Riedls Dax-Radar
Achtung: Bulle im Feld Quelle: Illustration: Marcel Reyle

Vorsicht vor der nächsten Börsenrally

Neuer Optimismus in der Chipbranche und ein möglicher Rekordgewinn von SAP stützen den Dax. Der Gesamtmarkt aber bleibt wacklig – und das Frühjahr könnte turbulent werden. Was Anleger jetzt beachten sollten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ausgerechnet die Aktien, bei denen zahlreiche Anleger zuletzt die größten Kursrisiken vermuteten, starten nun wieder durch: Nvidia, AMD, Applied Materials und andere amerikanische Chipwerte haben ihre Spitzennotierungen vom November mittlerweile weit hinter sich gelassen. Programmkonzern Microsoft ist den achten Tag infolge in einer dynamischen Aufwärtsbewegung. Apple hat, zuletzt dank einer wohlwollenden Besprechung der Bank of America, seine vorübergehende Schwächephase beendet und könnte nun zum zweiten Mal die Marke von 200 Dollar ansteuern. Dem Nasdaq-100-Index gelang es, mit knapp 17.000 Punkten die bisherigen Kursspitzen von Dezember 2023 und von Ende 2022 zu übertreffen. Wenn die Protagonisten des Marktes Muskeln zeigen, dürfte der großen Börsenhausse schwerlich die Luft ausgehen. 

Jüngster Auslöser der Hightech-Dynamik sind gute Zahlen und angehobene Prognosen von TSCM, dem weltweit größten Halbleiterhersteller aus Taiwan. TSCM ist als Auftragsfertiger direkt mit Intel, Nvidia, AMD und anderen großen Chipkonzernen verbunden. Mehr noch: Weil Chips eine so zentrale Bedeutung für die großen Trends haben, für Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, neue Mobilität und nachhaltige Energien, ist das Signal aus Taiwan für die gesamte Wirtschaft ein gutes Omen. 

Das gilt vor allem, weil sich in den kommenden Monaten die Frage entscheiden sollte, ob der Weltwirtschaft das von den Notenbanken angestrebte Soft Landing der Konjunktur gelingt. Dass die Hightech-Aktien zuletzt gestiegen sind, obwohl auch die Zinsen weiter nach oben gingen, könnte dazu passen: Die Aktien klettern, weil sich die Gewinnaussichten verbessern – und die Konjunktur bleibt robust, weil die Unternehmen gut verdienen. 

Hält sich der Zinsanstieg an den Bondmärkten in Grenzen, muss dies keineswegs die Entwicklung von Aktien und Wirtschaft abwürgen. So könnten etwa die Renditen für zehnjährige US-Anleihen von derzeit 4,15 Prozent noch in den Bereich um 4,50 Prozent vordringen; bei den zehnjährigen Bunds könnte es von 2,30 auf 2,60 Prozent nach oben gehen. Wenn beide möglichen Zielwerte ein gutes Stück unter den Höhen vom vergangenen Herbst lägen, dürfte dies zudem ein Zeichen für wieder moderatere Inflationsraten werden. Die Notenbanken, vor allem die amerikanische Fed, könnte dann im Laufe des Frühjahrs mit der angekündigten Zinsentspannung beginnen. 

Infineon und SAP: Deutsche Hightechs wieder im Aufwind 

Mit einem Kurssprung von 32 auf 35 Euro quittierte Infineon die jüngsten, hoffnungsvollen Nachrichten aus der Chipbranche. Im Gegensatz zu den US-Werten steckt der führende deutsche Halbleiterhersteller schon seit Sommer in einer unentschiedenen Seitwärtsbewegung. Im August vergangenen Jahres war es nach gemischten Zahlen und verhaltenen Prognosen zu einem Abverkauf gekommen, den die Aktie selbst in der Herbst-Rally nicht ausgleichen konnte. Diese relative Schwäche setzte sich bis in die Januar-Korrektur fort. Dahinter steckt die Befürchtung, Infineon könnte nach dem starken Geschäftsjahr 2023 (bis September) dann 2024 angesichts einer wackligen Konjunktur allenfalls auf der Stelle treten.

Umso positiver wäre es, wenn sich die von TSCM nun geäußerte Neueinschätzung der Branchenaussichten bewahrheiten sollte. Mit dem schwachen Kursverlauf der vergangenen Monate dürfte Infineon die negativen Erwartungen verarbeitet haben – das eröffnet Überraschungspotenzial nach oben. Sollte der Aktie bei 32 Euro der Dreh gelungen sein, wäre dies nach dem Oktobertief bei 27,50 Euro ein höheres Tief – ein klassisches Signal für einen beginnenden Aufwärtstrend. Der könnte die Aktie mittelfristig über das Sommerhoch bei 40 Euro treiben. 

