Obwohl Clare Devlin Social-Media-Profi ist, hatte sie mit diesen Reaktionen auf TikTok nicht gerechnet. Die 30-Jährige, eine von drei Geschäftsführerinnen der Social-Media-Beratung Folgerichtig, hatte in einem Video über eine zu besetzende Stelle in ihrem Unternehmen berichtet – und dabei betont, dass sie von Bewerbern ein Anschreiben erwarte, um einen besseren Eindruck von der Persönlichkeit hinter dem Lebenslauf zu bekommen.
Es folgte: Empörung in den Kommentarspalten. „Würde mich nie irgendwo bewerben, wo ich noch ein Anschreiben tippen muss“, schrieb jemand. „Ich schicke nur noch einen Lebenslauf“, kommentierte ein anderer.
„Ich war von den Kommentaren sehr überrascht“, erzählt Devlin. Für sie war das Anschreiben bislang fester Bestandteil einer Bewerbung. Denn der Lebenslauf allein sei in ihren Augen wenig aussagekräftig: Sie und ihre Kolleginnen wollen explizit auch Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen ansprechen. „Gerade in einem so kleinen Team ist es wichtig, dass es menschlich passt“, meint die Unternehmerin. „Und das Anschreiben ist die einzige Möglichkeit, um das im Vorfeld eines Gesprächs abzuschätzen.“ Schließlich könne sie nicht mit allen 100 Bewerbern, die sich vom Anschreiben nicht haben abschrecken lassen, ein Interview führen.
Was Clare Devlin beschreibt, ist ein Luxusproblem. Denn viele Unternehmen, vor allem kleine Firmen, sind froh, wenn sie überhaupt eine Bewerbung auf Stellenausschreibungen erhalten. „In Zeiten des Fachkräftemangels muss man es Bewerbern so einfach wie möglich machen“, betont daher Stephan Weinert, Professor für Internationales Personalmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Die Zahlen geben ihm Recht: In einer Umfrage der Jobsuchmaschine Joblift aus dem vergangenen Jahr sagte ein Drittel der 1050 Teilnehmer, sie würden sich häufiger bewerben, wenn kein Anschreiben gefordert würde. 37 Prozent räumten ein, ihnen falle das Verfassen eines solchen Briefs schwer.
Und dennoch sind für den Großteil der Personaler die Bewerbungsunterlagen eines der zentralen Auswahlkriterien. Eine Studie der Universität Hohenheim kam zu dem Ergebnis, dass mehr als 80 Prozent der 140 befragten Unternehmen immer noch solche Unterlagen einfordern. Im Jahr 2007 waren es allerdings noch 99 Prozent.
ChatGPT, schreib mir eine Bewerbung!
Für Personalexperte Weinert spricht nicht nur der Abschreckungseffekt gegen die Forderung nach einem Anschreiben. Er hält die Aussagekraft eines solchen Textes für gering. „Jeder kann sich in der Ratgeberliteratur anschauen, wie ein solches Schreiben aussehen muss und es dann einfach kopieren“, sagt Weinert. „Sobald nun auch Bewerber künstliche Intelligenz einsetzen, kann der Personaler doch gar nicht mehr unterscheiden, was der Algorithmus geschrieben hat und was tatsächlich persönlich formuliert wurde.“
Diese technische Entwicklung reduziere den Nutzen des Anschreibens immer weiter. Sein Urteil: „Das Anschreiben in der Personalauswahl gehört abgeschafft, da es Fehlinterpretationen Tür und Tor öffnet.“
Und tatsächlich könnten solche Robo-Anschreiben künftig häufiger in den Postfächern der Personaler landen. Laut einer Umfrage unter mehr als 3000 Menschen, die sich aktuell nach einem neuen Job umsehen, haben knapp 13 Prozent schon mal mit Unterstützung von ChatGPT ein Anschreiben formuliert. 36 Prozent haben sich dieser Technik zwar noch nicht bedient, können sich das aber durchaus vorstellen, verrieten sie dem Anbieter von HR-Lösungen Softgarden.
Unternehmerin Clare Devlin ist dennoch der festen Überzeugung, dass jede Bewerbung eine persönliche Note braucht. „Ich habe bei dieser ganzen Diskussion im Netz einiges gelernt“, berichtet die Social-Media-Beraterin. „Bei dem Wort Anschreiben denken alle an dieses formatierte Word-Dokument. Mir geht es aber einfach nur darum, etwas über die Bewerber zu erfahren. Das kann in einer Mail oder in einem Video sein.“ Eine Bewerberin habe sogar mal eine Grafik über ihren Werdegang eingeschickt. „Wenn ich aber ein Anschreiben bekomme, das mit 'Sehr geehrte Damen und Herren' beginnt, obwohl in unserem Team kein einziger Mann arbeitet, weiß ich, der Bewerber hat sich nicht mit unserem Unternehmen auseinandergesetzt.“
So optimieren Sie Ihren Lebenslauf
Ein Lebenslauf sollte sich maximal auf zwei Seiten erstrecken. Halten Sie Ausbildungsabschnitte und Qualifikationen, die für den Job irrelevant sind, kurz. Streichen Sie auch Angaben wie den Familienstand oder die Nationalität – diese sind im Lebenslauf nicht notwendig.
