Konzentrationsforscher „Für bessere Konzentration gibt es einfache und schnelle Dinge“

Ablenkungsquellen lauern in Büros reichlich – eine ist das eigene Handy: Es ist ein echter Konzentrationskiller. Quelle: imago images

Konzentriert zu arbeiten fällt vielen schwer. Buchautor Volker Kitz über Forschungsergebnisse, Konzentrationstipps – und wie Sie ganz einfach erkennen, ob Sie Ihr Gehirn gerade dehydrieren.

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WirtschaftsWoche: Herr Kitz, gegen den Fachkräftemangel sollen die Deutschen länger arbeiten – 42 Stunden laut einem Vorschlag des Industriepräsidenten Siegfried Russwurm. Können wir uns denn so lange konzentrieren?
Volker Kitz: Wochenarbeitszeit sagt nicht unbedingt etwas über Konzentration aus. Wir können sowieso nicht über Stunden hinweg konzentriert arbeiten, wobei das auch sehr von der Art der Tätigkeit abhängt. Ich rate immer, jede Stunde mal aufzutauchen und Pause zu machen. Viele sagen dann erschrocken: Ach, wenn ich mich mal eine Stunde am Stück konzentrieren könnte!

Wie lange sollte man sich denn am Stück konzentrieren können?
Das kann man pauschal nicht beantworten. Manche geraten in einen Flow und halten den stundenlang. Andere können sich keine Minute auf einen Text konzentrieren. Welche Beziehung wir zu unserer Tätigkeit haben, spielt dabei natürlich eine Rolle. Ein großes Problem ist die ständige Ablenkung, die uns immer wieder herausreißt.

Sie kommen in Ihrem Buch auf kleine, kurze Konzentrationspakete zu sprechen – dass wir, auch wenn wir das selbst anders empfinden, nur wenige Minuten am Stück bei der Sache bleiben können. Was hat es damit auf sich?
Es geht um die sogenannte fragmentierte Arbeit. Nach jeder Unterbrechung dauert es, bis wir wieder in die ursprüngliche Tätigkeit zurückfinden. Das Ergebnis ist Konzentration in Paketen von drei bis vier Minuten. Diese Forschungsergebnisse sind schon ein paar Jahre alt. Ich fürchte, das ist heute noch schlimmer, die Pakete sind noch kürzer.

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Warum? Man könnte auch denken: Mehr Menschen arbeiten im Homeoffice, dort lenkt der Büroalltag weniger ab und Kollegen können nicht ungeplant hereinplatzen.
Vielen ist es zuhause zu ruhig! Das hat teils skurrile Blüten getrieben, beispielsweise gibt es Simulatoren für Bürogeräusche. Da stellen Sie sich selbst einen Sound aus Klimaanlage, Tastaturgeklapper, Kaffeemaschine und Gemurmel von Menschen zusammen. Aber um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Kommunikation ist, wenig überraschend, die Hauptstörungsquelle im Arbeitsleben. Wir haben viel mehr Kanäle als früher. Die Erwartung ist zunehmend, dass Arbeitnehmer darauf auch in Echtzeit reagieren. Mittlerweile erforscht das eine eigene Disziplin, das sogenannte Human Interruption Management. Stören kann auch, dass man sich jeden Tag einen neuen Arbeitsplatz im Großraumbüro suchen muss. Und wir tragen oft selbst einen großen Teil dazu bei, indem wir von Tab zu Tab springen oder unser Handy am Platz liegen haben.

Warum sollte das Handy da nicht liegen?
Smartphones stören unsere Konzentration, wenn sie sich nur in Sichtweite befinden, selbst wenn sie abgeschaltet sind. Sie woandershin zu verfrachten, macht einen großen Unterschied.

In Ihrem Buch schreiben Sie über eine Methode gegen Prokrastination, die sich Arbeitszeitrestriktion nennt. Anders als beim Ansatz „eat the frog“, bei dem man die unangenehmste Aufgabe zuerst in Angriff nehmen soll, verbietet man sich eine unangenehme Tätigkeit. Klingt erstmal ganz nett. Wie funktioniert das?
Man verbietet sich diese Tätigkeit tatsächlich, bis auf zwei Zeitfenster von 20 Minuten am Tag, in denen man sie erledigen darf. Danach muss man wieder aufhören. Diese 20 Minuten werden unglaublich wertvoll, da sich die Längskonkurrenz verringert, also die Möglichkeit, die Aufgabe später zu erledigen. Ich praktiziere diese Methode selbst, sie setzt wirklich viel Energie und Effektivität frei.

Zur Person

Wie machen Sie das genau?
Wenn ich eigentlich sagen würde: Anzufangen lohnt sich nicht mehr, weil ich in 20 Minuten los muss – genau dann starte ich. Wohlwissend, in 20 Minuten auch wieder aufzuhören. Das hilft, in die Konzentration hineinzufinden, denn der Einstige ist immer am schwersten.

Haben Sie sonst Tipps für bessere Konzentration? Sie selbst haben ein Schweigeseminar im Himalaya besucht, um Achtsamkeit zu üben. Geht es auch einfacher?
Ich bin kein so großer Achtsamkeitsanhänger, das ist ja vor allem ein Modewort. Die Fähigkeit, in Gedanken abwandern zu können, ist ja nichts Schlechtes, zum Beispiel in unangenehmen Situationen. Es sollte nur bewusst geschehen, sonst verpassen wir einen Großteil unseres Lebens. Für bessere Konzentration gibt es tatsächlich einfache und schnelle Dinge, die meist erstmal nervös wirken: Mit den Knien wippen, Kaugummi kauen, auf Papier kritzeln. Besser stehen als sitzen, viel bewegen. Das schafft eine Grundanspannung im Körper.

