Die Selbstdarstellung in den sozialen Medien kennt keine Grenzen. Influencer verdienen Millionen damit, Videospiele live im Internet zu streamen und ihren – vermeintlichen – Reichtum zu präsentieren. Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Trash-TV-Formaten geben auf Instagram und TikTok mit ihrer Schönheit, ihrem Erfolg bei Frauen und ihrem – vermeintlichen – Luxusleben an. Die immensen Reichweiten Einzelner suggerieren das Bild: Narzissmus und Selbstüberschätzung sind überall. Die Jugend, eine Generation Selbstverliebter.
Doch Mitja Back sagt: „Dieses Bild ist falsch.“ Der Psychologieprofessor von der Universität Münster hat gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam herausgefunden: Junge Menschen sind narzisstischer als ältere. Aber keineswegs narzisstischer als frühere junge Generationen. „Die Generation Me“, sagt Back, „ist einer der am besten verkauften Mythen unserer Zeit.“
Narzisstischen Menschen wohnt ein Bedürfnis nach Bewunderung und ein Mangel an Einfühlungsvermögen für andere inne. Und das seit jeher, wie Back in seinem aktuellen Buch „Ich! Die Kraft des Narzissmus“ erinnert: Der Mönch Peter soll im 13. Jahrhundert gesagt haben: „Die jungen Leute von heute denken nur an sich selbst.“ Thomas Barnes, ein Geistlicher aus dem 17. Jahrhundert, schrieb: „Die Jugend war nie frecher, ja nie auf so dreiste Art frecher!“
Die Generationen auf dem Arbeitsmarkt
Die Baby-Boomer (1946 – 1964) sind die älteste Generation auf dem Arbeitsmarkt. Diese Jahrgänge verzeichneten die höchste Geburtenrate, daher rührt auch der Name.
Die Jahrgänge der Generation X (1965 – 1979) haben einiges miterlebt: Wirtschaftskrisen, Techniksprünge, Arbeitslosigkeit, Umweltkatastrophen. Sie gilt als eine, die vor allem Wert auf ein gutes Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz legt.
Die Generation Y, auch Millennials genannt, wurde zwischen 1980 und 1995 geboren. Sie sind die erste Jahrgangskohorte, die als Digital Natives gelten.
Sie treten seit einigen Jahren in den Arbeitsmarkt ein: Die Generation Z, geboren von 1996 bis 2010. Sie sind von klein auf mit dem Internet aufgewachsen, digitale Medien haben ihr Leben von Beginn an geprägt.
Neu sind die sozialen Medien, gewissermaßen als Superspreader. TikTok, X und Instagram machen uns glauben, dass wir umgeben sind von narzisstischen Prolls. Tatsächlich führt die permanente Nutzung sozialer Medien aber nicht zu mehr Narzissmus, wie Back klarstellt. Er ist aber sichtbarer und auffälliger.
Mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit als andere Menschen würden Narzissten YouTube-Star, Kandidatin bei „Germany's Next Topmodel“ oder Kandidat bei „Deutschland sucht den Superstar“, sagt Back. Was uns leicht entgehe, wenn wir diese Formate schauen: „Der Fakt, dass wir es hier mit einer sehr lauten, aber trotzdem mit einer Minderheit zu tun haben.“
Für ihre Studie befragten die Wissenschaftler rund 270.000 Personen. Die Ergebnisse wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlicht. Die jüngsten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zum Zeitpunkt der Befragung 18 Jahre alt, bei ihnen war der Narzissmus am stärksten ausgeprägt. Back benutzt eine „Ich!-Skala“ von 1 bis 100 Punkten, um Narzissmus zu messen. Im Durchschnitt haben Menschen unter 30 Jahren zehn Ich!-Punkte mehr als solche über 50.
Narzissmus hilft beim Aufstieg
Mit zunehmendem Alter sinken die Werte konstant ab. Sie dürften aber eben „keineswegs als Generationenunterschiede missverstanden werden“, warnt der Professor aus Münster.
„Auch in meiner Studienzeit gab es jede Menge Ich-Angebereien: die cooleren Mixtapes, der fittere Körper, die tiefgründigere Beschäftigung mit sozialer Gerechtigkeit. Sie wurden nur einfach nicht so rasant verbreitet“, schreibt Back. Die neuen Studienergebnisse deckten sich mit den Erkenntnissen der Psychologie des Alterns. „Im jungen Erwachsenenalter steht häufig im Vordergrund, neue Menschen kennenzulernen und eigene Ressourcen zu erkämpfen.“ Eine gesunde Portion Narzissmus hilft beim Aufstieg. Back sagt: „Narzissten kommen eher auf ein höheres Managementlevel.“
Junge Menschen stehen am Anfang ihrer Karriere, sind vielleicht noch auf der Suche nach ihrer Bestimmung, möchten sich vernetzen und weiterkommen. Dieses Streben nimmt im Laufe der Karriere ab.
Back verweist auf eine Studie US-amerikanischer Psychologen. Sie analysierten die Narzissmuswerte von mehreren Zehntausend 18- bis 24-jährigen Studierenden, in einem Zeitraum von 1992 bis 2015. Und es zeigte sich: Junge Erwachsene in den Nullerjahren waren sogar einen Tick weniger narzisstisch als die in den Neunzigerjahren.
Lesen Sie auch: „Da will sich keiner in den ersten Arbeitsjahren ausbrennen“