Die Zahlenfrau
Digitalisierung ist in Deutschland Mangelware. Quelle: imago images

Raus aus der Bubble! Digitalisierung ist kein Startup-Thema

Warum nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen? Digitalisierung darf nicht als Start-up-Thema abgetan werden. Vielmehr ist Digitalisierung eine Chance für den Mittelstand. Diese Chance nutzen wir gerade nicht angemessen!

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Okay, ich steige doch erstmal mit etwas Kontext ein. Aktuell könnte man als außenstehender Betrachter meinen, dass die schillernden Berliner Start-ups die größte Aufmerksamkeit und Unterstützung – sei es von Investoren, der Politik oder den Medien – bekommen. Was dabei allerdings viele übersehen: der größte Teil der Unternehmen in Deutschland wird außerhalb Berlins gegründet.

Berlin ist zwar Deutschlands Gründungsspitzenreiter, denn im Jahr 2021 wurden 22 Prozent aller neuen deutschen Unternehmen in der Hauptstadt gegründet. Die Zahl der gegründeten Unternehmen ist 2022 im Vergleich zu 2021 übrigens deutlich gesunken, auch in Berlin mit -18 Prozent. Trotzdem ist Berlin nach wie vor Gründungsspitzenreiter.

Doch viel wichtiger: Denken wir eigentlich genug darüber nach, dass im Umkehrschluss 78 Prozent aller Unternehmen eben nicht in Berlin, sondern in allen anderen Regionen Deutschlands gegründet werden — ob in der Stadt oder auf dem Land?

Und konzentrieren wir uns eigentlich auf die richtigen Parameter, wenn wir nur auf die Anzahl der gegründeten Unternehmen blicken? Sollten wir nicht vielmehr darauf schauen, welche Unternehmen gegründet werden und was diese für einen Impact leisten? Und ja, mir ist bewusst, dass ich mit dem Wort „Impact“ ein absolutes Modewort der Start-up-Szene verwende, aber ich finde den Begriff sehr wichtig – auch außerhalb der Start-up-Bubble.

Was bedeutet denn eigentlich Impact im wirtschaftlichen Kontext? Dass wir einen positiven Einfluss auf unser Umfeld, unsere Branche, unsere Region oder eben den Planeten haben, mit den Dingen, die wir tagtäglich tun – um es mal zu vereinfachen.

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Impact heißt auch, eine Region als Wirtschaftsstandort zu etablieren – oder zu halten

Der Mittelstand spielt eine entscheidende Rolle in der deutschen Wirtschaft und hat einen großen Einfluss auf die Regionen, die besonders industrialisiert sind. Doch leider wird er oft vernachlässigt und ausgebremst, insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung. Hier möchte ich wieder den Fokus auf die oben genannten Parameter rücken. Es ist an der Zeit, über die Quantität hinauszudenken und stattdessen den Impact zu betrachten, den diese Unternehmen haben. Es geht doch darum, eine Region als starken Wirtschaftsstandort zu etablieren oder zu erhalten. Gerade kleinere Kommunen und deren Umland profitieren von lokalen Unternehmen, die eng mit der Gesellschaft verbunden sind, im Gegensatz zur Anonymität, die oft in großen Städten herrscht.

Kleine und mittlere Unternehmen übernehmen eine große Verantwortung und dienen als Vorbilder, insbesondere für den Unternehmer-Nachwuchs, den Deutschland so dringend benötigt. Doch leider werden gerade diese Unternehmen oft ausgebremst, da sie noch zu wenig digitalisiert sind. Eine aktuelle Analyse der KfW zeigt, dass ein Viertel der 3,8 Millionen deutschen KMU keinerlei Digitalisierungsaktivitäten aufweist. Das sind knapp eine Million Unternehmen, denen zum Beispiel grundlegende Schritte, wie die Digitalisierung ihres Kundenstamms fehlt.

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Dabei birgt gerade die Digitalisierung des Mittelstands eine große Chance für uns alle, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus in Europa. Es gibt 25 Millionen KMU in Europa, die einen Markt von 400 Milliarden Euro repräsentieren. Indem wir diesen Unternehmen digitale Lösungen an die Hand geben und sie unterstützen, können wir nicht nur das Rückgrat unserer nationalen und europäischen Wirtschaft stärken, sondern auch Geschäftsmodelle mit enormem Wachstumspotenzial für Tech-Unternehmen entwickeln, die die Probleme europäischer KMU mit digitalen Angeboten lösen.

