Elterngeld-Neuregelung Wer Spitzenverdienern jetzt die Elternzeit finanziert

Neue Einkommensgrenzen beim Elterngeld: Vor allem sehr gutverdienende Mütter werden betroffen sein. Quelle: dpa

Paare, die ein Einkommen von mehr als 200.000 Euro haben, werden zukünftig kein Elterngeld mehr erhalten. Wirtschaftskanzleien machen betroffenen Mitarbeitern nun eigene Angebote, die mitunter sehr lukrativ sind.

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Schon seit Jahren beobachtet Christine Volohonsky immer das gleiche Schema. „Junge, qualifizierte Top-Anwältinnen machen bei uns einen super Job“, sagt die Partnerin der Kanzlei Noerr, die sich dort um Personalthemen kümmert. „Doch kurz vor der Geburt des ersten Kindes oder unmittelbar nach der Elternzeit verlieren wir sie.“ Die Anwältinnen würden häufig in die Rechtsabteilungen von Unternehmen oder in den Staatsdienst wechseln. „Junge Frauen fragen uns ganz häufig: Großkanzlei und Familie, geht das überhaupt?“

Volohonsky möchte diese Frage gerne mit „Ja!“ beantworten und hat deshalb gemeinsam mit dem Management der Sozietät einen neuen Karrierepfad ersonnen, der den neusten Entwicklungen in Sachen Elterngeld Rechnung tragen soll. 

Denn die Neuregelungen werden vor allem Mütter im Bereich der hochpreisigen Dienstleistungen von Wirtschaftskanzleien über Unternehmensberatungen bis hin zum Investmentbanking treffen. Ab dem 1. April können nur noch Paare Elterngeld beziehen, deren zu versteuerndes Einkommen unter 200.000 Euro liegt. Bisher waren es 300.000 Euro. Ab April 2025 soll die Grenze auf 175.000 Euro sinken. Laut Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft sind davon im ersten Schritt 200.000 Paare und ab 2025 noch mal 110.000 Paare unter 50 Jahren betroffen.

Auch einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kanzlei Noerr werden dann kein Elterngeld mehr bekommen, zumindest kein staatliches. „Wir wollen den Eltern vor allem in den ersten zwölf Monaten Planbarkeit ermöglichen“, sagt Volohonsky. Organisatorisch wie finanziell. Deshalb startet Noerr einen neuen Karrierepfad unter dem Namen „Noerr Family Track“. Diese Familienzeit dauert bis zu zwölf Monate und beginnt für Väter nach der Geburt des Kindes und für die Mütter nach dem Ende des gesetzlichen Mutterschutzes.

Dabei erhalten die Eltern in den ersten sechs Monaten 50 Prozent ihres Gehalts weiter, ohne dafür zu arbeiten. Trotz der Auszeit können die frischgebackenen Eltern an Trainings, ausgewählten Besprechungen und Teamevents teilnehmen, wenn sie das möchten. „Uns geht es um die Bindung der jungen Mitarbeiter an uns. Wir wollen ihnen klarmachen, dass wir sie bei ihrer Familienplanung unterstützen“, sagt Volohonsky. In den nächsten zwei bis maximal sechs Monaten können die Eltern bei reduzierter Arbeitszeit wieder einsteigen. In dieser Zeit ist es möglich, komplett aus dem Homeoffice zu arbeiten.

Tipps für die Arbeit im Homeoffice

Noerr wolle mit dem Family Track erreichen, dass vor allem die Mütter den Anschluss halten und es sich nach der Geburt „unproblematisch wieder zutrauen“ ihre Arbeit aufzunehmen. Denn, das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, immer noch sind es die Frauen, die ein Großteil der Kinderbetreuung übernehmen. Im Jahr 2023 haben Mütter durchschnittlich 14,8 Monate Elterngeld bezogen, bei den Väter waren es 3,7 Monate. 

Noerr Mitarbeiter, die länger als sechs Monate komplett aussteigen wollen, können weiterhin das staatliche Elterngeld in Anspruch nehmen. Zusätzliches Gehalt gibt es dann nicht. „Es geht uns nicht darum, das Elterngeld quer zu subventionieren“, stellt Volohonsky klar.

Zwei zusätzliche Monate Elternzeit – mit Gehalt

Auch bei der Kanzlei Freshfields geht man davon aus, dass die eigenen Anwälte und Anwältinnen nicht mehr vom gesetzlichen Elterngeld profitieren werden. Ein neues Angebot hat man dort dennoch nicht geschaffen. Denn seit einem Jahr gibt es die Freshfields-Elternzeit. Das bedeutet zwei zusätzliche Monate zur gesetzlichen Auszeit obendrauf. Im ersten Monat bei vollem Gehalt, im zweiten Monat bei 75 Prozent. In der Kanzlei geht man davon aus, dass diese Option nun durch den Wegfall des staatlichen Elterngeldes „noch attraktiver wird“.

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Ob andere Arbeitgeber die Änderungen beim Elterngeld ebenfalls nutzen werden, um sich als familienfreundliches Unternehmen zu präsentieren, ist unklar. Weitere angefragte Kanzleien und Investmentbanken wollten sich gegenüber der WirtschaftsWoche zu ihren Plänen nicht äußern.

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Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 17. Januar 2024. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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