Riedls Dax-Radar
Der Dax nimmt Anlauf in Richtung neuer Höhen – welche Hürden noch im Weg stehen. Quelle: Getty Images

Vier Risiken sprechen gegen die Euphorie an den Börsen

Nur noch wenige Punkte trennen den Dax von neuen Höhen. Die Stimmung an den Börsen steigt – doch auch die Gefahr einer kalten Dusche rückt in greifbare Nähe. Eine Kolumne.

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Der deutliche Rückgang der Inflation schürt an den Börsen die Erwartung auf baldige Zinssenkungen durch die Notenbanken. Bestand bisher vor allem die Hoffnung, die führende amerikanische Fed könnte zunächst eine längere Pause im Straffungsprozess der Zinsen einlegen, scheint es jetzt ausgemachte Sache, dass die Geldhüter schon in wenigen Monaten den Hebel wieder umlegen. Nach wenigen Wochen strammer Rally an den Börsen ist an den Märkten die Euphorie zurückgekehrt. 

Die Terraingewinne der großen Indizes sind beeindruckend. Der amerikanische Dow Jones hat in knapp fünf Wochen elf Prozent gewonnen, an der Technologiebörse Nasdaq ging es um 14 Prozent nach oben. Im Dax wurden es mehr als zehn Prozent, der zweitbeste November aller Zeiten. 

Dabei ist für die weiteren Aussichten der Börse nicht nur diese hohe Dynamik ein gutes Signal. Auch die Überwindung zentraler Widerstandszonen (im Dax vor allem der Region 15.500 bis 15.700 Punkte) ist ein substanzielles Zeichen für die wiedergewonnene Stärke der Märkte. 

Von Kursschwäche ist selbst kurzfristig keine Spur; nicht einmal zu einer Verschnaufpause von ein paar Tagen kam es bisher in Dax und Dow. Dennoch, trotz der robusten Marktverfassung gibt es Signale, nach denen bald eine Abkühlung, wenn nicht sogar eine deutliche Korrektur folgen könnte. 

Erstes Risiko: Die Bondmärkte sind reif für eine Gegenbewegung 

Der Rückgang der Renditen für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen von 5,0 Prozent Mitte Oktober auf zuletzt 4,25 Prozent war und ist der entscheidende Taktgeber der Hausse an den Aktienmärkten. Im Zuge des großen Renditeanstiegs seit 2020 allerdings ist dieser Zinsrückgang bisher nur eine Episode im größeren Anstiegsprozess der Renditen. Und selbst wenn der seit drei Jahren anhaltende Trend zu höheren Zinsen nun doch wieder nachhaltig nach unten drehen sollte, wäre zumindest noch einmal ein Test der jüngsten Hochspitzen im Bereich um fünf Prozent wahrscheinlich.

Schon seit einem Vierteljahrhundert kommt es bei US-Bonds in der gesamten Region zwischen 4,0 und 4,3 Prozent immer wieder zu Wendepunkten der Zinstendenz. Damit ist es gut möglich, dass es auch dieses Mal wieder hier zu einer Richtungsänderung kommt, also zu einem Zinsanstieg, und sei es auch nur für wenige Wochen.

Zweites Risiko: Der Dollar kann sich wieder erholen 

Für Anleger hierzulande machte sich der schwache Greenback vor allem in einem erstaunlich starken Euro bemerkbar. Seit Anfang Oktober ist die EU-Währung von 1,05 auf zuletzt 1,10 Dollar geklettert. Hintergrund ist die Erwartung, dass die Fed vor der EZB wieder auf einen laxeren Zinskurs einschwenken könnte. 

Für die europäische Wirtschaft entstand in den vergangenen Wochen dabei der zusätzliche Vorteil günstiger Rohstoffe, die sich über die nachgebende Währung Dollar zusätzlich verbilligt haben. Das war eine wichtige Erleichterung im Kampf gegen die Inflation. Doch im Bereich um 1,10 Dollar, oder bei einem Überschießen spätestens bei 1,12 Dollar, dürfte der Euro auf absehbare Zeit wieder an Grenzen stoßen. 

Auslöser für einen wieder stärkeren Dollar könnte die Fed werden, wenn sie sich bei ihrer Sitzung Mitte Dezember womöglich nicht doch so moderat gibt, wie das die Märkte derzeit erwarten. Ein anziehender Dollar geht an den US-Aktienmärkten in der Regel mit nachgebenden Kursen einher. 

