Personalpolitik Mit dieser Kehrtwende gefährdet SAP seine Glaubwürdigkeit

Quelle: imago images

Flexibles Arbeiten und Familienfreundlichkeit hat SAP in den vergangenen Jahren besonders betont. Damit ist jetzt Schluss. Der Softwarekonzern dreht die Zeit zurück. Ein Kommentar.

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Fast wäre es untergegangen: Der Softwarekonzern SAP hat in dieser Woche einen umfangreichen Vorstandsumbau verkündet. Doch andere Nachrichten, die der Konzern nicht als Pressemitteilung verschickte, überlagerten die Neubesetzung: SAP hat seine weltweit rund 112.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offiziell dazu verpflichtet, künftig drei Tage pro Woche ins Büro zu kommen. Ein groß angekündigtes Programm für die Familienfreundlichkeit zieht das Unternehmen derweil zurück: die sechs Wochen bezahlten Sonderurlaub für Mitarbeitende, deren Partnerin gerade ein Kind bekommen hat. Dieses Angebot war erst im September beschlossenen worden.

Es ist eine radikale Kehrtwende, mit der SAP seine Beliebtheit als Arbeitgeber weiter aufs Spiel setzt. Im Dezember schon hatte ein neues Mitarbeiter-Bewertungssystem Kritik hervorgerufen. Und im exklusiv für die WirtschaftsWoche erstellten Arbeitgeberranking der Beratungsgesellschaft Universum ist SAP 2023 deutlich abgerutscht. Ein Grund auch: der Abbau von 3000 Stellen. Universum stellte zudem fest, dass die Befragten das Unternehmen in Bezug auf das meist wichtige Argument für einen Job schlechter wahrnehmen: das Grundgehalt.

Das Bild von SAP als vorbildlicher, fürsorglicher und vorsorgender Arbeitgeber bekommt gerade tiefe Risse. Das ist besonders bemerkenswert, weil SAP dieses Image in den vergangenen Jahren selbst stark in den Vordergrund gestellt hat. Zurecht. Schließlich hat (oder hatte) das an der Börse wertvollste deutsche Unternehmen große Freiheiten, die es an die Belegschaft weitergab: vergleichsweise gute Bezahlung, Aktienpakete, Unterstützung beim Hauskauf und Flexibilität für Eltern.

Umso erstaunlicher ist es, dass SAP den Sonderurlaub für junge Eltern nun wieder abräumt – und behauptet, schuld daran sei die Bundesregierung. Ein Unternehmenssprecher verwies auf Pläne von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die nicht wie geplant umgesetzt worden seien: „Wir nehmen dies zum Anlass, unsere eigenen Pläne in diesem Bereich ebenfalls zu überprüfen.“

Klar, die Bundesregierung taugt fast immer als Sündenbock. Es stimmt, Paus hat Pläne, die über dieses Stadium seit weit mehr als einem Jahr nicht hinauskommen. Im September 2023 sprach sie von einer „Familienstartzeit“. Die Idee: eine zweiwöchige bezahlte Auszeit für Partnerinnen und Partner nach der Geburt eines Kindes. Das SAP-Programm sollte auf dieser Familienstartzeit aufsetzen. Es hätte aus den zwei Wochen der Regierung und vier weiteren Wochen bezahltem Sonderurlaub bestanden. Im November 2022 hatte Paus in einem Interview eine Umsetzung für das Jahr 2024 angekündigt. Einen konkreteren Termin gab es nie.

Jetzt, nach einer Woche im neuen Jahr, zu behaupten, die Bundesregierung pennt, ist zwar grundsätzlich nicht falsch, aber ein vorgeschobenes, schäbiges Argument. Dass es bis Anfang Januar ein Gesetz geben würde, war schon im September unrealistisch. Und das Programm könnte SAP auch ohne Gesetz umsetzen.

Es geht um viel mehr als ein Gesetz, das nicht verabschiedet wird. Die Abkehr des Konzerns von zwei familienpolitisch und unternehmenskulturell so wichtigen Projekten, flexibles Arbeiten im Homeoffice und mehr Zeit fürs Elternsein bei vollem Lohnausgleich, ist Ausdruck einer grundlegend veränderten Personalpolitik. Nach dem Motto: mehr Erreichbarkeit, weniger Vereinbarkeit.

Und sie fällt unmittelbar zusammen mit einer personellen Neuaufstellung der Führungsebene. Cawa Younosi, viele Jahre Deutschland-Personalchef, der die Themen Vereinbarkeit und flexibles Arbeiten unaufhörlich und öffentlichkeitswirksam bespielte, verließ das Unternehmen im Herbst. Auf LinkedIn folgen ihm mehr als 100.000 Menschen. Berichten zufolge soll es eine Untersuchung gegen ihn gegeben haben, weil sein Führungsstil intern offenbar heftige Kritik hervorgerufen hatte. Der Sprung in den Konzernvorstand blieb ihm jedenfalls verwehrt. Auf die ausgeschiedene Personalvorständin Sabine Bendiek, die Younosi wohl gerne beerbt hätte, folgt in wenigen Tagen Gina Vargiu-Breuer, die von Siemens Energy kommt.

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Um ihrer Glaubwürdigkeit und Beliebtheit nicht weiter zu schaden, sollte die Konzernspitze in Zukunft dazu stehen, wenn sie nicht mehr an etwas glaubt – oder es sich nicht mehr leisten kann. Sonst ist endgültig Schluss mit New Work in Walldorf.

Lesen Sie auch: SAP holt seine Mitarbeiter bis Ende April zurück ins Büro – und erhofft sich davon unter anderem mehr Kreativität und neue Ideen

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