Mehr als 7,3 Millionen Beschäftigte haben bereits innerlich gekündigt, warnt das Beratungsunternehmen Gallup deutsche Unternehmen in einer aktuellen Untersuchung. Schlimmer noch: Die Zahl der Befragten, die sicher beabsichtigten, in einem Jahr noch bei derselben Firma beschäftigt zu sein, sinke seit Jahren. Innerliche Kündigung? Was heißt das eigentlich? Und was können Führungskräfte in der Praxis dagegen tun? Fragen an die Projektmanager und Autoren Tilman Bona und Chris Schiebel.
WirtschaftsWoche: Herr Bona, Herr Schiebel, Sie fragen in Ihrem Buch „Alle sind ständig beschäftigt und geben ihr Bestes – warum kommt dabei so wenig raus?“ Haben Sie auch eine Antwort?
Chris Schiebel: In vielen Teams fehlt eine Struktur, um die Komplexität der heutigen Zeit zu managen – und das möglichst einfach ohne 100 Dokumente, die ständig gepflegt werden müssen.
Wie motiviert man sich und das Team, wenn es durchhängt?
Tilman Bona: Es reicht nicht, wie im klassischen Projektmanagement die Ziele herunterzubrechen oder sich wie beim agilen Arbeiten ganz auf die Prozesse einzulassen. Moderne Zusammenarbeit muss von Anfang an für die emotionale Bedeutung der Arbeit sorgen. Führungskräfte müssen zeigen: Was hat das mit jedem und jeder Einzelnen in ihrem Team zu tun? Was bringt mir persönlich die Beteiligung am Team?
Aber was ist, wenn jemand im Job gar keine Erfüllung sucht?
Schiebel: Wer innerlich gekündigt hat, glaubt nicht mehr daran, dass Motivation im Job befriedigt werden kann und sucht das dann in der Freizeit. Vielleicht wechseln seit zehn Jahren ständig die Führungskräfte und niemand hat sich bislang wirklich dafür interessiert, was ich leisten könnte.
Zu den Personen
Tilman Bona und Chris Schniebel sind Projektmanager. In ihrem Buch „Moderne Zusammenarbeit: vierhochzwei Erfolgsrezepte für den Teamalltag“ (Haufe) und dem dazugehörigen Podcast geben sie Tipps, wie Kollegen produktiv harmonisieren.
Wie kann eine Führungskraft da gegensteuern?
Schiebel: Am Montag mal nicht fragen „Wie war‘s im Stadion?“, sondern „Was steht auf deiner Weiterentwicklungsagenda in diesem Jahr?“ Oder: „Wie könnten wir Künstliche Intelligenz bei uns einsetzen?“
Viele fürchten, dass künstliche Intelligenz (KI) ihnen den Job wegnimmt. Demotiviert solch eine Frage da nicht eher?
Bona: Es gibt gerade zwei wesentliche Möglichkeiten für Unternehmen, mehr Wert zu generieren: der Einsatz von generativer KI oder die Verbesserung der Zusammenarbeit. Gerade jüngere Mitarbeiter erheben den Anspruch, dass Arbeit gemeinsame Visionen und Erfolge bietet.
Schiebel: Wir wollen helfen, die großen Fragen unserer Zeit zu lösen und den Job nicht nur zum Geldverdienen zu nutzen.
Aber das will eben nicht jeder. Sind solche Beschäftigte dann aus Ihrer Sicht Schwachstellen im Team?
Bona: Es muss ja nicht jeder immer 60 Stunden arbeiten oder sich für den Job überschlagen. Es gibt auch eingespielte Teams, die auf Routinen und ein nachhaltiges Arbeitstempo setzen. Wir plädieren für gezielte Intervention. Führungskräfte greifen erst dann ein, wenn das Team entscheidet, dass es ein Problem gibt.
Aber zuvor mosert das Team vielleicht schon eine ganze Weile. Und lästert womöglich über die Führung.
Schiebel: Ich wohne in München, Granteln ist hier ein Sport. Das verbindet ja erst mal. Wenn Leute sich aufregen, ist da wenigstens noch Energie – im Gegensatz zu jemandem, der sich nur mit verschränkten Armen zurücklehnt. Blubbern und Meckern sind erst mal gut. Denn dann ist noch alles möglich.
Bona: Frustration entsteht ja oft auch, weil es für immer wiederkehrende Probleme keine Lösungen gibt oder das eigentliche Ziel unklar ist.