Drittes Risiko: Für die Protagonisten der Hausse wird die Luft dünner

Die jüngsten Aufschläge an den Börsen kamen mehr in Dow Jones, S&P und Dax zustande und weniger an den Technologiemärkten. Der Nasdaq-100-Index übertraf zwar mit bis zu 16.170 Punkten sein vorangegangenes Hoch vom Juli, hat sich aber seit zwei Wochen im Bereich um 16.000 Punkten festgefahren. 

Besonders deutlich ist die Korrektur beim Überflieger Nvidia, der mit seinen Chips für Künstliche Intelligenz wie kein zweites Unternehmen für die aktuelle, technikgetrieben Hausse steht. Dass Nvidia-Aktien trotz glänzender Geschäftszahlen eine Pause einlegen, ist ein Zeichen für die Übersättigung des Marktes. Auch Apple und Microsoft sind in kurzfristige Schiebezonen übergegangen. Und wenn den Überfliegern der Hausse die Luft ausgeht, gerät in der Regel auch der breite Markt aus dem Takt. 

Viertes Risiko: Die Stimmung an den Börsen ist zu gut

Mit einem Stand von 67 Punkten hat der Fear- and Greedindex des Fernsehsenders CNN mittlerweile wieder erhöhtes Niveau erreicht. Zwar ist der Optimismus noch nicht so überschäumend wie im Sommer dieses Jahres; er ist aber schon so hoch wie Anfang September, dem immerhin dann ein mehrwöchiger Abschwung folgte. 

Gefährlicher für die Märkte ist das mittlerweile extrem niedrige Niveau der Volatilitätsindizes. Der V-Dax steht mit 13 Punkten so niedrig wie Mitte Juni dieses Jahres. Damals kam es danach zu einem Rückschlag von 800 Punkten. Hinter einer extrem niedrigen Volatilität steckt nicht nur Sorglosigkeit der Marktteilnehmer. Volatilitätsindizes werden aus den an den Terminmärkten erwarteten Schwankungsbreiten ermittelt. Niedrige Volas spiegeln damit auch eine geringe Nachfrage nach Absicherungspositionen wider. Ungesicherte Märkte aber sind für Rückschläge empfindlicher als abgesicherte Märkte.  

Brenntag, Symrise, Fresenius – spezielle Chancen im Dax

Zu den Aktien, die sich seit Monaten vielversprechend entwickeln, gehört Chemiehändler Brenntag. Der jüngste, wichtige Schub über die Kurshürde bei 77 Euro wurde ausgelöst durch eine wohlwollende Studie der Deutschen Bank, die ihr Kursziel von 81 auf 89 Euro hochgesetzt hat. Preise und Margen im Chemiehandel stabilisieren sich; im nächsten Jahr könnte dann auch wieder das Wachstum zulegen. 

An der Börse macht sich dies umso stärker bemerkbar, weil Brenntag mit seinen Neunmonatszahlen und den hier gegebenen Prognosen etwas unter den Erwartungen gelegen hatte. Vielversprechend dafür ist die jüngste Verstärkung durch die Übernahme des Natronlaugehändlers OWI Chlor Alkali in den USA. Brenntag ist mit seinem weltweiten Distributionsnetz und dem zunehmenden Übergang zur Konfektionierung von Produkten die Top-Adresse im weltweiten Chemiehandel. Die Aktie ist analytisch günstig und kurstechnisch aussichtsreich.  

Ebenfalls gut erholen konnte sich zuletzt Aroma- und Duftstoffhersteller Symrise. Lange hatte es an der Börse danach ausgesehen, Symrise-Aktien könnten unter das wichtige Niveau um 95 Euro rutschen. Offene Flanke der Aktie ist dabei nicht das operative Geschäft des Unternehmens; das ist mit einem organischen Wachstum von 7,4 Prozent angesichts des wackligen Jahres 2023 durchaus ansehnlich. 

Kritisch bei Symrise ist die hohe Bewertung der Aktie mit einem Kurs-Gewinnverhältnisses um 30. Dazu kommt die Unsicherheit über ein laufendes Kartellverfahren, das die Behörden bisher aber noch nicht spezifiziert haben. Symrise geht davon aus, dass alle Vorwürfe unbegründet seien. 

