Riedls Dax-Radar
Alles rot und im Minus: Übersicht über die Dax-Werte am Morgen des 24. Februar 2022 nach Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine. Der deutsche Leitindex krachte bis auf 13.800 Punkte, erholte sich aber im Tagesverlauf wieder etwas. Quelle: imago images

Der Tiefentest an der Börse steht erst noch bevor

Der russische Angriff auf die Ukraine und seine möglichen wirtschaftlichen Folgen haben den Dax in einen Abwärtstrend kippen lassen. Nun geht es um das Ausloten der Kurstiefen – vermutlich schon in den nächsten Wochen. 

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Nach dem ersten Schock über den russischen Angriff findet vor allem an den amerikanischen Börsen eine merkliche Erholung statt. Die fällt an der Technologiebörse Nasdaq sogar dynamisch aus. Der Nasdaq-100-Index schafft binnen weniger Stunden 3,5 Prozent Plus. Für diese Power gibt er mehrere Gründe. Zum einen ging es auch mit US-Aktien im anfänglichen Futures-Handel zunächst nach unten, bevor dann die Gegenbewegung einsetzte. Zum anderen werden Technologiewerte von der Hoffnung beflügelt, die Zinswende durch die Fed könnte angesichts der neuen Konjunkturrisiken, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst werden, nicht so heftig ausfallen wie bisher erwartet. 

In der Tat ist die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen in der ersten Reaktion auf den Überfall von 2,0 Prozent auf 1,85 Prozent gesunken. Grund dafür sind Käufe in amerikanischen Staatsanleihen, die in Krisenzeiten als sicherer Hafen gelten. Doch die Renditen haben sich danach schnell wieder auf über 1,95 Prozent erhöht. Unterm Strich haben sie sich substanziell kaum verändert. Vom Anleihemarkt gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die geplanten Zinserhöhungen aufgeschoben werden könnten. 

Das wäre auch angesichts der neuen, zusätzlichen Inflationsrisiken kontraproduktiv: Öl der Sorte Brent kostet erstmals seit 2014 wieder mehr als 100 Dollar je Fass. Der Weizenpreis ist binnen zwei Tagen um gut 15 Prozent gestiegen und hat das Top aus dem Jahr 2014 übertroffen. Nur 2008 waren die Notierungen noch ein Stück höher. Für Mais sind die Preise fast am Jahrhunderthoch. Wenn Weizen und Mais, die mit Abstand wichtigsten Getreidesorten auf den Rohstoffmärkten, so teuer sind, wird sich das deutlich in den Preisen von Nahrungsmitteln niederschlagen – und damit die Inflation nachhaltig anschieben. 

von Frank Doll, Philipp Frohn, Julia Groth, Niklas Hoyer, Anton Riedl

Ob die EZB angesichts des Krieges und der Sanktionen gegen Russland bei ihrer Zinspolitik etwas zurückhaltender sein wird als die US-Notenbank Fed, ist offen. Die jüngste Schwäche des Euros könnte so gesehen nicht nur mit der Nähe Europas zum Krieg in der Ukraine zu tun haben. Am Zinsabstand zwischen den US-Renditen und den Renditen für zehnjährige Bundesanleihen, der aktuell 1,75 Prozentpunkte beträgt, hat sich allerdings in den vergangenen Wochen praktisch nichts verändert. Eine neue Richtung der Zinspolitik lässt sich daraus nicht ableiten.

Gewichtige Einzelaktien im Dax schwer unter Druck 

Der Dax ist in der ersten Reaktion auf den russischen Angriff bis auf 13.800 Punkte gekracht. Das war das Kursniveau, auf dem im Frühjahr 2021 die zweite Phase der Coronahausse startete, nachdem der Dax sein altes Hoch aus dem Februar 2020 überwunden hatte. Unter den großen Börsen sind die Verluste am deutschen Aktienmarkt besonders heftig, weil Deutschland durch seine geografische Nähe und die Verbindungen zu Russland – vor allem in der Energiefrage – von dem Konflikt besonders betroffen ist. Im Gegensatz zum amerikanischen Markt, auf dem sich mehrere große Aktien bisher vergleichsweise gut halten (Apple, Amazon, Microsoft, Coca-Cola, Chevron), sind die Verluste der Dax-Werte erheblich. 