Quelle: Lebenslauftipps des Personaldienstleisters Robert Half
Haben Sie im Lebenslauf Zeitabschnitte ausgelassen, weil sie keinen Bezug zur Karriere haben? Vermeiden Sie Spekulationen, die möglicherweise gegen Sie sprechen, und schließen Sie die Lücken wahrheitsgemäß – sei es mit der sechsmonatigen Weltreise zwischen zwei Jobs oder der mehrjährigen Elternzeit.
Der Lebenslauf sollte keine Rechtschreib- oder Grammatikfehler aufweisen. Nutzen Sie die Autokorrekturfunktion in Word, um Tippfehler zu verbessern. Bitten Sie nach der Überarbeitung des Lebenslaufs einen Freund oder Bekannten, ihn auf Fehler zu prüfen.
Besticht Ihr jetziger Lebenslauf durch ein extravagantes Design mit eigenen Logos oder vielen Farben? Verabschieden Sie sich davon und halten Sie das Layout schlicht. Es soll den Lebenslauf unterstützen und nicht vom Inhalt ablenken. Eine einheitliche Schriftart und -größe sowie ein stringenter Aufbau machen hingegen einen ordentlichen Eindruck.
Überprüfen Sie auch die Gliederung ihres Lebenslaufes. Ordnen Sie ihn gegebenenfalls in thematische Blöcke wie Berufserfahrung und Ausbildung. Es gilt, die Erfahrungen beginnend mit der aktuellen Angabe aufzulisten und relevante Aufgabengebiete in wenigen Worten zu beschreiben. Damit die Formatierung des Lebenslaufs beim Versand nicht verschoben wird, sollten Sie das Dokument nach der Überarbeitung in ein PDF umwandeln.
Überprüfen Sie die angegebenen Qualifikationen in Ihrem Lebenslauf. Haben Sie etwa eingerostete Französischkenntnisse aus der Schulzeit noch als konversationssicher angegeben? Passen Sie das Sprachniveau in dem Fall lieber auf „Grundkenntnisse“ an. Im Vorstellungsgespräch oder später im Job kann diese kleine Lüge schnell ans Tageslicht kommen. Seien Sie insgesamt ehrlich und löschen Sie die Qualifikationen, über die Sie nicht mehr oder nur wenig verfügen.
Ein Bewerbungsfoto darf nach dem Gleichstellungsgesetz nicht mehr vorausgesetzt werden, ist in Deutschland jedoch nach wie vor üblich. Daher empfiehlt es sich, ein Lichtbild im Lebenslauf aufzunehmen, um einen ersten persönlichen Eindruck zu hinterlassen. Wenn Ihr derzeitiges Bewerbungsfoto schon etwas in die Jahre gekommen ist, sollten Sie gegebenenfalls ein neues Foto machen lassen. Bei Bewerbungen in den USA und in Großbritannien sind Bewerbungsfotos hingegen unüblich.
Persönlichkeitstest statt Bewerbungsschreiben
Weinert kennt diese Argumente von Unternehmen und warnt, nicht zu viel in die Anschreiben hineinzuinterpretieren. „Manche Personaler zählen Rechtschreibfehler und schließen dann auf die Sorgfalt des Bewerbers“, sagt er. „Solche alltagspsychologischen Zusammenhänge sind nicht geeignet, um Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern zu identifizieren.“ Er empfiehlt, die Bewerber anstelle eines Anschreibens einen Persönlichkeitstest ausfüllen zu lassen. „Dieser ist ein guter erster Filter. Danach sollte dann ein strukturiertes Interview folgen.“
Obwohl die Validität solcher Tests belegt sei, würden viele Unternehmen immer noch davor zurückschrecken. „Für die Verantwortlichen ist es vermeintlich einfacher, ein Anschreiben zu interpretieren, als einen psychologischen Test auszuwerten“, sagt der Professor für Personalmanagement. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass mit zunehmendem Bewerbermangel immer weniger Firmen Anschreiben fordern werden.
Unternehmerin Devlin sieht das ähnlich. „In Bereichen wie IT oder in Branchen, in denen die Azubis knapp sind, haben Unternehmen sicherlich Nachteile, wenn sie ein Anschreiben fordern“, meint sie. Das sehe sie auch bei ihren Kunden, die sie unter anderem beim Social-Recruiting unterstützt. Die 100 Bewerbungen auf die Stelle der Geschäftsführungsassistenz in ihrem Unternehmen haben ihr allerdings gezeigt, dass ein beliebter Arbeitgeber durchaus mehr verlangen kann als eine stumpfe Weiterleitung des LinkedIn-Profils.
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