Ebenfalls dynamisch angesprungen ist SAP. Mit Kursen um 147 Euro notiert die Aktie nur noch knapp unter ihrem jüngsten Allzeithoch. Nächsten Mittwoch kommen die Jahreszahlen und die Prognosen der Walldorfer auf den Tisch. Der Geschäftsverlauf bis Herbst 2023 war gut, das sollte sich bis zum Jahresende nicht geändert haben. Unterm Strich könnten dann im vergangenen Jahr erstmals rund sechs Milliarden Euro Nachsteuergewinn geblieben sein. Die zuletzt starke Entwicklung des amerikanischen Konkurrenten Salesforce ist ein gutes Vorzeichen, Rivale Oracle hingegen enttäuschte. Die jüngste Stärke von SAP spricht für eine Fortsetzung des positiven Trends und mittelfristig für ein Übertreffen der 150er-Marke. 

Deutsche-Bank und Commerzbank: Besser als ihr Ruf 

Mit Kursen um 11 Euro hat sich die Commerzbank-Aktie seit dem Coronatief fast vervierfacht; die Deutsche Bank steht bei etwa 12 Euro immerhin 140 Prozent über den Ausverkaufskursen von 2020. Beim großen Trend zeigt vor allem die Commerzbank eine nachhaltige Entwicklung nach oben. Ihr gelang in den vergangenen Jahren die Rückkehr in die Rentabilität und trotz Schwierigkeiten beim polnischen Ableger mBank der solide Aufbau eigener Finanzstärke. Mit einer harten Kernkapitalquote von 14,6 Prozent liegt sie deutlich über den von der EZB festgelegten Mindestanforderungen – und auch über dem Wert der Deutschen Bank, der mit 13,9 Prozent aber ebenfalls gut austariert ist. 

Mit ihrem klassischen Kredit- und Einlagengeschäft profitiert die Commerzbank stärker als die Deutsche Bank vom gestiegenen Zinsniveau. Allerdings stellt sich früher oder später die Frage nach einem echten, eigenen Wachstumstreiber. Die jüngste Übernahme der Investmentgesellschaft Aquila Capital ist insofern ein vielversprechender Ausbau des Asset Managements, vor allem in Sachwertanlagen und Projekte um neue Energien und Infrastruktur. Kurzfristig dürfte zudem das angelaufene Aktienrückkaufprogramm stützen, das bis Anfang April terminiert ist. 

Impulse für die Commerzbank kommen immer wieder durch Spekulationen um neue Großaktionäre oder Zusammenschlüsse. Eine Verbindung mit der Deutschen Bank dürfte allerdings bis auf weiteres wenig realistisch sein. Zum einen ist dieses Vorhaben vor vier Jahren schon einmal gescheitert; zum anderen arbeiten beide Banken an der Schärfung ihres eigenen Profils: die Commerzbank als Haus des Mittelstands, die Deutsche Bank stärker für internationale Großunternehmen und Wertpapiermärkte. Dabei dürfte die bei der Deutschen Bank zwischenzeitlich immer wieder propagierte Relativierung des Investmentbankings angesichts der dort erzielten Gewinne wenig realistisch sein. Selbst im schwierigen dritten Quartal 2023 brachte das Investmentbanking ein Drittel der gesamten Vorsteuergewinne ein.

Bewegung könnte in die Commerzbank kommen, wenn eines Tages der Bund aussteigt, der mit 15,6 Prozent an Bord ist. Allerdings, um hier keine Verluste einzufahren, wären Notierungen von deutlich über 20 Euro notwendig. Setzt die Commerzbank-Aktie den 2020 beginnenden Aufwärtstrend in gleichem Tempo fort, wäre das 2025/26 der Fall. 

Beide Aktien, die Commerzbank wie die Deutsche, sind im internationalen Vergleich günstig bewertet. Oft wird dies mit dem Verweis auf mangelnde Rentabilität begründet. Allerdings war dies auch schon der Fall vor dem Absturz beider Banken in der Finanzkrise; zudem kommen beide Geldhäuser hier seit Jahren gut voran. Erst im Dezember wurde die Deutsche Bank deshalb von der Ratingagentur Standard & Poor‘s heraufgesetzt. 

Insgesamt vollziehen die Aktien der Deutschen Bank und der Commerzbank seit dem Tief von 2020 einen klassischen Turnaround. Langfristig könnte das in beiden Fällen noch deutlich höhere Kurse eröffnen. Dabei dürften die Kursausschläge, die Volatilität, bei der Deutschen Bank höher ausfallen; nicht nur wegen ihrer Affinität zu den Wertpapiermärkten, sondern derzeit auch wegen eines laufenden Verfahrens der spanischen Börsenaufsicht wegen problematischer Derivategeschäfte. 