Insgesamt hat die Aktie die nun schon seit zwei Jahren anhaltende Abwärtsbewegung noch nicht beendet. Hält die operative Erholung an, dürfte sich die aktuelle Schaukelpartie ähnlich wie in den Jahren 2015 und 2016 als Zwischenstation in der langjährigen Aufwärtsentwicklung erweisen, in der Symrise-Aktien seit der Finanzkrise verlaufen. 

Ein Kraftakt bleibt der angepeilte Umbau bei Fresenius. Die Ausgliederung des ehemaligen Kerngeschäfts FMC ist nun vollzogen, Fresenius wird seinen Blutwäsche-Ableger damit nur noch entsprechend seines Anteils von 32 Prozent im Finanzergebnis verbuchen. Neues Kerngeschäft von Fresenius sind Klinken, Krankenhäuser, medizinische Ernährung und Generika.

Dass sich dabei zuletzt die operativen Aussichten von FMC etwas aufgehellt haben und auf dem wichtigen US-Markt mit der Regierung ein Rechtsstreit beigelegt wurde, kommt Fresenius durchaus zugute. Denn noch ist offen, ob, wie und wann sich Fresenius von FMC verabschiedet. Als hier in den vergangenen Monaten Befürchtungen aufkamen, neue Medikamente vom Pharmakonzern Novo Nordisk könnten den Bedarf an Dialyse generell reduzieren, drückte dies Aktien von Fresenius und FMC. Sollte sich dieses Risiko in Zukunft als überschaubar erweisen, wäre das auch für Fresenius eine Erleichterung. 

Größte Unsicherheit indessen bleibt die Frage, ob es Fresenius gelingt, mit dem neuen Kerngeschäft eine so dominierende Rolle in der Gesundheitsbranche zu erreichen, wie dies die alte Fresenius mit ihrem Dialysegeschäft einst hatte. Denn nur so könnte auch der Aktienkurs wieder an die Erfolgsstory anknüpfen, die von 2009 bis 2017 zu einer Verachtfachung der Kurse führte. 

Andererseits, die große Chance von Fresenius steckt darin, dass der Kurs durch die Baisse von 2017 bis 2022 mit minus 75 Prozent extrem gesunken ist. Damit dürften schon partielle Fortschritte wie die gerade vollzogene Ausgliederung reichen, der Aktie einen Aufwärtsdrall zu geben. Ein Anstieg über die Zone 30 bis 31 Euro wäre dafür ein wichtiges Signal. Fresenius bleibt ein spekulativer Wendekandidat, für den Nervenstärke und ein mehrjähriger Anlagehorizont erforderlich ist. 

Fazit für den Dax: Nur noch wenige Punkte fehlen dem Deutschen Aktienindex bis zu seinem Hoch bei 16.467 Punkten, gemessen am Tagesschlusstand des 31. Juli. Angesichts der jüngsten Dynamik wäre es verwunderlich, wenn der Dax diesen letzten Schub nicht auch noch schafft. 

So oder so ist die Zone zwischen 16.300 bis 16.500 ein massives Bollwerk, das der Dax von Mai bis Juli dieses Jahres schon dreimal angelaufen hat und davor im November 2021. Angesichts der überhitzten Marktsituation und möglicher Korrekturen bei Bonds und Währungen wird es immer unwahrscheinlicher, dass der Dax in einem Zug gleich weiter klettert. 

Oder ist dieses Mal alles anders und kommt es im Umfeld einer womöglich zahm gewordenen Fed zu einem Durchmarsch zu neuen Höhen? – So, wie die Hausse der vergangenen vier Wochen in ihrer Heftigkeit von den wenigsten erwartet worden war, ist auch ein weiterer Kursexzess nicht auszuschließen. 

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Das aber bedeutet im Umkehrschluss: Sollte die Fed bei ihrer nächsten Sitzung am 13. Dezember nur einen Hauch von Inflationsgefahren betonen, wäre dies eine kalte Dusche für die Märkte. Und selbst wenn Fed-Chef Jerome Powell sich moderat gibt, haben die Kurse durch ihren kräftigen Anstieg diese Konzilianz wahrscheinlich schon verfrühstückt. Dem Dax täte unverändert eine Korrektur gut, die mindestens bis in den Bereich 15.700 bis 15.500 gehen könnte. 

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