Trotzdem hört man immer, dass viele ins Homeoffice gehen, wenn sie besonders konzentriert arbeiten wollen.
Es gibt Studien, die zeigen, dass wir uns alleine nicht immer besser konzentrieren. Da gibt es interessante Unterschiede. Forscher haben herausgefunden, dass uns Routinetätigkeiten leichter von der Hand gehen, wenn andere im Raum sind. Das liegt an der Anwesenheit von Artgenossen, wie die Psychologie es nennt. Auch die erhöht diese Grundanspannung. Das funktioniert bei komplizierten oder außergewöhnlichen Aufgaben nicht, da lenkt uns der Zuschauereffekt eher ab. Die können wir dann tatsächlich alleine zuhause am besten erledigen. Wer zwischen Homeoffice und Büro pendelt, kann diese Erkenntnisse für seine Planung nutzen.

Wenn Kommunikation der wichtigste Grund für Ablenkung ist, was raten Sie dann Unternehmen? E-Mails, Kollaborationstools wie Teams oder Slack, Telefon und soziale Netzwerke sind für den Austausch ja nicht mehr wegzudenken.
Ich bin kein Technikpessimist, aber man kommt nicht umhin zu sagen: Digitale Anwendungen haben nicht die beste Auswirkung auf unsere Konzentration. Es gibt sogar Studien, die nahelegen, dass sich Aktivitätsmuster in den neuronalen Gehirnstrukturen verändern könnten. Probanden konzentrierten sich nach fünfzehn Minuten Internetkonsum schlechter als nach der Lektüre einer gedruckten Zeitschrift. Gerade diejenigen, die sich für besonders multitaskingfähig halten, schneiden übrigens besonders verheerend dabei ab.



Keine gute Nachricht.
Das Technik-Rad lässt sich natürlich nicht zurückdrehen, und das wollen die meisten ja aus gutem Grund auch nicht. Der technische Fortschritt hat uns so viele Möglichkeiten gebracht. Wir sollten nur bewusst damit umgehen. In Studien hat es sich als hilfreich erwiesen, ein „Bitte nicht Stören“-Schild für ein, zwei Stunden am Tag an den Arbeitsplatz zu hängen. Das lässt sich auch in die digitale Welt übertragen. Messengerdienste ermöglichen einen entsprechenden Status. Mails lassen sich abschalten. Manche Unternehmen fördern diese Zeitfenster aktiv, in denen sich Mitarbeiter aus der Kommunikation herausnehmen. Einige führen sogar ruhige Stunden ein, also festgelegte Zeitfenster, in denen nur das nötigste kommuniziert wird. Wir sollten digitale Medien nicht verteufeln, genauso wenig allerdings die analogen als gestrig belächeln. Beide trainieren unterschiedliche Fähigkeiten. Gedruckte Texte fördern die Konzentration, und eine optisch starre Seite bleibt besser im Gedächtnis.

Es ist gerade sehr warm, so mancher schwitzt in seiner Dachgeschosswohnung am Schreibtisch. Wie wichtig ist es, genug zu trinken, um sich gut konzentrieren zu können?
Unglaublich wichtig. Ich höre oft, dass Leute genervt sind, nachzurechnen, ob sie schon genug getrunken haben. Das ist sowieso schwierig, nicht jeder benötigt die gleiche Menge Flüssigkeit. Es gibt eine wissenschaftliche Größe dafür: die Urinfarbe. Gleicht sie Champagner, hat man genug getrunken und kann sich am besten konzentrieren. Geht es in Richtung Orangenlimonade, macht man sich die Konzentration unnötig schwer. Schon eine milde Dehydrierung bewirkt, dass es uns unnötig anstrengt, uns zu konzentrieren. Gefährlich wird es, wenn es in Richtung schwarzer Tee geht.


Wie sehr schadet es, nicht ausgeschlafen zu sein?
Auch die Effekte von zu wenig Schlaf sind größer, als landläufig bekannt. Experimente haben gezeigt: Wer vier Nächte am Stück nur fünf Stunden schläft, hat ähnliche Einschränkungen wie jemand mit 0,6 Promille Alkohol im Blut. Der dürfte am Straßenverkehr nicht teilnehmen. Deshalb ist es erschreckend, wenn Manager mit viel Verantwortung diese Aura vor sich hertragen: „Ich komme mit wenig Schlaf aus“. Oder der sogenannte 5 AM Club, wo Leute ganz früh aufstehen und stolz darauf sind. Das ist für die Konzentration verheerend, außer man geht schon um 9 Uhr ins Bett.

Eine letzte Frage aus persönlichem Interesse: Zucker hilft doch zumindest kurzfristig, oder?
Nein, leider nicht. Eine Metastudie vor drei Jahren hat gezeigt, dass es keine Hinweise auf einen positiven Effekt von Zucker auf die Konzentration gibt. Wohl aber, dass Süßigkeiten nach 30 bis 60 Minuten müde machen. Kurzum, Zucker schadet der Konzentration. Interessant ist: Daran anknüpfend wurde weiter geforscht. Schließlich schwören viele auf den Schokoriegel in der Schreibtischschublade.

Tipps gegen Ablenkung

Woher kommt also das Zucker-Hoch? Man kam schließlich darauf, dass es nicht der Zucker im Körper ist, sondern nur sein Geschmack, der über das Belohnungssystem wirkt und so die Ausdauer fördert. Das hat man in Experimenten daran festgemacht, dass Teilnehmer ihren Mund mit Zuckerwasser nur ausspülten und sich danach besser konzentrieren konnten. Weil der Zucker nicht in den Blutkreislauf gelangte, fielen sie nicht in das Loch. Das kann man mal ausprobieren.

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