Es gibt darüber hinaus aber auch unabhängige Research-Häuser, die selbst keine Handelsabteilung oder Vermögensverwaltung betreiben und so Interessenkonflikte vermeiden. Deren Analysen werden entweder vom Investor bezahlt, oder sie werden direkt vom Wertpapieremittenten – also den Unternehmen – in Auftrag gegeben. „Gerade im letzteren Fall ist die Unabhängigkeit des Analysten besonders wichtig“, so Frank. Die Befürchtung, ein Unternehmen als Auftraggeber der Analyse im Ergebnis besser als gerechtfertigt abschneiden, steht dennoch immer im Raum.
Anleger müssen sich fragen, ob sich die Mühe lohnt, die teilweise sehr umfassenden und auch sperrig formulierten Analysten-Reports überhaupt zu lesen. Die Antwort auf die Frage lautet: ja, teilweise. Wenn sie wissen, was oder welche Teile aus den Analysen wirklich für eine Anlageentscheidung hilfreich ist.
Sinn und Unsinn von Analystenschätzungen
In den Analysten-Reports steckt ganz unabhängig von der abschließenden Aktienempfehlung nämlich eine Unmenge Know-how. CFA-Dozent Schilling betont, dass Analysten auf den Unternehmensdaten und -prognosen zwar aufsetzen, aber auch deutlich darüber hinausgehen. „Sie rechnen anhand von finanzmathematischen Modellen viel weiter in die Zukunft. So diskontieren sie die bis in die ferne Zukunft erwarteten Cashflows aus Sicht der Aktionäre mit deren erwarteter Renditeforderung auf den gegenwärtigen Bewertungsstichtag und nähern sich so dem sogenannten inneren Wert der Aktie an. Dabei handelt es sich um die sogenannte Discounted-Cash-Flow-Methode.“ Anders ausgedrückt: Analysten berechnen anhand von Modellen und Szenarien zur Geschäftsentwicklung, wieviel Gewinn ein Unternehmen noch machen kann und ermitteln damit den gegenwertigen Unternehmenswert. Würde die Börse den erkennen und fair bewerten, ergibt daraus ein gerechtfertigter Aktienkurs.
Dazu, so Schilling, seien umfangreiche Methodenkenntnisse, Annahmen und Rechenschritte unverzichtbar. Je nachdem, ob dieser innere Wert vom aktuellen Kurs einer Aktie nach oben oder unten abweicht, gibt der Analyst dann eine Verkaufs- oder Kaufempfehlung für das Papier ab. „Dahinter steht die Grundannahme, dass sich ein Aktienkurs mittel- bis langfristig immer wieder diesem inneren Wert annähert“, sagt der CFA-Experte. Das sei aber vor allem theoretisch so. „Wir beobachten immer wieder irrationale Marktbewegungen, etwa durch Spekulation, die letztlich zu Kursblasen führen kann. Aber wir gehen davon aus, dass Anleger letztlich rational sind und damit auch eine Erwartung über den inneren Wert einer Aktie entwickeln."
Analyse Stand heute
Schilling wirbt für Verständnis, dass eine Analystenempfehlung immer nur auf dem letzten Informationsstand vor der Veröffentlichung beruhen könne. „Der Informationsstand und somit innere Wert einer Aktie kann sich im Zeitverlauf jederzeit ändern.“ Liegt der Analyst mit seiner Einschätzung daneben, sei Kritik im Nachhinein und auf den ersten Blick immer leicht. „Gleichwohl muss man auf den zweiten Blick im Auge behalten, dass es sich bei Aktienkursprognosen stets um die Verdichtung zukünftig erwarteter und somit unsicherer Informationen handelt, die sich im Grunde permanent verändern. Sie bilden insoweit immer den besten Informationsstand zum Bewertungsstichtag ab.“
Vermögensverwalter schätzen daher besonders die Analysen zum Umfeld, in dem sich ein Unternehmen bewegt. „Wir filtern alle Formen von Finanzmarktanalysen hinsichtlich Ihres Nutzwertes für unsere Anlageentscheidungen“, sagt etwa Vermögensverwalter Theismann. „Tendenziell liegt dabei der Nutzwert bei Marktanalysen höher als bei Unternehmensanalysen mit Aktienkaufempfehlungen und Kurszielempfehlungen. Bei der Flut von verfügbaren Analysen kommt man um einen Qualitätsfilter von Informationen nicht herum.“ Die qualitativen Analysen und die daraus resultierenden betriebs- und volkswirtschaftlichen quantitativen Analysen haben es auch Marcel van Leeuwen, Geschäftsführer von DWPT Deutsche Wertpapiertreuhand, angetan. „Diese Analysen bieten unterschiedliche Perspektiven und schärfen unsere eigenen Überlegungen.“ Auch andere Profiinvestoren nutzen lieber die Marktanalysen und den Vergleich mit Wettbewerbern als die reine Analyse des Unternehmens.