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Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI) könnte eine Ära der höheren Produktivität ankündigen. Quelle: obs

KI läutet Ära der höheren Produktivität ein

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Maximilian Kunkel Chief Investment Officer, UBS Wealth Management Germany & Global Family Office Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Das kommende Jahrzehnt wird von der Entwicklung der sogenannten „Fünf Ds“ – Deglobalisierung, Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Schulden (Debt) – bestimmt. Was heißt das für Anleger und Anlagestrategien? Eine Kolumne.

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Mit dem Beginn eines neuen Kalenderjahres rückt für viele nicht nur der Ausblick auf die kommenden zwölf Monate – auf diesen bin ich letzten Monat an dieser Stelle eingegangen – sondern auch auf die kommenden Jahre stärker in den Vordergrund. Im Zentrum steht die Frage, ob die Welt nach der Pandemie ein neues gesamtwirtschaftliches Umfeld mit sich bringt, in dem die Weltwirtschaft nicht mehr wie früher von einer verhaltenen Nachfrage und einem Überangebot gekennzeichnet sein wird, sondern von einem beschränkten Angebot und einer robusten Nachfrage.

Die Antwort wird meiner Meinung nach von der Entwicklung und Interaktion der „Fünf Ds“ abhängen: Deglobalisierung, Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Schulden (Debt).

Deglobalisierung

Volkswirtschaften werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich weniger verflochten sein. Der Anteil des Handels am globalen BIP hat seinen Höhepunkt vermutlich bereits überschritten – wobei der Rückgang des Handels dadurch beschleunigt wird, dass sich die USA, Europa und China allmählich an gegenseitige Sanktionen, Zölle und Exportkontrollen gewöhnen. Die Spannungen zwischen den USA und China könnten auch eine globale Aufspaltung in inkompatible Finanz-, Handels- und Technologieblöcke zur Folge haben. Doch die Ausprägung der Deglobalisierung für die Weltwirtschaft im kommenden Jahrzehnt hängt weniger davon ab, ob es dazu kommt, sondern eher von den Ursachen.

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Sollte es hauptsächlich aus politischen Gründen zur Deglobalisierung kommen – zum Beispiel aufgrund von verstärkten Handelsbeschränkungen oder Subventionen –würde dies wahrscheinlich das allgemeine Angebot an Gütern beschränken, das potenzielle Wachstum dämpfen oder die Inflation periodisch anheizen.

Wenn die Deglobalisierung jedoch hauptsächlich wirtschaftlich bedingt ist – weil Unternehmen stärker auf die Automatisierung setzen, sich auf die integrierte Fertigung konzentrieren, angesichts der steigenden Löhne in den Schwellenländern die Kosten neu beurteilen oder widerstandsfähigere Lieferketten aufbauen – würde das Ergebnis vermutlich ein höheres Angebot, geringere Inflationsrisiken und ein höheres potenzielles Wachstum sein.

Demografie

Die demografische Entwicklung stellt eine zunehmende potenzielle Belastung dar. In der Hälfte der Weltwirtschaft sind, gemessen am offiziellen BIP, die Bevölkerungszahlen mittlerweile rückläufig. Das Verhältnis der Rentnerinnen und Rentner zur Bevölkerung im Erwerbsalter ist allein im letzten Jahrzehnt weltweit von 11,8 auf 14,8 Prozent gestiegen. Die einkommensstarken Länder verzeichneten in dieser Zeit einen noch drastischeren Anstieg von 23,2 auf 29,1 Prozent.

Diese Trends hemmen das Angebot. Wirtschaftswachstum ist eine Funktion aus der Zunahme der Erwerbstätigen, Investitionsausgaben und Produktivität. Bei sonst gleichen Voraussetzungen führt ein geringeres Wachstum der Erwerbsbevölkerung zu einem niedrigeren potenziellen Wirtschaftswachstum. Ein höherer Anteil der Rentner im Vergleich zu den Erwerbstätigen führt wahrscheinlich zu höheren Schulden. In dienstleistungslastigen Volkswirtschaften, in denen das Potenzial für Produktivitätswachstum begrenzter ist, könnten höhere Altersabhängigkeitsquoten auch zu einer höheren Inflation beitragen.

Ob die Weltwirtschaft den negativen angebotsseitigen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung entgehen kann, könnte wesentlich von der Digitalisierung abhängen.

Digitalisierung

Der Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI) könnte eine Ära der höheren Produktivität ankündigen. Allein in den USA besteht das Potenzial für eine jährliche Steigerung zwischen 0,3 und 2 Prozent.

Wenn das volle Potenzial der KI realisiert wird, könnte sie die demografischen Herausforderungen abfangen: Sie könnte das Wachstum unterstützen und trotz der rückläufigen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter eine Disinflation bei bestimmten Gütern und Dienstleistungen vorantreiben. Vorabinvestitionen in die KI und damit verbundene Branchen könnten zudem die Nachfrage auf kurze Sicht ankurbeln.

