Teure Experten Ist KI-Manager wirklich der „neue, heiße Job“?

Zahlreiche Unternehmen suchen Chief AI Officer. Quelle: Getty Images

In den USA gilt der Chief AI Officer als Job der Zukunft, Musk will die Gehälter seiner KI-Ingenieure bei Tesla erhöhen, um sie halten zu können. Auch deutsche Firmen suchen KI-Manager. Das können sie und so ticken sie.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wenn Nils Janus erklärt, was sein Job bei Covestro ist, kommt nur noch mit, wer im Chemieunterricht aufgepasst hat: „Meine Hauptaufgabe ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der kohlenstoffbasierte und siliziumbasierte Intelligenzen zusammenarbeiten können“, sagt Janus – und verweist jene, die ihm nicht ganz folgen können, auf sein virtuelles Hintergrundbild im Videocall: Auf einem steilen Hügel kniet ein weiß-orangener Roboter und reicht einem Wanderer, dem der Aufstieg sichtlich schwerfällt, die Hand zur Hilfe. Maschine (siliziumbasiert) hilft Mensch (kohlenstoffbasiert).

Janus soll eben diese Zusammenarbeit im Unternehmen fördern. Seit einigen Monaten ist er Head of AI bei Covestro. Janus' Team – zwei Dutzend Datenwissenschaftler, Ingenieure für künstliche Intelligenz (KI) und KI-Berater – entwickelt Lösungen, die das Unternehmen etwa nutzt, um die Finanzplanung zu optimieren: Die KI berechnet den Liquiditätsbedarf der gesamten Gruppe, die Mitarbeiter schrauben daraufhin den finanziellen Puffer bei den Banken herunter, die Zinskosten sinken. Janus trägt das Wissen über KI ins Management und in die einzelnen Abteilungen, entwickelt die KI-Strategie des Dax-Konzerns.

Head of AI, das klingt klingt nach Zukunft. Nach Innovation. In anderen Firmen heißt Janus' Stelle Chief AI Director. Und das entsprechende Akronym, CAIO, ist in der Managementwelt obendrein noch nicht vergriffen.

In den USA gilt der CAIO als Managementjob der Zukunft. Die „New York Times“ fragte kürzlich: „Der angesagteste Job in Amerikas Unternehmenswelt?“ Und für das Portal Bloomberg ist der KI-Manager bereits der „heiße, neue Job, der mehr als eine Million Dollar einbringt“. Und Tesla-Chef Elon Musk beklagte jüngst die schwindelerregenden Gehälter, die nötig seien, um KI-Experten überhaupt noch halten zu können.

KI-Experten auch in Deutschland gefragt

Die Begeisterung für KI schwappt nach Deutschland über. Auf der Karriereplattform LinkedIn finden sich bereits zahlreiche CAIOs, Heads of AI oder KI-Manager, die bei deutschen Firmen arbeiten: beim Pharmakonzern Merck und bei der Deutschen Bahn, bei Vodafone und der Ergo Group, bei Autobauer Porsche und DHL. Mit dem AI Act bringt die EU ein großes Regelwerk zum Einsatz der Technologie auf den Weg. Und während die Politiker, bedrängt von allerlei Lobbyisten, deren Chancen und Risiken ausloten, stellen sich auch viele Unternehmenslenker die grundsätzliche Frage: Was bringt KI unserem Business? Und wie überzeugen wir die Belegschaft davon?



Laut Zahlen der Jobplattform Indeed haben in Deutschland aktuell fast drei Prozent aller Managementstellen einen Bezug zu Künstlicher Intelligenz. Anfang 2019 waren es weniger als zwei Prozent. KI erhält in allen Bereichen Einzug. Zwischen Januar und November 2023 zählte das Berliner Marktforschungsunternehmen Index mehr als 195.000 Stellenanzeigen, in denen die Begriffe „Künstliche Intelligenz“ oder „KI“ vorkamen. Deutlich mehr Stellen als im gesamten Jahr 2022. Und mehr als zweieinhalbmal so viele wie noch 2019.

Die CAIOs sollen all die neuen Mitarbeiter mit KI-Wissen führen. Eine KI-Strategie entwickeln. Tippgeber für das Topmanagement sein. Erklären, was geht – und was nicht. Was müssen sie dafür können? Und wie finden Firmen sie?

KI-Experten werden vom Techie zum Manager

Nils Janus ist studierter Mathematiker. Zu Covestro kam er vor sechs Jahren, um das dortige Wissen um maschinelles Lernen und Data Science aufzubauen. „Von der Pike auf“, wie er sagt. Mit seinem Team identifiziert er, wo künstliche Intelligenz wirklich einen Mehrwert schafft. „Als Industrieunternehmen müssen wir den Erfolg von KI in Euro und Cent messen können“, sagt Janus, der sich im Studium in den Nullerjahren zum ersten Mal mit KI beschäftigte. „Das waren einfach Mustererkennungsverfahren, die eine Handvoll Verkehrsschilder unterscheiden konnten.“ Damals ein „riesiger Durchbruch“, wie Janus berichtet.

