Haben Sie zuletzt mal bei Ihrer Bank oder Sparkasse angerufen? Mit wem haben Sie da gesprochen? Mit einem Menschen? Oder mit einem Bot? Vielleicht wissen Sie das ja gar nicht. Geht es nach Ralph Müller, zuständig für Operations bei der ING, könnte das schon in sehr kurzer Zeit Realität werden.
„Solche Sprachbots“, sagt Müller, würden menschlichen Gesprächspartnern schon bald kaum noch nachstehen. Bereits im Sommer will die ING einen Bot einführen, der frei interagiert. „Einzelne Fälle können die Kunden dann mit dem Bot lösen“, sagt Müller.
Zeiten, in denen Bandansagen ermüdend langweilige Sätze wie „Für Deutsch, drücken Sie die eins“ oder „for english, press two“ von sich geben, sollen dann vorbei sein.
Ähnlich sieht das auch Raffael Johnen, Gründer der Kreditplattform Auxmoney. „In drei Jahren wird sich jeder wünschen, mit einem Bot zu sprechen anstatt mit einem üblichen Callcenter“, sagt Johnen. Der Bot sei auch außerhalb normaler Öffnungszeiten da, spreche alle Sprachen und habe Zugriff auf Daten. Der Nutzer, so Johnen, bekomme am Ende eine bessere oder mindestens genauso gute Antwort wie bei einem menschlichen Gegenüber.
Wenn die KI bei Kreditentscheidungen hilft
Über ihre Zukunftsfantasien geplaudert haben Müller und Johnen auf der Finance-Forward-Messe in Hamburg. Das Branchentreffen des Fintech-Volks ist Teil des OMR Festivals und eins der größten in Deutschland. Kaum Anzüge oder Krawatten, dafür weiße Sneaker – so weit das Auge reicht. Das Durchschnittsalter: niedrig. Der Frauenanteil: ausbaufähig, aber für ein Finanztreffen schon nicht schlecht.
Keine Frage, dass das allgegenwärtige Thema künstliche Intelligenz auch hier auf der Agenda nicht fehlen darf. Schließlich könnte die Finanzwelt so stark von der Technologie profitieren wie kaum eine andere Branche. Die Berater von McKinsey schätzen, dass Banken zu den Hauptprofiteuren von generativer KI gehören und ihre Gewinne dadurch um bis zu 4,8 Prozent steigern könnten.
Tatsächlich ist das Rennen um die besten KI-Lösungen in der Branche in vollem Gange. Im Vorteil sind naturgemäß eher die jungen Fintechs mit ihrer zeitgemäßen IT. Etablierte Banken seien viel behäbiger, sagt Doreen Huber, die mit EQT Ventures in Start-ups und Fintechs investiert. Banken seien „Tanker“, an denen Fintechs „wie ein Speedboot“ vorbeifahren, sagt Huber.
Der Anruf beim Bot ist dabei nur einer der simplen Anwendungsfälle. ING-Vorstand Müller sieht „einen echten Umbruch“ durch KI in der Branche. So arbeitet die Bank daran, den Genehmigungsprozess für ein Immobiliendarlehen mit der Hilfe von KI zu automatisieren und schneller zu machen. So sollen am Ende Kreditentscheidungen möglich sein, ohne dass Kunden Unterlagen wie Exposés einreichen müssen.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Auch die baden-württembergische Landesbank LBBW hat erst kürzlich ihre eigene KI namens „blue.gpt“ vorgestellt. Dieser Chatbot soll unter anderem bei der Analyse größerer Datenmengen helfen und später auch im Risikomanagement eingesetzt werden.
Stefan Hoops, Vorstandschef der Deutsche Bank-Tochter DWS, könnte sich auch vorstellen, KI im Investmentprozess zu verwenden. So könnte eine künstliche Intelligenz Nachrichten auswerten, die die Märkte bewegen und „antizipieren, welche Wertveränderung das bringt“, sagt Hoops bei der Finance Forward-Messe. So könnte die künstliche Intelligenz genau antizipieren, in welche Richtung sich die Masse am Kapitalmarkt in Zukunft bewegen wird, wo der Schwarm investieren könnte.
Hoops selbst zählt sich da nicht so sehr zu den Tankern, sondern wohl eher zu den Speedbooten. „Wir haben einen großen Haufen Daten“, sagt Hoops. Diese will er nutzen, um mit KI das Geschäft zu optimieren.
Was heißt das für Kunden? Zumindest nichts schlechtes, denn Prozesse wie Kreditvergaben dürften in Zukunft eher besser als schlechter funktionieren. Aber müssen in Zukunft alle mit KI-Bots sprechen, wenn sie bei ihrer Bank oder Sparkasse anrufen? „Wir machen das nicht zur Pflicht“, sagt ING-Vorstand Müller. Wer lieber mit einem Berater als mit einem Bot sprechen möchte, der soll das weiterhin tun können. Wem es egal ist, der merkt im Zweifel gar nicht, ob er mit einer Maschine gesprochen hat oder mit einem Menschen.
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