Lange brauchte die Jury nicht, um sich zu einigen. Nach nur fünf Stunden Beratung entschieden sie über den Ausgang in einem der größten Wirtschaftsskandale der vergangenen Jahre: In dem Prozess gegen den Gründer der kollabierten Kryptobörse FTX sprachen sie Sam Bankman-Fried am Donnerstag (Ortszeit) in allen sieben Anklagepunkten schuldig. Die New Yorker Geschworenen haben keinen Zweifel, dass sich der einstige Star der jungen Kryptowelt aus reiner Gier an Kundengeldern bereichert habe, um ein Leben in Saus und Braus zu führen – mit schicken Villen auf den Bahamas und allem, was sonst dazu gehört.
Der Mammutprozess dauerte gerade einmal vier Wochen. Bankman-Fried hatte in den mehrtägigen Vernehmungen zwar Fehler eingeräumt, Betrugsvorwürfe aber stets zurückgewiesen. Doch die Aussagen von Zeugen – darunter ehemalige Manager aus dem FTX-Konsortium und Bankman-Frieds Ex Freundin Caroline Ellison, die das zu dem Kryptoimperium gehörende Brokerhaus Alameda leitete – waren für die Jury wohl eindeutig.
„Dies war eine Pyramide des Betrugs, die der Angeklagte auf einem Fundament aus Lügen und falschen Versprechungen aufgebaut hat, nur um an Geld zu kommen“, sagte der Ankläger Nicolas Ross in seinem Schlussplädoyer. „Er hatte die Arroganz zu glauben, dass er damit durchkommt.“
Sam Bankman-Fried drohen bis zu 110 Jahre Haft
Die Verurteilung soll am 28. März stattfinden. Ein Strafmaß ist noch nicht festgelegt. Im allerschlimmsten Fall drohen Bankman-Fried bis zu 110 Jahre Haft. Manche Rechtsexperten aber gehen davon aus, dass er mit einem Strafmaß von 20 bis 30 Jahren davonkommt. Sein Anwalt kündigte an, voraussichtlich Berufung gegen das Urteil einzulegen.
So oder so: Dieser Donnerstag markierte den traurigen Höhepunkt von FTX und dessen Gründer Bankman-Fried. Vor einem Jahr noch galt der 31-Jährige mit Wuschelhaaren und Schlabbershirts als aufstrebender Jungunternehmer, als Revolutionär der Kryptoszene, der in kürzester Zeit den drittgrößten Handelsplatz für Bitcoin und Co. erschuf.
Auch Promis wie Model Gisele Bündchen und Football-Star Tom Brady investierten hohe Millionensummen in die Kryptobörse. Zwischenzeitlich war FTX mehr wert als der Dax-Gigant Deutsche Bank – und auch Bankman-Fried rangierte auf dem Zenit des Kryptohypes mit einem Privatvermögen von knapp 20,5 Milliarden Euro auf Platz 32 der reichsten Amerikaner.
Bis zum 11. November vergangenen Jahres, als FTX die Zahlungsunfähigkeit vermeldete. Wenige Wochen zuvor hatte Bankman-Fried Liquiditätsprobleme noch bestritten, doch die Gerüchte über die desolate Lage der Kryptobörse bewahrheiteten sich jäh. Der Marktführer Binance kündigte an, FTX übernehmen zu wollen – bis er tags darauf horrende Schulden und kaum Eigenmittel in den Büchern von FTX vorfand. Es klaffte eine Milliardenlücke zwischen Verbindlichkeiten und Vermögenswerten.
Krypto-ABC: Die wichtigsten Begriffe verständlich erklärt
Der Fokus am Kryptomarkt liegt klar auf dem Bitcoin. Unter Altcoins versteht man Kryptowährungen, die nach der ältesten Digitalwährung erfunden wurden und eine Alternative zum Bitcoin darstellen. Beispiele dafür sind Ethereum, Cardano oder Solana.
Der Bitcoin ist nicht nur die dem Volumen nach größte, sondern auch die älteste Kryptowährung der Welt. Schon im Oktober 2008 skizzierte Satoshi Nakamoto, das Pseudonym des Bitcoin-Erfinders, in einem Whitepaper mit dem Titel „A Peer-to-Peer Electronic Cash System“, wie so eine virtuelle Währung aussehen könnte. Kurz darauf, im Januar 2009, wurden die ersten Bitcoin geschürft. Weil Nakamoto unter einem Pseudonym agierte, ist bis heute unklar, wer genau den Bitcoin ins Leben gerufen hat.
Transaktionen von Kryptowährungen werden auf der Blockchain dokumentiert. Die Blockchain ist eine öffentliche, dezentrale Datenbank. Die Informationen werden nicht auf einem einzelnen Server, sondern auf vielen tausenden Rechnern gespeichert. „Chain“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Kette“.