Heute programmiert Janus höchstens noch in der Freizeit. Das Verständnis für die Technologie aber ist für seine Rolle zentral. „Allein im vergangenen Jahr wurden so viele fundamentale Glaubenssätze über den Haufen geworfen, dass es nahezu unmöglich ist, mehr als zwei Monate in die Zukunft zu planen, wenn man nicht selbst aus der Domäne kommt“, erzählt Janus.

Sein Verständnis erlaube ihm eine strategische Planung – „ohne Opportunismus“. Und es erspare dem Unternehmen Kosten: Weil Janus eben auch „Nein“ sagen kann, wenn die ach so vielversprechende KI eben nicht der beste Weg ist, ein Problem seiner Kollegen zu lösen. Hinzu kommt: In Janus' Team sitzen viele Techies. Physiker, Mathematiker, Datenwissenschaftler, Neurowissenschaftler, Chemiker etwa. Als Technologen, sagt Janus, sprechen sie dieselbe Sprache.

„In einem Unternehmen, in dem jeder Bereich seine eigenen Anforderungen an KI hat und auch das Thema KI für seine Abteilung treibt“, ist Nils Janus „eine Klammer, die alles im Blick hat“. So zumindest sieht es Covestros Personalchefin Sophie von Saldern mit Blick auf die Rolle als Head of AI. Zwar seien auch die Manager in den einzelnen Abteilungen mit KI vertraut, erläutert von Saldern. „Trotzdem braucht es eine übergeordnete Struktur, die Themen nicht nur bündelt, sondern auch die AI-Entwicklungen holistisch im Blick hat.“

Die neue Rolle des CAIO

Während etliche Firmen gerade ihr Mittelmanagement ausdünnen, um keinen zu großen Overhead mit sich herumzuschleppen, gelangt mit dem CAIO eine neue Querschnittsrolle ins Führungskräfteteam. Auch ProSiebenSat.1 beschäftigt KI-Manager, setzt im Unternehmen jedoch auf flache Hierarchien. Führungskräfte, sagt eine Sprecherin, bündelten die „zahlreichen Anfragen aus verschiedenen Konzernbereichen“ und befähigten die „Fachabteilungen, selbst Wissen im Bereich Künstlicher Intelligenz aufzubauen“.

Beim Darmstädter Pharmakonzern Merck übernimmt Walid Mehanna die Aufgabe als Chief Data & AI Officer. Vor mehr als drei Jahren kam er als oberster Datenmanager zu Merck, seit Juli 2023 also auch KI. Und Mehanna ist bewusst „nicht im mittleren, sondern im Senior Management angesiedelt“, wie ein Unternehmenssprecher mitteilt. „Eine globale Funktion ermöglicht eine unternehmensweite Sicht auf Daten und KI und die Orchestrierung einer gemeinsamen Strategie rund um die Menschen, Arbeitsweisen und Technologien“. Fachwissen in der Führung sei obendrein nötig, um KI gewinnbringend, risikoarm und ethisch vereinbar einzusetzen.

IT-Experten wie Janus bei Covestro und Mehanna bei Merck sind als Manager gefragt. Viele Firmen entwickeln Informatiker im Unternehmen zu CAIOs. So wie ProSiebenSat.1 etwa. Und auch Merck hat schon vor gut fünf Jahren den ersten KI-Manager im „Innovationsbereich aufgebaut, um das Thema bei uns zu etablieren“, sagt der Sprecher.

Auf der Pirsch

Auch in der Versicherungsbranche seien KI-Führungskräfte „sehr gefragt“, heißt es von der Ergo Group. Das Unternehmen entwickelt bestehende Mitarbeiter in diese Rollen – und wirbt sie auch anderswo ab. „Die externen Führungskräfte für KI kommen dabei über persönliche Kontakte zu uns, wir treffen sie in der Fachwelt und auf Konferenzen“, lässt das Unternehmen wissen.

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Beitragsfremde Leistungen Wie der Staat die Rentenversicherung ausplündert

Ein Haufen Geld weckt Begehrlichkeiten, auch wenn er der Rentenversicherung gehört. Der deutsche Staat hat diesem Drang in den vergangenen Jahren immer wieder nachgegeben – in Milliardenhöhe.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn bei einer Zwangsversteigerung – für 1550 Euro.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die Deutsche Bahn setzt auf hauseigene Headhunter, um die KI-Manager zu finden. Anstelle der Beauftragung externer Headhunter habe das eigene Team auch schon Positionen mit KI-Experten auf Managementlevel besetzt, berichtet eine Sprecherin. Den Bedarf für Führungskräfte mit tiefem KI-Verständnis hat auch die Weiterbildungsindustrie erkannt. Die Bitkom Akademie und die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) etwa bieten Ausbildungen zur KI-Führungskraft an.

Lesen Sie auch: So kann KI Manager effizienter machen

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 3. Februar 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir haben ihn aktualisiert und zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%