Riedls Dax-Radar
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Gefährlicher Mix aus KI-Hype und verfliegenden Zinshoffnungen

Gute Unternehmenszahlen schüren den Optimismus an den Börsen und bescheren dem Dax ein neues Hoch. Doch die Hoffnung auf sinkende Zinsen schwindet – eine gefährliche Mischung. Eine Kolumne.

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Der Boom um Nvidia und andere Protagonisten der Künstlichen Intelligenz (KI) elektrisiert die Börsen. Dem Dax gelingt in diesem Sog nun sogar der Anstieg bis auf 17.400 Punkte. Zugute kommt dem deutschen Leitindex, dass KI zum Katalysator einer breiteren Börseneuphorie geworden ist, der nicht nur Technologie-Aktien nach oben reißt. 

Die Aktie der Allianz etwa, die schon seit ihrem letztjährigen Anstieg über die Marke von 235 Euro ein Kaufsignal gegeben hat, dringt nun in der Spitze bis auf 260 Euro vor. Die gerade veröffentlichten Zahlen sind gut: 2023 kletterte das Geschäftsvolumen um 5,5 Prozent auf 161,7 Milliarden Euro; ein solider Zuwachs in allgemein wackligen Zeiten. Der Nettogewinn kann um fast ein Drittel auf 9,1 Milliarden Euro zulegen. Die Solvenzquote ist mit 206 Prozent weiterhin gut austariert: Hoch genug, um mögliche Risiken finanziell in doppelter Höhe abzufedern, aber auch nicht zu üppig, damit Kapital effizient eingesetzt wird. 

Der verlässliche Geschäftsverlauf, die günstige Bewertung der Aktie und die gute Dividende waren schon bisher die wichtigsten Argumente für ein Allianz-Investment. Und jetzt legen die Münchener noch einen darauf: Mit 13,80 Euro Dividende je Anteil und einem neuen Aktienrückkaufprogramm im Umfang von einer Milliarde Euro fließen mehr als sechs Milliarden Euro an die Aktionäre. Bei einer Marktkapitalisierung von 97 Milliarden Euro sind das mehr als sechs Prozent. 

Diese anlegerfreundliche Politik, die zunehmend auch andere Unternehmen hierzulande in den Mittelpunkt ihrer Aktionärsstrategie rücken, hat im wesentlichen zwei Gründe: Zum einen haben viele Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Kapitalkraft substanziell ausgebaut. Das ist ist gerade angesichts der Krisen um Corona, geopolitischen Spannungen und der wackligen Wirtschaft hierzulande eine beachtenswerte Leistung. Dazu kommt die Reaktion auf das gestiegene Zinsniveau. Wenn Unternehmen wie die Allianz für renditeorientierte Anleger weiter interessant sein wollen, müssen sie angesichts der mittlerweile interessanten Anleihezinsen bei Dividenden eben auch mehr bieten. 

Mercedes-Benz: Eine der stärksten Rendite-Aktien weltweit

Das zeigt sich auch bei Mercedes-Benz. Die Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr (153 Milliarden Euro Umsatz und 14,5 Milliarden Euro Nettogewinn) sind ansehnlich, die Vorgaben für 2024 etwas vorsichtiger. Bei den Verkäufen kalkuliert Mercedes dank stabiler Nachfrage weiterhin mit knapp 2,5 Millionen Fahrzeugen. Angesichts widerstandsfähiger Preise dürften damit 2024 ebenfalls wieder mehr als 150 Milliarden Euro Umsatz möglich sein. 

Der Gewinn aber könnte dann doch etwas unter dem guten Ergebnis von 2023 liegen. Zum einen hält Mercedes-Benz weiterhin die Investitionen hoch, vor allem für Elektromobilität; zum anderen schlagen für die Aufrechterhaltung der Lieferketten immer noch enorme Kosten zu Buche. Selbst wenn netto 2024 mehr bleiben könnte als die von Banken derzeit im Durchschnitt erwarteten 12,2 Milliarden Euro, kalkulieren auch die Stuttgarter für 2024 erst einmal mit einem Gewinnrückgang. 

Die Qualität der Mercedes-Benz-Aktie beeinträchtigt das kaum. Zum einen ist trotz verhaltener Aussichten die Bewertung mit einem Kurs-Gewinnverhältnis um sechs und ein Kurs-Umsatzverhältnis von weniger als 0,5 für einen Premiumanbieter ohne Frage günstig. Zum anderen sind die Gratifikationen an Investoren üppig. Die auf 5,30 Euro je Aktie angehobene Dividende ergibt bei 1,06 Milliarden Anteilen eine Gesamtausschüttung von 5,6 Milliarden Euro. Dazu kommen bis Mitte nächsten Jahres noch drei Milliarden Euro an Aktienrückkäufen. Insgesamt fließen damit weit mehr als acht Milliarden Euro an Aktionäre – das ist mehr als 11 Prozent der aktuellen Marktkapitalisierung. 

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Leisten können sich die Stuttgarter dies durchaus. Zunächst liegen die Einnahmen aus dem laufenden Geschäft bei deutlich über zehn Milliarden Euro pro Jahr. Die Nettoliquidität im Industriegeschäft ist zuletzt auf ein neues Hoch von 31,7 Milliarden Euro geklettert, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Und in der Bilanz, die voraussichtlich am 15. März veröffentlicht wird, könnten an die 95 Milliarden Euro Eigenkapital stehen; das wäre ein Drittel der Bilanzsumme inklusive der umfangreichen Finanzgeschäfte (Finanzierung, Leasing). 

