Mit einer Marktkapitalisierung von mehr als vier Billionen US-Dollar und sehr gut integrierten Lieferketten ist die globale Halbleiterindustrie eine der wichtigsten Säulen des Technologiesektors. Die Branche ist sehr zyklisch und Halbleiteraktien zeigen daher in der Regel eine überdurchschnittliche Schwankungsbreite auf. Dies bedeutet jedoch, dass sich hier immer wieder interessante taktische Chancen für wachstumsorientierte Anlegerinnen und Anleger bieten. Wir bei UBS Global Wealth Management sind der Ansicht, dass sich globale Halbleiteraktien in naher Zukunft vom in den letzten Wochen erfolgten Rückgang erholen können und daher derzeit eine solche Opportunität bieten. Hierfür sprechen drei Gründe.
1) Jahr 2024 als Durchstarter
Erstens, ein starkes Umsatzwachstum von voraussichtlich mehr als 25 Prozent im Jahr 2024. Dieses wird unterstützt durch eine solide Nachfrage nach Computerchips, die künstliche Intelligenz (KI) erst ermöglichen. Aufgrund des aggressiven Lagerabbaus und der gedämpften Endnachfrage in Bereichen außerhalb von KI erwarten wir insgesamt, dass Halbleiterunternehmen global mit einem gedämpften Umsatzwachstum im niedrigen zweistelligen Bereich für das Jahr 2023 aufwarten.
Für 2024 erwarten wir allerdings eine starke Erholung, mit einem branchenweiten Anstieg des Jahresumsatzes um mehr als 25 Prozent auf ein Allzeithoch von knapp 645 Milliarden US-Dollar.
Dahinter stehen verschiedene Entwicklungen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass KI ein wichtiger Wachstumstreiber für Halbleiterhersteller sein wird. Investitionen in das Trainieren und Ableiten von KI-Modellen sollten zu sehr hohen Ausgaben für Chips führen. Außerdem sehe ich eine Stabilisierung der Nachfragetrends bei PCs und Smartphones als zusätzliche positive Aspekte. Und die Speicherindustrie, die etwa 20 Prozent zum Gesamtumsatz der Halbleiterindustrie beiträgt, dürfte ein wichtiger Wachstumstreiber werden. Ich erwarte, dass nach einem Rückgang von knapp 40 Prozent im Jahr 2023, Umsätze in diesem spezifischen Bereich 2024 um rund 70 Prozent ansteigen.
2) Margenexpansion auf früheren Höchststand
Der zweite Grund für den angenommenen Halbleiteraufschwung ist, dass verbesserte Aussichten für Chippreise wohl zu einer Margenexpansion und einem Profitwachstum von über 50 Prozent führen. Dank eines sich verbessernden Mix sind über die letzten Jahre die Preise für Halbleiter insgesamt im Jahresdurchschnitt im mittleren einstelligen Prozentbereich stetig gestiegen. Nicht zuletzt wegen einer Preiserholung in der Speicherindustrie um über 50 Prozent von den Tiefstständen des zweiten Quartals dieses Jahres dürfte dieser Trend sich weiter fortsetzen.
Gestützt auf positive Preiseffekte und einen starken operativen Hebel gehen ist davon auszugehen, dass operative Margen für die globale Halbleiterbranche sich von 27,5 Prozent im Jahr 2023 auf 33 Prozent erhöhen und damit den letzten Höchststand von 2021 während des globalen Chipmangels erreichen sollten.
So dürften sich, nach einem erwarteten Rückgang um 24 Prozent dieses Jahr, die weltweiten Betriebsgewinne im Halbleiterbereich nächstes Jahr um über 50 Prozent erholen. Dies sollte die Halbleiterindustrie 2024 zum am schnellsten wachsenden Bereich innerhalb der weltweiten Technologiebranche machen.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
3) Relativ attraktive Bewertungen
Als dritter Punkt sind die relativ günstigen Bewertungen nach der jüngsten Korrektur zu nennen: Danach sind die Bewertungen von Halbleitertiteln wieder attraktiv geworden. Im Moment handeln Halbleiteraktien weltweit mit einem Aufschlag von etwa 10 Prozent gegenüber ihrem Fünfjahresdurchschnitt. Ich bin der Ansicht, dass diese Prämie gerechtfertigt ist angesichts der erheblichen Entwicklung von Halbleitern in den letzten fünf Jahren mit der Verzahnung in vielen Megatrends wie Internet der Dinge, KI und Elektromobilität sowie einer stärkeren Preissetzungsmacht.
Noch wichtiger ist jedoch, dass die globale Halbleiterbranche mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für das kommende Jahr von knapp 19 gehandelt wird. Dies ist ein markanter Abschlag gegenüber dem globalen Technologiesektor (23-24x KGV, mit einem erwarteten Gewinnwachstum von 16 Prozent im Jahr 2024), vor allem unter Berücksichtigung der Erwartung eines deutlich stärkeren Gewinnwachstums.
Zusammenfassend erscheint mir die Korrektur in den letzten Wochen bei Halbleitertiteln weltweit nicht durch schlechtere Aussichten für die Branche, sondern durch Gewinnmitnahmen, geopolitische Entwicklungen und eine allgemein größere Verunsicherung an den Märkten getrieben zu sein. Unterstützt durch starke KI-Nachfrage und die Stabilisierung der PC- und Smartphone-Nachfrage ist zu erwarten, dass sich die Fundamentaldaten 2024 deutlich erholen sowie der Branchenumsatz um mehr als 25 Prozent und der Gewinn um mehr als 50 Prozent ansteigen werden. Daher glaube ich, dass die jüngste Korrektur bei globalen Halbleitern übertrieben ist, und sehe kurzfristige Opportunitäten in der Branche auf einer Drei- bis Sechs-Monats-Basis.
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