Verkehrte (Finanz)welt
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Nachhaltigkeitsberichte unter der Lupe: Zwischen Ambition und Wirklichkeit

Eine neue Richtlinie stellt eine Zeitenwende für Nachhaltigkeitsberichte dar. Umfassender denn je setzt sie neue Standards für Transparenz. Doch was bedeutet das für Anleger? Eine Kolumne.

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Bisher waren in Deutschland etwa 500 kapitalmarktorientierte Unternehmen dazu verpflichtet, über Nachhaltigkeitsaspekte zu informieren. Doch nun steht eine Zeitenwende in der Unternehmensberichterstattung mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bevor: Geschätzt werden in den kommenden Jahren 30-mal mehr Unternehmen – rund 15.000 – dazu verpflichtet sein, in ihren Lageberichten detailliert auf Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung (ESG) einzugehen.

Gleichzeitig spiegelt die CSRD den zugenommenen gesellschaftlichen Druck wider, dass Unternehmen über solche Aspekte berichten sollen. Doch was bedeuten die neuen Nachhaltigkeitsberichte für Anleger, die ESG-Kriterien bei ihrer Anlagestrategie berücksichtigen möchten?

CSRD-Umsetzung: Eine Herausforderung

Zunächst einmal bringt die CSRD weitreichende Veränderungen für die bisher eher vagen Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte mit sich. Zur Verbesserung der Messbarkeit und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsinformationen werden diese Berichte in Zukunft eine Vielzahl von ESG-Datenpunkten enthalten. Konkretisiert durch einheitliche europäische Berichtsstandards (kurz ESRS) müssen nun über 1000 qualitative und quantitative Datenpunkte berücksichtigt werden, was eine erhebliche Herausforderung darstellt. Denn: Oftmals fehlt es an der notwendigen Expertise und den personellen Ressourcen für den Aufbau komplexer Berichterstattungsprozesse. Insbesondere kleinere Unternehmen werden damit schnell überfordert sein.

Eine exklusive Rangliste deutscher Unternehmen zeigt: Wer in Umweltfreundlichkeit und Gerechtigkeit investiert, steht besser da – gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.
von Rüdiger Kiani-Kreß

ESG-Daten: Beispiel Treibhausgasemissionen

Unternehmen können zwar mithilfe von Beratungsgesellschaften geeignete Prozesse für ihre Berichterstattung zu Nachhaltigkeit etablieren. Doch trotz dieser Unterstützung mangelt es in der Praxis regelmäßig an der Verfügbarkeit, Qualität und Standardisierung von ESG-bezogenen Daten, was die Erstellung vergleichbarer und verlässlicher Berichte erschwert.

Ein Beispiel sind Treibhausgasemissionen. Hierbei muss zwischen verschiedenen Emissionsquellen, sogenannten Scopes, unterschieden werden. Scope-1-Emissionen sind Treibhausgasemissionen aus Quellen, die direkt von den Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden. Scope-2-Emissionen beziehen sich auf indirekte Treibhausgasemissionen aus eingekaufter Energie. Scope-3-Emissionen umfassen alle indirekten Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette.

Bereits jetzt lassen sich Scope-1- und 2-Emissionen relativ gut ermitteln, beispielsweise durch Verbrauchsmessungen für die Nutzung des Fuhrparks oder den benötigten Strom. Die Ermittlung von Scope-3-Emissionen ist jedoch deutlich anspruchsvoller. Dies liegt vor allem an der Komplexität globaler Wertschöpfungsketten und unvollständigen Informationen über das Verhalten der Endkunden. Während zum Beispiel die Treibhausgasemissionen aus Geschäftsreisen noch mit hohem Aufwand näherungsweise ermittelt werden können, stellt die genaue Ermittlung der Emissionen aus der Nutzung verkaufter Produkte ein deutliches Problem dar.

Infolgedessen ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten Vorjahreskennzahlen korrigieren müssen. Dies wirft aber die Frage auf, ob Anleger auf Basis dieser ESG-Daten Anlageentscheidungen treffen sollten.

Fazit: Nachhaltigkeitsberichterstattung noch in Entwicklung

Die neuen Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichte durch die CSRD sind grundsätzlich zu begrüßen – insbesondere, wenn sie als Impuls für mehr Transparenz über nachhaltigkeitsbezogene Risiken und Chancen der Unternehmenstätigkeit sowie deren Auswirkung auf Mensch und Umwelt dienen. Abzuwarten bleibt jedoch, ob die umfangreichen Regelungen Unternehmen bürokratisch überlasten und Unternehmensberichte mit einer Vielzahl nicht entscheidungsrelevanter Informationen überfrachten.

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Die Verlässlichkeit von ESG-Daten in Nachhaltigkeitsberichten ist derzeit häufig noch eingeschränkt. Es ist daher äußerst fragwürdig, Anlageentscheidungen allein auf Basis einzelner ESG-Datenpunkte zu treffen. Zudem ist der Fokus auf einzelne Kennzahlen meist zu kurz gedacht, etwa, dass Unternehmen mit vergleichsweise geringem Kohlenstoffdioxid-Ausstoß automatisch als nachhaltigere Investments gelten. Anleger, die ESG-Kriterien bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen möchten, sollten daher weiterhin die vom Management veröffentlichte ESG-Strategie und deren konkrete Umsetzung analysieren. Nachhaltigkeitsberichte können dabei als erste Informationsquelle dienen.

Lesen Sie auch: „Nichts für Nachhaltigkeit zu tun, ist keine Option“

Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.

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