkt für die Fortpflanzung nachdenkt, bis es ihn verpasst. Milieu Nr. 2 wird am Beispiel eines fluchenden, freizeitaffinen, bierdosenzerquetschenden Prolls beschrieben, der sich mit jeder Frau paart, die ihm über den Weg läuft. Die Evolution, so erklärt uns ein Sprecher dieser Szenen im Hintergrund, war viele Millionen Jahre lang das Spiel, in dem die Smarten nach vorne kamen, und deshalb ging die Entwicklung unserer Spezies doch insgesamt ganz ordentlich voran.

Früher.

Das Fazit der Komödie: Weil die Klugen zu dumm sind, um ihre Probleme zu lösen, vermehren sich die Doofen wie verrückt. Ein Zeitsprung ins 26. Jahrhundert zeigt uns dann eine Welt, in der es vorwiegend Idioten gibt, die sich für clever halten und die den ganzen Tag nur Gatorade trinken, weil sie der Regierungspropaganda glauben, die einen Werbevertrag mit dem Laden hat, und behauptet, Wasser wäre gefährlich.

Ha!, rufen Sie jetzt, was soll daran denn Science-Fiction sein, und warum erst im 26. Jahrhundert!? Das haben wir doch alles schon! An Idioten herrscht kein Mangel. Aber woher wissen wir, was wir wissen?

1999 haben die amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger die Frage gestellt, ob Menschen in der Lage sein können, ihre eigene Kompetenz richtig einzuschätzen. Sie wandten sich der Alltagsbeobachtung zu, die wir alle kennen: Dass Leute, die etwas nicht so gut können, schreiben zum Beispiel, sich trotzdem für begnadete Autoren halten können. Im Sport, beim Autofahren und im Beruf ist das nicht anders. „Dunning Kruger zeigten, dass schwache Leistungen bei solchen Menschen häufig mit größerer Selbstüberschätzung einhergehen als stärkere Leistungen“, so die Wikipedia zu den Einsichten der Arbeit. Die eigenen Fähigkeiten überschätzen? Die Talente und Fähigkeiten anderer nicht erkennen? Die eigene Unfähigkeit nicht richtig einordnen können? Jetzt klingelt’s, aber an der richtigen Stelle!

Das kennen wir, denn das Dunning-Kruger-Syndrom ist überall, die Idiokratie ist Alltag.




In der Firma erklären uns Besserwisser, die in Dunning-Kruger-Systemen groß wurden und nichts auf die Reihe kriegen, wie es geht, wenn es denn ginge. Und der Fachkräftemangel, geboren aus einer demografischen Delle, macht es noch schlimmer – nicht nur, weil die Fachkräfte fehlen, sondern vor allem wegen derer, die nach wie vor für Fachkräfte gehalten werden. Fachkräfte, das klingt nach „vom Fach“, nach Leuten, die ein Problem lösen können und die nicht nur darüber reden. Aber was da unter dem Druck des Mangels von vermeintlichen Fachkräften inzwischen alles ein- und angestellt wird, blitzgeschult, was da dann vor sich hinprogrammiert und plant, bastelt und hämmert und oft genug auch einfach nur nutzlos herumsitzt, das wiederum erinnert doch immer wieder ganz, ganz stark daran, worauf uns Dunning-Kruger & Judge vor mehr als zwei Jahrzehnten aufmerksam machten: Wenn Leute doof sind, merken sie nicht, dass sie doof sind und dass sie Doofes tun, und irgendwann halten wir ihr Level für den Standard.

Das ist auch ein Hinweis darauf, dass wir falsche Leistungs- und Bildungskriterien haben. Wo ein formaler Abschluss mehr wert ist als eine gute Praxis, wo Karrierepunkte, Zeugnisse und Stempel wichtiger sind als Können, kommt man so weit. Dann stellen die B-Leute mit Zertifikat die C-Leute mit Zertifikat ein, die dann D-Leute … Bis zum Z ist es ein langer Weg; wir sind ihn gegangen.

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Und dass wir uns nicht missverstehen: Das ist keine Frage von Alt oder Jung. Selbstüberschätzung kennt kein Alter und keine Klassenschranken. Und nein, mehr Fleiß wird das Problem nicht lösen. Idioten sind nämlich auch fleißig, sehr sogar, das ist ja das Problem. Kompetenz hingegen zeigt sich nur durch Ergebnisse: Tropft der Hahn noch, wenn der Klempner wieder gegangen ist? Fahren die Züge, wie sie sollen? Ist das wirklich Breitband oder nur Blabla? Kompetenz ist, wenn das Problem gelöst ist. Alles andere ist – Idiokratie.


Lesen Sie auch: Widerworte – Was diese Kolumne schon wieder soll – und was nicht.

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