Geschädigte Aktionäre So laufen die Wirecard-Klagen

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun muss sich ab Dezember strafrechtlich vor Gericht verantworten. Derweil versuchen Aktionäre, die mit der Aktie Geld verloren haben, in Zivilverfahren zumindest etwas davon zu retten. Quelle: imago images

Wer mit Wirecard-Aktien Geld verloren hat, hat keine Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter des Konzerns, entschied das Landgericht München am Mittwoch. Auch in anderen Prozessen kommen die Kläger bisher kaum voran.

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Anleger, die durch ein Investment in Wirecard-Aktien Geld verloren haben, können das verlorene Geld nicht als Forderung in die Insolvenztabelle eintragen lassen. Das hat das Landgericht München I am Dienstag entschieden (Aktenzeichen 29 O 7754/21). Die Insolvenztabelle ist ein Verzeichnis aller beim Insolvenzverwalter eingereichten Forderungen gegen das insolvente Unternehmen. Verluste aus Aktiengeschäften gehörten nicht in dieses Verzeichnis, befand das Gericht nun.

Geklagt hatte die Fondsgesellschaft Union Investment. Sie hatte über verschiedene Fonds Aktien des Zahlungsdienstleisters gehalten, der im Juni 2020 Insolvenzantrag stellte. Das so verlorene Geld will sich die Fondsgesellschaft vom Insolvenzverwalter zum Teil zurückholen.

Aktionäre stehen hinten an

Das aber ist schwierig. Denn Aktionäre sind lediglich am Eigenkapital eines Unternehmens beteiligt. Eine rechtlich verbindliche finanzielle Forderung gegen das Unternehmen, wie sie beispielsweise Anleihegläubiger durch Kauf einer Anleihe erhalten, haben sie nicht. Deswegen sind Aktionärsansprüche grundsätzlich nie Teil einer Insolvenztabelle und werden nur bedient, falls nach Bedienung aller anderen Verbindlichkeiten noch Geld aus der Insolvenzmasse übrig ist – was im Fall Wirecard als ausgeschlossen gelten darf.

Union Investment hatte argumentiert, die Fondsgesellschaft sei nur wegen der falschen Geschäftszahlen von Wirecard zum Aktionär geworden. Sie sei daher ausnahmsweise im Insolvenzverfahren zu behandeln wie ein normaler Gläubiger. Eine Argumentation, der die Richter am Münchner Landgericht eine Abfuhr erteilten. Union Investment habe gewusst, dass sie in Eigenkapital investiere und entsprechend damit rechnen müssen, im Falle einer Insolvenz hintenanzustehen. Dass Wirecard falsche Zahlen veröffentlicht habe, spiele für diese Frage keine Rolle. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und wird wahrscheinlich noch in höheren Instanzen überprüft werden.

Für Aktionäre ist der Entscheid ein Rückschlag. Denn ohne Eintragung in die Insolvenztabelle sind die Aussichten, zumindest einen Teil des Kursschadens von Wirecard beziehungsweise aus der Insolvenzmasse erstattet zu bekommen, praktisch null. Ein anderer Weg, an Geld zu kommen, schien vielversprechender. Viele Anlegeranwälte konzentrieren sich statt auf Wirecard lieber auf den Wirtschaftsprüfer des einstigen Dax-Konzerns, EY. Der ist, anders als Wirecard, nicht insolvent. Entsprechend versprechen sie sich hier bessere Aussichten, wirklich an Geld zu kommen.

Doch auch das gestaltet sich schwierig. Der Düsseldorfer Anwalt Jens Graf zählte zu den ersten, die im Jahr 2020 nach dem Insolvenzantrag von Wirecard den Wirtschaftsprüfer ins Visier nahmen. Er will für betroffene Anleger Schadensersatz erstreiten, weil EY seine Pflichten als Wirtschaftsprüfer grob verletzt habe. EY bestreitet das und sieht sich selbst als Opfer des Milliardenbetrugs. Aber: Vor einem halben Jahr hatte das Landgericht München I die Bilanzen von Wirecard für die Jahre 2017 und 2018 aufgrund schwerwiegender Fehler für nichtig erklärt (Az. 5 HK O 15710/20). Wirtschaftsprüfer EY, der diese und andere Abschlüsse des Konzerns uneingeschränkt testiert hatte, bringt das in Erklärungsnot.

Prozesse gegen EY verzögern sich

Mehrere Klagen hat Graf gegen EY angestrengt. Getan aber habe sich bisher aber so gut wie nichts. „Es geht in den Verfahren immer noch um die Frage, welches Gericht zuständig ist“, klagt Graf. Die Verfahren laufen am jeweiligen Wohnsitz der geschädigten Aktionäre. Doch die Gerichte beriefen sich stets darauf, nicht zuständig zu sein. „Sie hoffen wohl darauf, dass sie die Fälle bald nach München abgeben können“, vermutet der Anwalt.

In München nämlich läuft derzeit ein Prozess nach dem so genannten Kapitalanlagemusterverfahrensgesetz (kurz KapMuG). In einem solchen Verfahren werden Fragen, von denen wie bei Wirecard viele geschädigte Anleger betroffen sind, zentral entschieden. Laufende Prozesse vor anderen Gerichten werden bis zu einer Entscheidung im Musterverfahren ausgesetzt. Die dort getroffenen Feststellungen sind dann später für alle Verfahren in der Sache bindend.

Seit der Insolvenz des Dax-Unternehmens Wirecard sammeln Anlegeranwälte aggressiv Mandanten ein. Doch oft werben sie mit Halbwahrheiten, übertreiben die Erfolgsaussichten – oder verklagen den Falschen.
von Martin Gerth, Georg Buschmann, Hannah Krolle

Im Fall Wirecard (Aktenzeichen 3 OH 2767/22 KapMuG) soll das KapMuG-Verfahren auch Fragen in Bezug auf Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY klären. So zum Beispiel, ob EY erstens durch falsche Testate den Betrug gefördert habe und zweitens deswegen Schadensersatz leisten müsse. EY bestreitet das.

Aktuell wird in dem Verfahren ein so genannter Musterkläger gesucht – also ein geschädigter Wirecard-Aktionär, dessen Fall stellvertretend für alle in dem Prozess verhandelt wird. Auch der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Schirp hat sich darum beworben, den Musterkläger zu vertreten. Er rechnet damit, dass das Bayerische Oberste Landesgericht noch dieses Jahr einen Musterkläger bestimmen wird.

Allerdings: Bis es wirklich Entscheidungen gibt, können Jahre vergehen. Im Fall der Deutschen Telekom etwa, die von tausenden Anlegerinnen und Anlegern wegen Fehlern im Börsenprospekt aus dem Jahr 2000 verklagt worden war, vergingen von der Auswahl des Musterklägers bis zur endgültigen Einigung Ende vergangenen Jahres anderthalb Jahrzehnte. Anlegeranwalt Schirp will deswegen, sollte er den Musterkläger vertreten, vor allem Tempo machen. „Nicht jedes KapMuG-Verfahren muss 19 Jahre dauern wie dasjenige gegen die Telekom“, sagt er. „Vielleicht kommen wir ja auch mit einem Zehntel der Zeit aus.“

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Der Düsseldorfer Anwalt Graf hat da seine Zweifel. „Alles dauert unheimlich lange“, sagt er. „Wenn es in dem Tempo weiter geht, sehe ich nicht, dass es in den nächsten 15 Jahren eine Entscheidung geben wird.“ Viel Zeit, die gegen geschädigte Anleger läuft.

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