Ein Unternehmen, das sich in diesem Bereich auskennt, ist Qonto. Als europäischer Marktführer im Finanzmanagement für KMU und Selbstständige verfügt das Unternehmen bereits über Expertenwissen in vier europäischen Ländern: Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien. Um mehr Einblicke in das Thema zu erhalten, habe ich Lukas Zörner, VP Germany von Qonto, um seine Einschätzung gebeten:

Lukas, was glaubst du, sind die größten Painpoints deutscher KMU?
Lukas Zörner: Am meisten leiden deutsche KMU unter der enormen Bürokratie, die in Deutschland herrscht – angefangen bei der Unternehmensgründung. Erst einen riesigen Berg an Papierkram bewältigen, dann monatelang auf eine Steuernummer warten… Das erstickt den Gründergeist natürlich im Keim. Dazu kommt: Deutsche KMU produzieren oft die im internationalen Vergleich innovativsten und qualitativ hochwertigsten Produkte – sind damit aber so ausgelastet, dass kaum mehr Zeit fürs Backoffice bleibt. Wer hat schon die Energie, sich um Lieferantenrechnungen und Ausgabenmanagement zu kümmern, wenn die deutsche Bürokratie sich wie ein Klotz ans Bein bindet? Die Konsequenz: Viele KMU arbeiten noch immer mit Systemen, die ihren Bedürfnissen schon lange nicht mehr gerecht werden. Dabei ist es auch gar nicht der Umstieg auf digitale Lösungen, der schwerfällt; stattdessen wissen viele KMU gar nicht, dass es gerade im Finanzmanagementbereich bessere Lösungen gibt, als den Status Quo. Das bremst viele deutsche KMU immer noch aus.

Wie unterschiedlich sind eigentlich die Probleme der KMU in den verschiedenen europäischen Ländern?
Wir sind in vier europäischen Märkten unterwegs und sehen ganz klar: Die Probleme europäischer KMU sind in allen Ländern gleich. Zwar gibt es aufgrund lokaler Feinheiten immer auch Herausforderungen, die nicht in allen Ländern eine vergleichbare Rolle spielen. Aber im Kern sind die Schwierigkeiten überall gleich: KMU in Europa verbringen immer noch viel zu viel Zeit mit manuellen Prozessen, für die es schon längst digitale Lösungen gibt. Dabei sollten sich KMU eigentlich mit dem Wachstum ihres Unternehmens beschäftigen können. Jeder Tag, der unnötig für die Buchhaltung oder das Spesenmanagement draufgeht, macht sich am Ende im Umsatz bemerkbar. KMU dabei zu unterstützen, das zu ändern, sollte uns als Gesellschaft und Wirtschaftsgemeinschaft dringend am Herzen liegen – auch mit Blick auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Was glaubst du, wie wir – gerade als Mitglieder der Berliner Tech-Bubble – den deutschen Mittelstand am besten unterstützen können?
Wir unterstützen den deutschen Mittelstand am besten, indem wir Lösungen bauen und anbieten, die viele der zeitraubenden Prozesse für Unternehmen deutlich vereinfachen – insbesondere im Bereich des Finanzmanagements. Egal ob auf dem Land oder in der Stadt: Wir müssen gemeinsam deutlich mehr dafür tun, dass KMU mit digitalen Lösungen in Berührung kommen; zum Beispiel auch über das Schließen von Partnerschaften zwischen Tech-Start-ups und traditionellen Anbietern, die bereits einen guten Zugang zum deutschen Mittelstand haben. Schaffen wir gemeinsam ein Bewusstsein dafür, dass es bessere Lösungen gibt, können sich KMU auch wieder auf das konzentrieren, was eigentlich wichtig ist: ihr tägliches Geschäft.

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Fazit: Indem wir uns auf die Bedürfnisse des Mittelstands konzentrieren, seine Herausforderungen verstehen und maßgeschneiderte digitale Lösungen anbieten, können wir den deutschen Mittelstand dabei unterstützen, erfolgreich zu sein.

Autorin Miriam Wohlfarth ist Gründerin von Banxware. Banxware kooperiert seit Juni 2023 mit dem in diesem Beitrag erwähnten Unternehmen Qonto, einem Finanzmanagement-Anbieter für KMU und Selbstständige, indem sie gemeinsame Finanzierungsangebote zugänglich machen.

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