Jede Transaktion wird in einem Block gespeichert und an eine Kette der bereits vorhandenen Datensätze angehängt. Deshalb wird die Blockchain auch digitales Kassenbuch genannt. Die gespeicherten Daten können im Nachgang nicht mehr oder nur mit Zustimmung des Netzwerkes geändert werden. So soll ein fälschungssicheres Protokoll entstehen.
Ether ist hinter dem Bitcoin die zweitgrößte Kryptowährung und basiert auf der Ethereum-Blockchain. Im Vergleich zur Bitcoin-Blockchain gilt diese als moderner und leistungsfähiger und soll in Kürze auf das energiesparendere Proof-of-Stake-Verfahren umgestellt werden. Auch Smart Contracts können über Ethereum gehandelt werden. Beliebt ist die Kryptowährung auch, weil NFTs (non fungible Token) oft auf Ethereum basieren und deshalb mit Ether bezahlt werden.
Mining ist das Erzeugen (Schürfen) neuer Coins. Bei diesem Prozess stellen Miner im Fall des Bitcoin die Rechenleistung ihrer Computer zur Verfügung, um komplexe mathematische Aufgaben zu lösen. So werden Transaktionen verifiziert und auf der Blockchain gespeichert. Die Miner werden fürs Bereitstellen der Rechenleistung mit neu generierten Bitcoin belohnt.
Bei einigen anderen Kryptowährungen basiert das Mining dagegen nicht auf Rechenleistung, sondern auf den Anteilen der Netzwerk-Teilnehmer an der jeweiligen Kryptowährung (siehe Proof of Stake). In diesem Fall wird das Mining deshalb auch oft als Staking bezeichnet. Auch dafür bekommen Teilnehmer eine Prämie, also quasi eine Art Verzinsung für ihren Anteil.
Minten bezeichnet das Erstellen eines NFTs (non fungible Token). Mit dem „Prägen“ des Bildes ist in diesem Fall das Hochladen in die Blockchain gemeint.
Die Abkürzung NFT steht für non-fungible Token, also nicht austauschbare Wertmarken. NFTs sind virtuelle Güter, die über die Blockchain gehandelt werden. Oft sind es etwa digitale Bilder oder Sammelkarten. Jeder NFT ist einzigartig. Wer einen kauft, wird in der Blockchain als Eigentümer registriert und kann so beispielsweise ein Echtheitszertifikat für ein virtuelles Bild oder ein digitales Kunstwerk vorweisen.
Mit dem Proof-of-Work-Verfahren werden neue Münzen einiger Kryptowährungen wie dem Bitcoin geschaffen. Dafür stellen die Miner die Rechenleistung des Systems zur Verfügung, um komplexe Aufgaben zu lösen. Wer es zuerst schafft, die Aufgabe zu lösen, darf den Block an die Blockchain anhängen und erhält eine Belohnung in Form digitaler Münzen. Der Proof-of-Work-Ansatz gilt als besonders energieintensiv.
Einige Blockchains basieren auf dem Proof of Stake-Verfahren. Anders als bei Proof of Work werden dabei fürs Mining keine umfangreiche Hardware und große Mengen an Rechenleistung benötigt. Proof of Stake gilt daher als wesentlich energieschonender.
Statt dessen dürfen diejenigen Transaktionen und neue Coins freigeben, die einen besonders hohen Anteil an einer Kryptowährung halten. Sie werden dann Validatoren genannt. Der Prozess beruht auf einem Konsensmechanismus. Je höher der Preis, desto höher die Anzahl der Coins, um am Prozess teilzunehmen.
Smart Contracts sind virtuelle Verträge, die über die Blockchain getauscht werden. Diese treten unter bestimmten zuvor festgelegten Bedingungen selbstständig in Kraft. Insbesondere Banken und andere Finanzinstitute sehen in Smart Contracts einen großen Nutzen. Sie könnten zum Beispiel beim Börsenhandel Intermediäre – also zwischengeschaltete Stellen wie Wertpapierbroker– überflüssig machen.
Die Wallet ist eine Art digitale Geldbörse für Kryptowährungen. Sie ermöglicht es Nutzern, Kryptoguthaben zu kaufen und zu verschicken. Es gibt mehrere Arten von Wallets. Die Hardware-Wallet ist quasi ein USB-Stick, auf dem das Kryptovermögen und die Zugänge eines Nutzers gespeichert sind. Eine Paper-Wallet wird auf Papier ausgedruckt.
Dafür wird ein QR-Code generiert, den man einscannen muss, um Transaktionen zu tätigen. Eine Software-Wallet kommt ohne externe Geräte oder Papierausdrucke aus. Hier werden die Daten in einem Computerprogramm gespeichert. Nutzer dürfen ihre Zugangsdaten nicht vergessen: Sonst bliebe ihnen der Zugriff auf ihr Kryptovermögen verwehrt.
