Fachkräftemangel Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter dauerhaft an sich binden

Quelle: Getty Images

Die Jobwechselbereitschaft der Deutschen ist hoch. Um Kündigungen zu vermeiden, greifen Arbeitgeber oftmals zu Gegenangeboten. Was Mitarbeiter zum Bleiben bewegt – und was nicht.

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Mit der Coronapandemie kam der Verdruss: Erst in den USA, wo Millionen desillusionierter Mitarbeiter mit dem Gedanken spielten ihre Jobs aufzugeben und aus diesen Entwurzelten schließlich ein gesellschaftliches Phänomen mit dem Namen „Great Resignation“ erwuchs. Dann auch in Europa und Deutschland, wo die Wucht der Bewegung zwar deutlich abgeschwächt, aber dennoch sichtbar ankam – und bis heute anhält.

Laut aktuellem Engagement Index der Beratung Gallup sind hierzulande 45 Prozent der Arbeitnehmer auf Jobsuche oder zumindest offen für Angebote. So viel wie nie. Da in vielen Branchen ohnehin schon Fachkräfte fehlen, stehen die Arbeitgeber unter Druck – und müssen handeln.

Eine Option: wechselwillige Mitarbeiter vom Bleiben überzeugen. Das gelte vor allem für gefragte Spezialisten, Highperformer und Mitarbeiter, die besonders gut ins Unternehmen passen, sagt Vanessa Sproedt-Graef vom Personalberatungsunternehmen Robert Half. „Natürlich sind das dann meist keine Lösungen für etliche Jahre, aber zumindest kann in der Zwischenzeit beispielsweise nach einem Back-up gesucht oder neue Mitarbeiter auf die Rolle vorbereitet werden“, sagt die Managerin. Denn wer schon einmal weg wollte, schafft in der Regel irgendwann den Absprung. 

Halten statt Hiren

Und trotz dieses Bewusstsein, dass solche Maßnahmen meist nicht mehr als eine vorübergehende Lösung sind, gaben in einer Umfrage von Robert Half 32 Prozent der 500 befragten Unternehmen an, Gegenangebote der Anwerbung neuer Mitarbeiter vorzuziehen.

Das ist zum einen eine Kostenfrage, weil sowohl die Suche nach Ersatz als auch eine unbesetzte Stelle Geld kosten. Hinzu kommen Einarbeitung und die Ungewissheit, ob der oder die Neue tatsächlich in die Unternehmenskultur und ins Team passt. Viele Gründe also um das Halten dem Hiren vorzuziehen. 

von Kristin Rau, Dominik Reintjes

Damit diese Bemühungen auch erfolgreich sind, legen die Arbeitgeber einiges auf den Verhandlungstisch: Von zusätzlichem Gehalt über Beförderungen bis hin zu Weiterbildungsangeboten. „Vor allem ist wichtig, dass die Führungskraft weiß, was die Mitarbeiter vermissen“, sagt Sproedt-Graef. Standardangebote helfen selten weiter. „Jemand, der mit seiner Familie in einer Großstadt wohnt, ist für eine Gehaltserhöhung empfänglicher als ein junger Mitarbeiter, der mehr Freiheiten etwa zum Reisen haben möchte.“ Es komme immer auf das Gesamtpaket an.

Laut Robert-Half-Befragung sind die Mitarbeiter für Umsatzbeteiligungen und zusätzliche Urlaubstage am empfänglichsten. 68 Prozent der 1000 befragten Arbeitnehmer würden ein Gegenangebot, das neben einem höheren Gehalt eine dieser beiden Optionen enthält, annehmen.



Diese Erwartungen decken sich nur teilweise mit dem, was die Arbeitgeber bereit sind, zu bieten. Sie setzen vor allem auf Weiterbildungen (57 Prozent), Jobtickets (52 Prozent) oder flexiblere Arbeitszeiten (52 Prozent). 



„Die Möglichkeiten der Arbeitgeber sind nicht unbegrenzt“, betont Sproedt-Graef. Gibt es beispielsweise Vereinbarungen zum Homeoffice, können diese nicht einfach für bestimmte Mitarbeiter ausgesetzt werden. Auch Absprachen mit dem Betriebsrat zum Beispiel über Bonuszahlungen schränken die Spielräume der Führungskräfte ein. Das ist vor allem in Großunternehmen der Fall.

Auf der anderen Seite haben Konzerne einen entscheidenden Vorteil, denn häufig sind es die Führungskräfte selbst, wegen denen die Mitarbeiter das Weite suchen. „Mitarbeiter können dort einfacher in andere Abteilungen versetzt werden“, sagt Sproedt-Graef. „Kommt ein Mitarbeiter bei einem kleinen Mittelständler nicht mit dem Geschäftsführer klar, wird kein Gegenangebot ihn halten können.“

Wichtig für die Annahme von Gegenangeboten ist zudem deren Verbindlichkeit. Zwar sei es äußerst selten, dass schon im Kündigungsgespräch direkt eine unterschriftsreife Lösung gefunden wird. Aber es sollte in jedem Fall ein zügig weiterer Termin vereinbart werden, so Sproedt-Graef. „In diesem Gespräch sollten die Konditionen des Gegenangebots dann auch schriftlich besiegelt werden“, sagt die Expertin. Denn meist liegt der Vertrag des potenziellen, neuen Arbeitgebers schon unterschrieben in der Schreibtischschublade.

Unzufriedenheit früh erkennen

Noch viel besser als hastig ein Angebot zum Bleiben zu verhandeln, ist es, wenn die Vorgesetzten schon vor dem Kündigungsgespräch bemerken, dass der Mitarbeiter unzufrieden ist. Dann können sie gegensteuern, bevor ein Angebot von der Konkurrenz vorliegt. „Bemerken die Vorgesetzten, dass ein wichtiger Mitarbeiter unruhig wird, können sie zum Beispiel überlegen, ob sie eine ohnehin geplante Beförderung vorziehen können oder ihm Verantwortung für ein neues Projekt übertragen“, sagt Robert Half-Managerin Sproedt-Graef. 

Diese Strategie scheint mit Blick auf die Erfolgschancen von Gegenangeboten umso wichtiger: Nur 38 Prozent der befragten Mitarbeiter gaben an, sich durch ein Gegenangebot vom aktuellen Arbeitgeber wertgeschätzt zu fühlen.

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Auch in der Praxis ist der Verbleib des umworbenen Kandidaten keineswegs gewiss: Nur etwa die Hälfte der Gegenangebote verfängt, schätzt Sproedt-Graef: „Wer mit der Kündigung in der Hand ins Büro des Chefs geht, hat sich sehr genau mit seinem Abschied auseinandergesetzt und ist nur schwierig umzustimmen.“

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