Linde-Aktien, nach Börsenwert die Nummer eins im Dax, sind im Zuge der jüngsten Marktschwäche erstmals seit dem Coronacrash wieder unter die 200-Tagelinie gerutscht. Die hohe Bewertung macht die Aktie seit Wochen anfällig für Rückschläge. Dabei waren die jüngsten Zahlen von Linde und die Prognosen ausgesprochen gut. Selbst wenn sich die Weltkonjunktur nun etwas abschwächen sollte, dürften die Geschäfte von Linde dank einer weitgefächerten Kundenbasis und langfristiger Lieferverträge vergleichsweise stabil bleiben. Linde-Aktien vollziehen kurstechnisch derzeit keine Trendwende, sondern stecken in einer Korrektur, sind also auf dem Weg zu einer moderateren Bewertung. Die dabei mögliche Bodenbildung könnte sich im Bereich bisheriger Schiebezonen bei Kursen zwischen 220 und 250 Euro abspielen. 

Deutlich angeschlagener sieht die Nummer zwei im Index aus, SAP. Nachdem die Aktie schon Ende Januar unter das wichtige Kursniveau bei 115 Euro gerutscht ist, ging es nun in einem Zug unter die Marke von 100 Euro. SAP kommt zwar mit seiner Cloud-Strategie voran, doch letztlich ist der Softwarekonzern über seine zahlreichen Unternehmenskunden konjunkturanfälliger als vielfach gedacht. Kurzfristig dürften die Notierungen im Bereich um 95 Euro wieder Fuß fassen. Unter 90 Euro sollte die Aktie allerdings nicht rutschen. Dann nämlich bestünde die Gefahr, dass der große, seit der Finanzkrise 2008 bestehende Trend kippt. 

Auch Siemens, Nummer drei im Dax, rutschte vor wenigen Tagen unter die 200-Tagelinie und hat um 125 Euro nun ein wichtiges Korrekturniveau erreicht. Die jüngsten Quartalszahlen waren gut, die robuste Auftragslage spricht weiterhin für einen soliden Geschäftsverlauf. Die Bewertung der Aktie ist nicht überzogen, die Dividende in Ordnung. Die nächste Auffangzone für Siemens liegt im Bereich um 120 Euro. 

Ein Sonderfall ist die Deutsche Bank. Sie hat zwar in den vergangenen Jahren ihr Russlandengagement heruntergefahren, betreibt in dem Land aber ein großes Technologiezentrum mit 1500 Mitarbeitern. Zudem wäre es für Banken generell ein Nachteil, wenn sich die Zinsen in nächster Zeit doch nicht ganz so deutlich erhöhen würden. Gut möglich, dass die Aktie im Zuge der Russlandkrise erst einmal unter Druck bleibt. Insgesamt aber ist die operative Entwicklung der Bank auf gutem Weg und die Bewertung so günstig, dass weitere Rücksetzer (vielleicht zwischen 10 und 11 Euro) eher wieder Käufer anlocken sollten. 

Fazit für den Dax: Die schon bestehenden Inflationsrisiken werden durch die Russlandkrise verschärft, das Risiko einer abkippenden Konjunktur kommt hinzu – von den Gefahren einer geopolitischen Eskalation ganz zu schweigen. Kurstechnisch ist der deutsche Aktienmarkt schwer angeschlagen: Seit der Dax unter den Bereich 14.800 bis 15.000 Punkte gerutscht ist, hat er eine große Trendwende nach unten vollzogen. Bei 32 der 40 Dax-Aktien verlaufen die aktuellen Kurse unterhalb der 200-Tagelinie. Das ist eine Baisse-Quote von 80 Prozent. Nach klassischen Regeln befindet sich der deutsche Aktienmarkt in einem zumindest mittelfristigen Abwärtstrend. 

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Bei 13.800 Punkten hat der Dax sein erstes Ziel erreicht. Ob der Markt damit schon bereinigt ist, dürfte sich erst nach einem zweiten Tiefentest zeigen. Der könnte angesichts der aktuellen Turbulenzen im Bereich 13.600 bis 14.000 stattfinden. Von da aus wäre, vielleicht im Umfeld der nächsten Fed-Sitzung Mitte März, durchaus eine technische Erholung möglich. Noch allerdings sind die aktuellen Risiken zu unwägbar und zu neu für den Markt, als dass sich davon schon eine nachhaltige Kurserholung ableiten ließe.

Mehr zum Thema: Ukrainekrieg, Inflation, Zinsangst: Wie die Sieger des exklusiven Vermögensverwalter-Rankings in turbulenten Märkten Rendite liefern, lesen Sie in unserer Titelgeschichte „Die Krisenstrategien der besten Börsenprofis“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%