Virtuelle Hauptversammlung „Träfe sich der Bundestag virtuell, hieße es, die Demokratie sei in Gefahr“

Virtuelle Hauptversammlungen, wie hier von Siemens, arten eher zu einer Art Vorstands-TV aus, meint Aktionärsschützer Robert Peres. Quelle: imago images

Viele Unternehmen setzen auch in diesem Jahr bei ihrer Hauptversammlung auf ein rein virtuelles Format. Aktionärsschützer und Anwalt Robert Peres erklärt, warum das trotz technischer Fortschritte problematisch ist.

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WirtschaftsWoche: Herr Peres, Sie sind Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre und behalten als solcher die Hauptversammlungssaison im Blick. Wie viele deutsche Unternehmen setzen dieses Jahr auf das virtuelle Format, wie viele laden stattdessen zu einer Versammlung in Präsenz?
Robert Peres: Die Verteilung der Formate sieht ungefähr so aus wie im vergangenen Jahr. Etwa zwei Drittel der Dax-Unternehmen machen eine rein virtuelle Hauptversammlung (HV). Je kleiner ein Unternehmen ist, desto eher tendiert es zum Präsenz-Format.

Einige Dax-Konzerne wählen eine hybride Variante, etwa Henkel vor einigen Tagen. Was halten Sie davon?
Eine hybride HV, also eine Präsenzveranstaltung plus Livestream, ist der Goldstandard. Wir würden uns wünschen, dass alle Aktiengesellschaften dieses Format wählen. Die Vorteile der Präsenz-HV bleiben gewahrt, gleichzeitig können auch Aktionäre an der Veranstaltung teilnehmen, denen keine persönliche Anreise möglich ist. Aber hybride HVs sind bisher die Ausnahme. Viele Unternehmen lehnen sie ab mit dem Argument, sie hätten dadurch doppelten Aufwand.

Letztes Jahr gab es einige Technikausfälle auf virtuellen HVs. Läuft dieses Jahr wenigstens technisch alles rund?
Unternehmen haben Fortschritte bei der Technik gemacht. Auch die Rechtssicherheit ist beim virtuellen Format inzwischen gegeben. Ob Anleger mit einer virtuellen HV zufrieden sein können, nicht nur technisch, hängt aber stark vom Unternehmen ab.

Robert Peres. Quelle: Daniel Biskup/Weltbild

Zur Person:

Inwiefern?
Manche Unternehmen lassen etwa nur eine bestimmte Zahl von Fragen zu oder schränken die Redezeit ein. Damit handeln sie zwar innerhalb des gültigen Rechtsrahmens. Aber hier sollte der Gesetzgeber eventuell nachbessern. Man kann sich etwa fragen, ob der Meldetisch für Redebeiträge nicht schon ein oder zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn geöffnet sein sollte. Das klingt nach einem Detail, aber solche Detailfragen sind für Aktionäre wichtig. Die grundsätzliche Kritik, die ich am virtuellen Format habe, lässt sich ohnehin nicht technisch oder juristisch beheben.

Wie lautet sie denn?
Nach meinen Begriffen ist eine Hauptversammlung im Wortsinn virtuell gar nicht möglich. Eine Versammlung ist etwas, das in der analogen Welt stattfindet. In einem virtuellen Raum kann sich eine größere Menge an Aktionären nicht tatsächlich versammeln. Oft artet eine virtuelle HV deshalb in eine Art Vorstands-TV aus.

Auch bei Präsenz-HVs lässt der Versammlungsleiter manchmal Fragen nicht zu oder führt eine Zeitbegrenzung für Redebeiträge ein?
Das stimmt. Aber bei einer Präsenz-HV ist das Kapital mit im Raum und lässt sich nicht so einfach abspeisen wie im virtuellen Format. Ich ziehe hier gern einen Vergleich zum Bundestag, der ja auch eine Versammlung ist, die Debatten führt und Entscheidungen trifft: Träfe sich der Bundestag nur noch virtuell, hieße es schnell, die Demokratie sei in Gefahr.

Sehen Sie durch die virtuelle HV die Aktionärsdemokratie in Gefahr?
Das virtuelle Format ermöglicht es Unternehmen jedenfalls, die Aktionärsdemokratie zu beschädigen. Ob das tatsächlich geschieht, hängt vom Einzelfall ab. Ich würde es Unternehmen nicht pauschal unterstellen. Sie sollten aber vor der Wahl des HV-Formats zumindest überlegen, ob wichtige oder kontroverse Management-Entscheidungen anstehen, die eine offene Debatte im Plenum nötig machen.

Im vergangenen Jahr fanden an einigen Tagen besonders viele HVs auf einmal statt. Fördert die virtuelle HV solche Ballungen?
Tatsächlich gab es letztes Jahr an einzelnen Tagen sehr viele HV-Termine. Das hat es Aktionärsvertretern und institutionellen Investoren schwierig bis unmöglich gemacht, an allen Versammlungen teilzunehmen. Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch. Es ist allerdings kaum möglich, Unternehmen in diesem Punkt Absicht nachzuweisen. Es ist nicht verboten, Termine gleichzeitig stattfinden zu lassen. Aktionäre sind hier auf das Wohlwollen der Unternehmen angewiesen. Man kann diese Entwicklung auch nicht unbedingt auf den Trend zur virtuellen HV zurückführen: Ein Dutzend Präsenz-HVs oder mehr, an einem einzigen Tag, sind ebenfalls nicht zu schaffen.

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Mit welchem Argument entscheiden sich Unternehmen für virtuelle HVs?
Sie sagen gern, das virtuelle Format sei umweltfreundlicher und günstiger. Das sind für mich Scheinargumente. Wenn man sich die Boni-Struktur der Dax-Konzerne anschaut, ist die Kostenersparnis durch eine virtuelle HV marginal. Beim Thema Nachhaltigkeit ist mir nicht einmal klar, was genau gemeint ist: Dass Unternehmen keine Halle mieten müssen? Dass die Anfahrt für Aktionäre wegfällt? Ein nachvollziehbares Argument ist, dass sich Unternehmen im virtuellen Format besser auf Unmutsäußerungen und kritische Fragen vorbereiten können. Zum Vorteil der Minderheitsaktionäre ist das aber nicht.

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