Schiebel: Das ist das „Wir stochern im Nebel“-Dilemma. Die Zielausrichtung muss bei Teamarbeit klar sein: Wohin wollen wir? Was sind Schlüsselerfolge für dich, das Unternehmen und die Kunden? Welche positiven und negativen Assoziationen kommen auf?
Können Sie das mal konkret machen?
Bona: Wird in einem Konzern eine neue Software eingeführt, kann das Wellen schlagen: Prozesse werden umgestellt, Beschäftigte bekommen unter Umständen andere Chefs. Das ist für viele erst mal unangenehm. Ich muss als mittlere Führungskraft erklären, warum die Umstellung rational nötig ist und worin der Mehrwert für das Unternehmen, aber auch für mich besteht. Vielleicht ja darin, dass ich leichter auf Daten zugreifen kann. Diese Übersetzungsarbeit ist nicht trivial und die Grundlage für alles, was folgt. Das Gegenteil wäre: Am 1. Januar ist das neue Tool da, für Diskussionen ist keine Zeit, die Beschäftigten sollen einfach machen.
Schiebel: Wir verstricken uns gern in einer Negativspirale aus Einwand, Problem, Risiko und Angst. Da hilft es, das Positive zu betonen: Welche Chance bietet eine Veränderung, wie macht sie meine Welt besser? Was ermöglicht sie uns?
Oft bleiben nötige Veränderungen in Unternehmen allerdings aus.
Bona: Es ist wichtig, dass Entscheidungen konsequent und früh getroffen werden. Wer immer nur in die Zukunft delegiert, sorgt im Team für viel Unsicherheit.
Schiebel: Und demotiviert. Ich will nicht nur beschäftigt sein, sondern meine Zeit sinnvoll einbringen. Wenn alles tierisch lahmt, erstickt das große Ambitionen.
Wer rasch entscheidet, kann aber auch schnell den Überblick verlieren.
Bona: Deshalb ist es wichtig, Projekte in verdaubare Happen zu schneiden. Welche Etappen bringen uns dem großen Ziel möglichst wirkungsvoll näher? Bei dem Beispiel der neuen Software könnte das von der Vorbereitung der Einführung bis zu dem Tag reichen, an dem das Tool Alltag geworden ist.
Sie plädieren für ein tägliches Morgenmeeting, maximal 15 Minuten lang, bei dem sich jeder zu Wort melden soll. Wie groß darf ein Team da sein, 15 Leute?
Beide: Das ist zu viel.
Schiebel: Entrümpelt Eure Dailys: Alle raus, die nicht aktiv dran mitarbeiten. Das betrifft auch Manager. Dann nur darüber sprechen, was auf der Agenda steht und was Wert erzeugt hat: Was hast du gestern gewuppt und gelernt, was hast du heute vor und wen brauchst du dafür? Das erzeugt eine Pflicht zum Reflektieren und dauert nicht länger als drei Minuten.
Bona: Tägliche Morgenmeetings funktionieren allerdings nur, wenn man Vollzeit in dem Team arbeitet. Ansonsten könnte es ein wöchentliches Treffen sein, um Aufgaben und Erfolge zu besprechen.
Sie definieren in Ihrem Buch 16 Tipps für gutes Teamwork. Das klingt nach einer Vollzeitstelle allein für die Organisation.
Bona: Man muss kein Scrum-Master sein, um Teamarbeit zu verbessern. Unsere Ratschläge sollen wie ein Kochbuch sein und inspirieren, wenn ein Projekt nicht so läuft oder man eine Leitungsrolle übernimmt.
Schiebel: Man kocht ja auch nicht alle Rezepte aus einem Kochbuch gleichzeitig. Das kann ja keiner verdauen.
Bona: Außerdem kann in modernen Teams jeder und jede die Zusammenarbeit mitgestalten. Ich habe das in einem Konzern erlebt: Da hat die Assistentin, die vorher vor allem Terminkoordination gemacht hat, Scrum-Master-Aufgaben übernommen. Das war für sie eine echte Bereicherung.
Lesen Sie auch: Wie viel Anwesenheit ist wichtig? Ein paar Kniffe, sodass Kreativität und Loyalität nicht verloren gehen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst im Januar 2024. Aufgrund des hohen Leserinteresses zeigen wir es erneut.