Als das Statistische Bundesamt am Mittwoch die vorläufigen Inflationsdaten für den August vorlegte, verfolgten Anleger die Daten mit Spannung. Die Teuerungsrate in einigen wichtigen Bundesländern lag über den Erwartungen. Die Folge: Der Dax gab leicht nach. Unterm Strich sorgten die Zahlen aus Wiesbaden aber für Erleichterung. Mit 6,1 Prozent ging die Teuerung im Vergleich zum Vormonat leicht zurück.
Während die Inflation sich allmählich auf dem Rückzug befindet, sind die Zinsen weiter hoch. Der US-Leitzins liegt aktuell bei 5,25 Prozent, der für die EU entscheidende Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) beträgt 4,25 Prozent. Es sind die höchsten Werte seit knapp 15 Jahren. Das bewegt die Aktienmärkte – aus mehreren Gründen.
Erstens entspricht der Wert eines Unternehmens der Summe seiner abgezinsten zukünftigen Erträge. Wenn die Zinsen steigen, müssen diese mit einem höheren Satz abgezinst werden. Somit sinkt der Gegenwartswert selbst dann, wenn die Erwartung künftiger Erträge konstant bleibt.
Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Finanzminister irgendwann auch mal die Einnahmeseite optimieren wollen, wenn sich ihre Staaten teurer verschulden müssen, weil der Zins anzieht. Im Klartext heißt das: Vor allem in überschuldeten Staaten könnten bald Steuererhöhungen gefordert werden.
Und drittens haben auch Unternehmen Schulden, die bedient und irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Steigende Zinskosten belasten die Erträge. Und hohe Tilgungs- oder Refinanzierungskosten engen die unternehmerische Freiheit ein. Das Geld fehlt dann etwa für Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Hier sind die Schuldenberge am höchsten
Doch wie steht es um die finanzielle Freiheit der Unternehmen? Wir haben den Stoxx Global 1800, der je 600 Unternehmen aus Nordamerika, Europa und den entwickelten Ländern der Asien-Pazifik-Region abbildet, bezogen auf die Nettoverschuldung analysiert.
Da Finanzwerte Verschuldung und Refinanzierung schon in ihrer DNA haben, ist hier ein Vergleich mit anderen Branchen wenig sinnvoll. Bei den übrigen Werten fällt auf: Drei von vier Unternehmen haben unterm Strich Schulden. Im Umkehrschluss hat immerhin ein Viertel der Firmen mehr Bares als Schulden in den Büchern. Regional betrachtet gibt es dabei bemerkenswerte Unterschiede: In Japan sind 40 Prozent der Unternehmen netto-cash-positiv – ein Alleinstellungsmerkmal. In Europa und in Asien insgesamt ist nur jedes fünfte Unternehmen schuldenfrei.
Im Branchenvergleich sticht der Technologiesektor hervor, in dem die Mehrheit der Firmen netto schuldenfrei ist. Auffällig ist, dass die verschuldeten Firmen zuletzt eher schwächelten, wie IBM, Intel oder Corning. Aber es gibt auch Ausnahmen wie Oracle und Broadcom. Fest steht: Bei verschuldeten Techfirmen lohnt sich genaueres Hinsehen.
Überdurchschnittlich gut kapitalisiert sind auch der Gesundheitssektor und Hersteller zyklischer Konsumgüter, etwa Autoproduzenten. Im Gegensatz dazu haben Versorger und Immobilienwerte allesamt Nettoschulden. Auch bei den Grundstoffwerten gibt es nur wenige mit dickem Cash-Polster – darunter allerdings mit Aurubis, K+S und Thyssenkrupp gleich drei deutsche Firmen.
Wie Anleger die Verschuldung richtig einordnen
Schulden müssen grundsätzlich nichts Schlechtes sein, sondern sind ein Element der Kapitalstruktur. Unternehmen, die Kapital horten, statt es einzusetzen, schaffen eben auch keine Werte für Aktionäre. Wichtig ist jedoch, dass Unternehmen von ihren Schulden nicht erdrückt werden. Schulden müssen deshalb immer ins Verhältnis gesetzt werden. Entweder zu bilanziellen Größen, also dem Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital. Oder zum Gewinn, etwa zum operativen Ertrag vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen: dem vielzitierten Ebitda.
Eine Faustregel lautet: Nettoverschuldung in dreifacher Höhe des Ebitda ist noch tolerabel. Das Unternehmen könnte hier notfalls mit drei Jahresgewinnen seine Nettoschulden komplett abtragen. Jene Firmen im Stoxx Global 1800, die netto Schulden haben, kommen auf einen Median von 3,3. Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Sektoren: Die Ebitda-Verschuldung der Versorger liegt im Median bei 5,2. Im Energiebereich sind die Unternehmen durchschnittlich nur mit dem einfachen Ebitda verschuldet.
Diese Differenzen sind ein Spiegelbild der Ertragsstabilität. Aber man muss sich schon fragen, ob Investoren eine so hohe Abweichung nach oben im aktuellen Zinsumfeld noch lange tolerieren. Gut möglich, dass der Energiesektor in Form von Öl- und Gasunternehmen für Investoren mittelfristig attraktiver ist als konventionelle Versorger.
Wichtig ist aber auch: Durchschnitte sagen nichts über Einzelfälle aus. 20 Prozent der Firmen im untersuchten Index wirtschaften jenseits der Schuldengrenze des dreifachen Ebitda. 14 Prozent sind sogar mit mehr als dem vierfachen Ebitda verschuldet. Gut jedes zehnte Unternehmen bräuchte mindestens den fünffachen Jahresgewinn vor Steuern, Zinsen und Wertberichtigungen, um seine Schulden komplett abzuzahlen – darunter sind keineswegs nur Versorger und Immobilienwerte.
Je nach Geschäftstätigkeit ist das Ebitda ziemlich zyklisch. Gerade, wenn die Konjunktur nachhaltig schwächelt, kann der operative Ertrag eines Unternehmens sich schnell mal halbieren. Wenn es um die Einordnung von Schulden geht, sollte man deshalb immer auch die Gewinnhistorie ansehen und vielleicht lieber mit dem EBITDA-Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre (oder sogar dem Minimum der vergangenen fünf Jahre) rechnen als mit einem Wert für die letzten zwölf Monate. Der war vielleicht noch von einer guten Konjunktur beeinflusst – das ist gerade im Industriebereich eine Möglichkeit.
Im Podcast sprechen Horst von Buttlar und Christian W. Röhl über die neuen BRICS-Mitglieder und ob es sich lohnt, dort zu investieren. Außerdem geht es um Schulden, Zigaretten und Avocados. Jetzt reinhören.