Dieses Krypto-ABC entstammt dem großen Krypto-1x1 der WirtschaftsWoche: Das vollständige Dossier finden Sie hier zum Download
Der Deal war vom Tisch, die Kurse von Kryptowährungen brachen ein und FTX-Kunden befürchteten, ihre gesamten Einlagen zu verlieren. Im Fahrwasser der FTX-Pleite mussten zahlreiche weitere Krypto-Unternehmen Insolvenz anmelden. Bis heute wirkt sich der Kollaps der Kryptobörse auf die Handelsaktivitäten aus. Das Drama um den mutmaßlichen Milliardenbetrug hat die Kryptowelt für immer verändert.
Die Schlinge zieht sich zu
In einem gläsernen Behördentempel mitten in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington beobachtet man das Treiben im Kryptosektor spätestens seit der Insolvenz von FTX noch kritischer als zuvor. Die US-Börsenaufsicht SEC hat schon früher immer wieder Kryptoprojekte verklagt, mit mäßigem Erfolg. Unter ihrem Vorsitzenden Gary Gensler, der 2021 ans Ruder kam, hat sie ihren Kampf gegen den Sektor intensiviert. Und umso mehr, nachdem FTX die Anlegerwelt einmal mehr erschüttert hat.
Mit neuem Selbstbewusstsein knöpft sich die SEC nun selbst die großen Player am Markt vor – und überzog im Sommer die beiden führenden Kryptobörsen Binance und Coinbase mit einer Klagewelle. Im Fall von Binance spricht die SEC von einem „Netz der Täuschung“, von Interessenkonflikten und manipulierten Börsenumsätzen, gar von „kalkulierter Umgehung des Gesetzes“.
„Man kann die Regeln nicht einfach ignorieren, nur weil man sie nicht mag oder weil man andere Regeln bevorzugt. Die Konsequenzen für die Anleger sind viel zu groß“, sagte ein SEC-Aufseher vor wenigen Monaten. Worte, die man hierzulande von kaum einer Aufsichtsbehörde hören würde. Und Worte, die zeigen: Die Schlinge für Krypto-Unternehmen zieht sich zu.
Ausgerechnet am wichtigsten Marktplatz für Kryptowährungen, in den USA, ist die Regulierung lax. Obwohl Bitcoin und Co. inzwischen den Anlegermainstream erreicht haben, sind große Teile des Handelsuniversums eine Blackbox – auch wenn mit Coinbase ein wichtiger Akteur börsennotiert ist und damit unter Aufsicht der SEC steht. Auch bei FTX konnten Nutzer kaum nachvollziehen, wie gut – oder eben schlecht – es um die finanzielle Situation der Börse bestellt ist.
Handelsvolumen hat abgenommen
Nun aber haben die Aufseher den regulatorischen Vorschlaghammer hervorgeholt: Sie werfen den Kryptobörsen Binance und Coinbase vor, Wertpapiere ohne Lizenz zum Handel anzubieten – und verklagte sie. Konkret geht es den Aufsehern dabei um Kryptowährungen wie den Solana oder den Cardano-Coin Ada. Selbst große Neobroker wie Robinhood nahmen die Coins daraufhin aus ihrem Portfolio – und entzogen sie damit dem Massenmarkt.
Die Börsenaufsicht strebt nach umso mehr Kontrolle über den Kryptomarkt, je mehr Digitalwährungen ins etablierte Finanzsystem drängen. Für Anhänger von Bitcoin und Co., die die Cyberdevisen als Bollwerk gegen jeden staatlichen Einfluss verstehen, ist das ein herber Eingriff.
Ein milliardenschwerer Wirtschaftsskandal, strengere Aufseher: Die Rahmenbedingungen für Kryptowährungen haben sich deutlich verschlechtert. Auf der anderen Seite steigen immer mehr institutionelle Investoren in den Markt ein, sogar große Wall-Street-Häuser kooperieren inzwischen mit Kryptounternehmen. Auch die Bestrebungen von Blackrock, dem weltgrößten Vermögensverwalter, einen speziellen Bitcoin-ETF auf den Markt zu bringen, interpretieren Beobachter als Vertrauensbeweis in den Sektor. Die Botschaft: Bitcoin und Co. sind gekommen, um zu bleiben.
Auch der Bitcoin-Kurs erweckt den Anschein, als hätten Anleger die Horrormeldungen der vergangenen Monate und das Drama um FTX bereits verarbeitet. Nach der Pleite war der Kurs zwar abgerauscht, in der Spitze um gut ein Viertel auf knapp 15.600 Dollar – aber nur, um kurz darauf wieder in einen Aufwärtstrend überzugehen. Allein seit Jahresbeginn hat der Bitcoin sich mehr als verdoppelt, zuletzt notierte er bei etwa 34.660 Dollar. Eine Entwicklung, an der FTX-Gründer Sam Bankman-Fried wohl kein Geld mehr verdienen wird.
Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien zuerst am 3. Oktober 2023. Nach der Urteilsverkündung haben wir ihn am 03. November aktualisiert.
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