Bayer und BASF: Dax-Klassiker mit mühsamer Stabilisierung

Mit Kursverlusten von zusammen mehr als 150 Milliarden Euro nach sechs beziehungsweise neun Jahren gehören BASF und Bayer zu den größten Wertvernichtern in der Geschichte des Dax. Bayers zentrale Probleme sind die Folgen der Übernahme des amerikanischen Agrarchemikers Monsanto inklusive dessen umstrittenem Unkrautvernichter Glyphosat sowie die fehlende Stärke im Pharmageschäft. BASF leidet unter der schwierigen Chemiekonjunktur, der umstrittenen Expansion in China und der Kappung von günstigem russischen Gas seit dem Ukrainekrieg.

Mit dem Streichen von Stellen beginnt in Leverkusen derzeit das Umsteuern. An den großen Problemen Glyphosat und Pharmapipeline ändert sich damit aber nichts. Zudem scheinen sich Börsenhoffnungen auf eine Aufspaltung des Konzerns nicht zu erfüllen. Und sollte es zu den erwarteten Entlassungen kommen, wird dies die Geschäftszahlen erst einmal belasten. 

Die sehr schwache Entwicklung der Bayer-Aktie seit Mitte 2023 ist ein Warnsignal, das nicht für einen schnellen Turnaround spricht. Womöglich dauert die Zitterpartie bis Anfang März, wenn dann Konzernchef Bill Anderson aller Voraussicht nach die große Sanierungsstrategie für Bayer präsentiert. 

Im Gegensatz zu Bayer haben BASF-Aktien den Ansatz einer großen Bodenbildung schon in Angriff genommen. Allerdings funkten zuletzt Meldungen dazwischen, dass die Bundesregierung den geplanten Verkauf der Öl- und Gasgeschäfte von Wintershall Dea genau prüfen wolle. Sollte der Deal mit dem britischen Ölkonzern Harbour Energy platzen, wäre dies für die Erneuerungsstrategie von BASF ein Rückschlag. Allerdings, langfristig könnte es sich auch als Vorteil erweisen, weiter Zugriff auf den einzigen Öl- und Gasförderer des Landes zu haben, der zudem bei wichtigen technischen Verfahren der Branche führend ist. 

Viermal seit 2020 gelang es BASF-Aktien, das Kursniveau um 40 Euro zu verteidigen. Je öfter es zu einem solchen Test kommt, desto größer ist die Gefahr eines Durchbruchs (weil es offensichtlich auf diesem Niveau immer weniger Käufer gibt). Dennoch, im Gegensatz zu Bayer ist BASF operativ stabiler, finanziell robust und würde bei einer konjunkturellen Erholung auch gut profitieren. Kurzfristig wäre ein Anstieg über 50 Euro ein gutes Omen. Ein Anstieg über 55 Euro könnte sogar eine nachhaltige Aufwärtswende einleiten. 

Fazit für den Dax: Obwohl die Inflation aufflackert und die Renditen an den Bondmärkten anziehen, geben zentrale Aktien und Indizes Stärkesignale. Auch der Dax konnte zuletzt das wichtige Niveau um 16.400 bis 16.500 Punkten (hier lag das Sommerhoch 2023) verteidigen. Seit dem bisherigen Top vom 11. Dezember sind zudem schon mehr als fünf Wochen vergangen; ein klassisches Zeitfenster, nachdem kurzfristige Korrekturen oft abgeschlossen sind. 

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Beitragsfremde Leistungen Wie der Staat die Rentenversicherung ausplündert

Ein Haufen Geld weckt Begehrlichkeiten, auch wenn er der Rentenversicherung gehört. Der deutsche Staat hat diesem Drang in den vergangenen Jahren immer wieder nachgegeben – in Milliardenhöhe.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn bei einer Zwangsversteigerung – für 1550 Euro.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Dennoch, die jüngste Erholung ist fragil. Von den 40 Dax-Aktien verlaufen nur bei 23 Einzelwerten die aktuellen Kurse oberhalb der 200-Tagelinie. Eine solche nur leicht positive Quote von 58 Prozent spricht eher für eine verhaltene Aufwärtsentwicklung als für einen neuen großen Trend. So gesehen sind zwar bis in den Februar hinein noch einmal etwas höhere Kurse denkbar – eine größere Bereinigung im Frühjahr könnte deshalb aber dennoch anstehen.  

Lesen Sie auch: Wie sich Anleger jetzt auf die Zinswende vorbereiten sollten

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%