WirtschaftsWoche: Frau von Mutius: Headhunter werben mit ihrem Bauchgefühl und ihrer Erfahrung. Sie wollen das Geschäft automatisieren. Wie soll das gehen?
Annika von Mutius: Natürlich wäre es für Jobsuchende ideal, immer einen persönlichen Kontakt während der Stellensuche zu haben. Aber das ist für den Massenmarkt einfach nicht umsetzbar. Zwar sind wir von voll automatisiertem Recruiting noch einige Schritte entfernt, aber ich bin davon überzeugt, dass wir perspektivisch einen sehr großen Teil der Prozesse durch künstliche Intelligenz ersetzen können – hin zu einem Robo-Headhunter, der auf die individuellen Präferenzen eingeht und objektive Entscheidungen trifft. Wenn wir dazu kommen, dass auch die Unternehmenskultur und die eigenen Werte in die Vorauswahl aufgenommen werden, ist das sehr wertvoll für Bewerber und Personalabteilungen.
Wer sich als Jobsuchender bei Ihnen registriert, wird zum Kulturtest geladen – und beantwortet im ersten Schritt eine Handvoll Fragen zu seiner bevorzugten Arbeitsatmosphäre. Das soll reichen, um die Menschen einschätzen zu können?
Die meisten Menschen sind zunächst überfordert darin, sich kulturell selbst einzuordnen. Wir nutzen unsere Methodik und künstliche Intelligenz, um eine individuelle Jobsuche für den breiten Bewerbermarkt verfügbar zu machen. Unter normalen Umständen reichen da ein paar Fragen natürlich nicht – ein persönliches Gespräch mit einem Headhunter hat schließlich mehr als 100 Millionen Interaktionsmöglichkeiten. Diese Menge möglicher Interaktionen reduzieren wir auf etwa acht bis zwölf Fragen; vollständig angepasst auf die Bedürfnisse der Bewerber.
In vielen Positionen werden Arbeitnehmer heute ohnehin umworben. Warum sollten die sich die Mühe machen, sich auf einer weiteren Jobplattform zu registrieren?
Die Bewerberseite war für uns zu Beginn auch eine große Blackbox. Doch der Fokus auf Werte und Kultur sorgt für einen starken Sog. Dabei geht es gar nicht nur um die, die konkret und akut eine Stelle suchen. 70 Prozent der Arbeitnehmer denken über einen Jobwechsel zumindest nach. Bei uns finden diese Menschen im ersten Schritt noch etwas über sich heraus.
Zur Person
Annika von Mutius studierte und promovierte an der privaten Hochschule WHU und arbeitete einige Jahren in einem Robotik-Start-up im Silicon Valley. Ende 2021 schloss sie sich mit Larissa Leitner zusammen. Ihre gemeinsame Gründung Empion definiert sie als „automatisiertes Headhunter-System“ und verspricht, Bewerber und Firmen mit passendem Werteprofil zusammenzubringen. Das Start-up erhielt im vergangenen Jahr eine Anschubfinanzierung über 2,4 Millionen Euro von Risikokapitalgebern wie VR Ventures oder Redstone VC.
Und auf der anderen Seite gibt es tatsächlich Unternehmen, die sich in ihrem Kulturfragebogen gerne als „prozesskonform“ verorten?
Bewerber interessiert in erster Linie eine authentische Darstellung. Wenn die nicht gelingt und die Kultur von neuem Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zusammenpasst, ist das für die Unternehmen eine teure Fehlentscheidung. Wir unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Kulturen. Es geht darum, zwischen verschiedenen Arten von Unternehmenskultur zu differenzieren. Nicht jeder will bei Tesla arbeiten – manche sind bei einem Finanzamt wahnsinnig zufrieden. Wichtig ist für beide Seiten, dass man dort arbeitet, wo man gut hinpasst. Dann bleibt man länger und ist zufriedener.
Diese Methodik allein verhindert verfälscht dargestellte Unternehmenskulturen?
Wir validieren die Kultur nicht nur unter den Geschäftsführern, sondern auch unter den Mitarbeitern. Je nach Unternehmensgröße sollten fünf bis zehn Prozent der Belegschaft ebenfalls das Umfragetool ausfüllen. Das ist übrigens unser überzeugendstes Argument für den Betriebsrat: Die vorhandenen Mitarbeiter können so mit darüber entscheiden, wie ihre neue Kollegin oder ihr neuer Kollege tickt.
Wie neugierig sind Unternehmen denn gerade in der Krise auf neue Recruiting-Tools?
Man spürt, dass einige Firmen etwas vorsichtiger werden, was ihr Budget betrifft. Aber vor allem testen sie genauer, welche Kanäle für sie effektiv sind. Und da spüren sie, dass das Verteilen von Stellenanzeigen auf generischen Jobportalen nicht mehr funktioniert. Sie müssen zunehmend genau wissen, welche Persönlichkeit sie für eine Stelle suchen – erst dann wissen sie, auf welchen Kanälen sie diese erreichen. Das kann neben Tiktok auch Instagram oder Spotify sein, da muss man viel testen.
Sie selbst setzen auf Tiktok, um Arbeitnehmer auf sich aufmerksam zu machen. Was bringt das?
In der Zielgruppe bis 40 Jahren funktioniert das sehr gut, um Menschen auf uns aufmerksam zu machen. Kurioserweise haben wir tatsächlich kürzlich unsere erste C-Level-Position über Tiktok vermittelt, mit einem Zielgehalt von etwa 250.000 Euro. Der Bewerber ist über das soziale Netzwerk auf uns aufmerksam geworden und dann in unser Netzwerk gekommen. Es ist interessant zu sehen, dass es auch in diesem Segment funktioniert. Aber unser Fokussegment, mit Gehaltsklassen zwischen 30.000 und 130.000 Euro Jahresgehalt, ist natürlich sehr viel größer und damit attraktiver für uns.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien heute bei der Jobsuche?
Auch wenn es seltsam klingt: Je privater die Jobsuche abläuft, desto effektiver ist sie. Jede Art von Social-Media-Kontaktpunkt, der vor allem passive Bewerber in ihrer Privatsphäre erreicht, funktioniert sehr gut. Wenn man den Job oder die Assoziation dazu auf den privaten Kanälen findet, dann verbindet der Bewerber damit direkt eine familiäre Atmosphäre – und der Job wird zum Wohlfühlthema.
Widerspricht das nicht dem Bild einer Generation, die zwischen Arbeit und Freizeit trennen will?
Wir sehen eher den Trend, dass die Menschen eine Beziehung zu ihren Kollegen und Vorgesetzten suchen. Die jüngere Generation hat einen großen Wunsch danach, sich mit dem Arbeitgeber zu identifizieren. Wenn das gelingt, sind sie bindungswilliger – und leistungsfähiger.
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