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Der Effekt der KI dürfte allerdings geringer sein, wenn die Technologie hauptsächlich das Angebot in Branchen stärkt, die weniger von demografischen Herausforderungen betroffen sind (zum Beispiel Chatbots), aber das Angebot nicht in Bereichen ankurbelt, die einem größeren Druck ausgesetzt sind (zum Beispiel physische Roboter zur Unterstützung der Gesundheitsversorgung).

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Für Anleger ist jedoch interessanter, dass die KI wohl das allgemeine Wachstum der Unternehmensgewinne stärken wird und Chancen bei Unternehmen schafft, die KI-Technologien ermöglichen, anbieten oder von ihnen profitieren.

Dekarbonisierung

Das Streben nach sauberer Energie und Netto-Null-Emissionen wird durch die Sorge um die Energiesicherheit und extreme Wetterereignisse verstärkt. In den kommenden Jahren wird die Energiewende wahrscheinlich weiter durch öffentliches und privates Kapital angetrieben.

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Kurz- bis mittelfristig könnte die Energiewende zu Angebotsstörungen führen, da die Zuverlässigkeit von erneuerbarer Energie durch Hindernisse bei der Energiespeicherung und Netzanbindung beeinträchtigt wird, während die Kosten und die operationellen Risiken bei fossilen Brennstoffen steigen. Zugleich könnten Investitionen in den Sektor zu einer anhaltend robusten globalen Nachfrage beitragen.

Auf längere Sicht sind die Bestrebungen zur Dekarbonisierung positiv für das globale Angebot. Steht ein größeres Energieangebot zu günstigeren Kosten zur Verfügung, dürften ein höheres potenzielles Wachstum, eine niedrigere Inflation und robustere Lieferketten resultieren. Aus Anlegersicht dürften Lösungsanbieter und Unternehmen, die früh auf erneuerbare Energien setzen, am meisten davon profitieren.

Schulden

Die Zukunft des fünften Faktors – Schulden – könnte davon abhängen, wie die anderen vier zu unterschiedlichen Entwicklungen des Wachstums, der Inflation und der Zinssätze beitragen. Das Verhältnis der weltweiten Gesamtschulden zum BIP ist seit der globalen Finanzkrise 2008 gestiegen, da die Welt mit einer schwachen Nachfrage zu kämpfen hatte. Glücklicherweise sorgten das reichliche Angebot und die niedrigen Zinssätze dafür, dass die Zinszahlungen im Verhältnis zu den Staatseinnahmen bisher nahe an Allzeittiefs verharrten.



Aufgrund der demografischen Herausforderungen und des Investitionsbedarfs für die Dekarbonisierung, Digitalisierung und Deglobalisierung dürften die Staatsschulden im Verhältnis zum BIP künftig steigen. Wenn die Zinssätze und Renditen in den kommenden Jahren nicht sinken, könnten die höheren Zinszahlungen in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts für die Regierungen problematisch werden.

Schulden müssen bezahlbar bleiben. Der bevorzugte Weg, dies zu verwirklichen, ist ein robustes Wirtschaftswachstum, das durch einen allgemeinen Einsatz der KI, reichlich grüner Energie und lokalisierter Lieferketten erreicht werden könnte. Gelingt dies nicht, könnte eine Kombination aus finanzieller Repression, Steuern, höherer Inflation oder Zahlungsausfällen erforderlich werden. In dieser Hinsicht kommt die Umsetzung möglicherweise weniger von den Märkten und der Wirtschaft, sondern von der Politik, wobei verschiedene Länder unterschiedliche Wege einschlagen dürften.

Was heißt das für Anleger?

Trotz diverser Szenarien im kommenden Jahrzehnt dürfte Cash schlechter abschneiden als andere maßgebliche Anlageklassen – vor allem dann, wenn Zentralbanken die Zinsen im Zuge erhöhter Schuldenquoten wieder in die Nähe von oder gar unter die Inflationsraten senken. Aktuell relativ hohe Zinsen versprechen gute Gesamterträge von qualitativ hochwertigen Anleihen, wobei jedoch ein großer Anteil der zu erwartenden Renditen im Zuge fallender Zinsen in näherer Zukunft erwirtschaftet werden könnte.

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Die höchsten Renditen unter den maßgeblichen Anlageklassen im kommenden Jahrzehnt werden wohl wieder – trotz der zu erwartenden Schwankungen – von Aktien kommen, vor allem aufgrund des Gewinnwachstums der Unternehmen, die die Digitalisierung und Dekarbonisierung vorantreiben und deren Innovationen dabei helfen, mit dem demografischen Wandel und der Deglobalisierung umzugehen.

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