Im Gegensatz zur Allianz-Aktie, die schon im Dezember eine neue Phase ihrer langfristigen Aufwärtsentwicklung begonnen hat, steckt Mercedes-Benz noch in einer mehrjährigen Seitwärtsphase, die sich zwischen 50 und knapp 80 Euro abspielt. Die Bedeutung der Obergrenze wird noch durch das bisherige Hoch aus dem Jahr 2015 verstärkt, das (kursbereinigt), ebenfalls bei gut 80 Euro lag. 

Sollte Mercedes-Benz eines Tages der Anstieg über 80 Euro gelingen, könnte dies der Aktie langfristig enormes Potenzial erschließen. Kurzfristig allerdings ist angesichts zuletzt schnell gestiegener Kurse eher eine Abkühlung wahrscheinlich. Gut wäre es dabei, wenn Mercedes nicht mehr unter 65 Euro rutscht. Für renditeorientierte Anleger könnten sich hier demnächst gute Gelegenheiten ergeben. 

Siemens: Digitale Transformation und klassische Finanztugenden 

Wie die Allianz gehört seit Herbst vergangenen Jahres Siemens zu den Top-Aktien im Dax. Hintergrund ist die erfolgreiche Transformation vom klassischen Industriekonglomerat zum modernen Technologiekonzern, der von den großen Trends Digitalisierung und Dekarbonisierung profitiert. Zugleich punktet Siemens wieder mit seiner klassischen Tugend, der überdurchschnittlichen Finanzkraft. 

Von Standard & Poor‘s wurde das Unternehmen deshalb um eine Stufe auf AA- mit stabilem Ausblick hochgesetzt. Das ist die erste Erhöhung der Bonitätsnote seit der Finanzkrise von 2009. S&P lobt an Siemens neben der führenden Marktposition bei großen Trends den wachsenden Anteil hochmargiger Aktivitäten und den Abbau wenig rentabler Sparten. 

Dabei sind die operative Einnahmen so hoch und die Verschuldung so niedrig, dass selbst ein Ausbau der Schulden um fast die Hälfte das Verhältnis Nettoschulden zu Ebitda (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Wertveränderungen) unter eins lassen würde. Mit der Deutschen Börse AG, die Dank ihres stabilen Geschäftsmodells ebenfalls ein Rating von AA- hat, ist Siemens der Dax-Wert mit der besten Bonitätsnote. 

Eine Abkühlung im März täte dem Dax gut 

Ausgehend vom Tief am 17. Januar hat der Dax nach 27 Börsentagen die Zielzone um 17.400 Punkte erreicht. Die Stimmung an den Märkten ist im Zuge des KI-Hypes sehr optimistisch, der Fear & Greed Index des Fernsehsenders CNN signalisiert Gier, das Angstbarometer V-Dax notiert bei 13 Prozent nahe mittelfristiger Tiefpunkte, ein Zeichen großer Sorglosigkeit. 

Noch bis vor wenigen Wochen war die Hoffnung auf baldige und schnelle Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank Fed der wichtigste Treibsatz der Börsen. Diese Hoffnung erweist sich angesichts hartnäckiger, teilweise sogar wieder steigender Inflationszahlen zunehmend als trügerisch. 

Schlimmer noch: Gerade die aktuellen Kursgewinne tragen dazu bei, dass sich die Finanzkonditionen sogar wieder lockern – weil die Vermögen mit den Assets ebenfalls kräftig zulegen und damit inflationssteigernd wirken. In diesem Umfeld sind nicht nur die noch vor kurzem erhofften zahlreichen Zinssenkungen unrealistisch. Angesichts des robusten US-Arbeitsmarkts und des bevorstehenden Endes der Bankenhilfen in Amerika stellt sich die Frage, ob es in absehbarer Zukunft überhaupt noch zu Zinssenkungen kommt. In dem Moment, in dem Anleger aus dem Rausch um KI erwachen, könnte an den Börsen eine herbe Ernüchterung eintreten. 

Den Dax muss das nicht gleich den Boden unter den Füssen wegziehen. Bei 30 der 40 Dax-Aktien verlaufen die aktuellen Notierungen oberhalb der 200-Tagelinie. Das sind 75 Prozent und damit eine gute Hausseverfassung in der Breite des Marktes. Von den acht wichtigsten Aktien des Index sind fünf auf Rekordkurs (SAP, Siemens, Airbus, Allianz, Münchener Rück) und zwei mitten in einer vielversprechenden Erholung (Mercedes-Benz, BMW). 

Allein die Deutsche Telekom ist ins Stocken geraten, seit sie im Januar den wichtigen Kursbereich um 23 Euro nicht nachhaltig überwinden konnte. Angesichts der aktuellen Jahreszahlen (leichter Umsatzrückgang auf 112 Milliarden Euro, deutlicher Rückgang des bereinigten Nettogewinns von 9,1 auf 7,1 Milliarden Euro) und der nach wie vor hohen Nettoverschuldung (132,3 Milliarden Euro) dürfte dies kurzfristig auch kaum gelingen. Dennoch könnte die Aktie angesichts der angepeilten verbesserten Rentabilität und der deutlichen Dividendenerhöhung womöglich im Bereich um 21 Euro für Käufer wieder interessant werden. 

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Fazit für den Dax: In der Gemengelage aus starken Geschäftszahlen, wackliger Allgemeinwirtschaft und schwindenden Zinshoffnungen tät dem Dax nach fast sechs Wochen Kletterpartie eine Verschnaufpause gut. Aus zyklischer Perspektive wäre der Wendemonat März dafür typisch. 

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