Wer in Schweden sein Frühstück mit Scheinen oder Münzen bezahlen möchte, sollte vorher besser einen Blick ins Portemonnaie werfen – oder sich gründlich über das Café informieren. Denn: Viele Geschäfte akzeptieren kein Bargeld mehr. Die Schweden bezahlen mittlerweile fast ausschließlich in digitaler Form. Und sind damit sehr zufrieden.
„Seit vier Jahren habe ich in Schweden kein Bargeld mehr in der Hand. Bargeld spielt bei uns im Alltag keine Rolle mehr“, sagt Lena Hackelöer, nicht ganz ohne geschäftliches Interesse. Die Deutsch-Schwedin ist Gründerin des Zahlungs-Start-ups Brite, das Überweisungen von Konto zu Konto in Echtzeit durchführt. Nachdem sie einige Jahre beim Zahlungsdienstleister Klarna gearbeitet hat, entwickelte sie ein eigenes digitales Zahlungsmittel.
Hackelöer wohnt seit 14 Jahren in Schwedens Hauptstadt Stockholm und erlebt die bargeldlose Gesellschaft täglich: „Ich habe bei uns zu Hause in der Keksdose noch Bargeld gefunden und bin dann damit zum Supermarkt gegangen. Die Kassiererin sagte mir, der Geldschein sei nicht mehr gültig.“ Der Supermarkt habe das Geld nicht angenommen.
Der Hauptgrund für das rasante Verschwinden von Scheinen und Münzen aus dem schwedischen Alltag liege in der hohen digitalen Affinität des Landes, sagt Hackelöer. Steuererklärungen, Behördengänge, Patientenakten – alles bereits digitalisiert. Ein weiterer Faktor: die zunehmende Nutzung von Kreditkarten. In Schweden bekommt jeder, der ein Bankkonto eröffnet, automatisch auch eine Kreditkarte. Dadurch gebe es eine ganz andere Einstellung zu digitalen Zahlungsmitteln als in Deutschland, erklärt die 39-Jährige.
Digitaler Euro: Antwort auf bargeldlose Gesellschaft
Und sie sieht weitere Vorteile – im Großen wie im Kleinen: „Ich glaube, dass die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs mehr Transparenz schafft und Steuerhinterziehung entgegengewirkt. Auch für Mitarbeiter im Einzelhandel ist es effizienter: Jeder der mal eine Bargeld-Entsorgung in einer Filiale mitgemacht hat, weiß, dass da viel manueller Aufwand dahintersteckt“, sagt Hackelöer. Und: dass Kosten anfallen. Manche deutsche Banken verlangen für die Einzahlung eines Münzbeutels einen Pauschalbetrag von bis zu zehn Euro, andere berechnen für den Service ein paar Prozent des Einzahlbetrags.
Mit dem digitalen Euro arbeitet man in der EU nun an einer Lösung. Genau wie Bargeld soll der digitale Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgegeben werden und damit besonders sicher sein. Während viele Deutsche die Pläne der EZB und der Europäischen Kommission zur Entwicklung eines digitalen Euros skeptisch sehen, sind die Schweden bereits einen Schritt voraus. Der EU-Mitgliedstaat ist nicht Teil der Euro-Zone und hat bereits vor der EZB begonnen, an einer eigenen digitalen Währung zu arbeiten: Die E-Krona soll ähnlich wie der digitale Euro in den nächsten Jahren eingeführt werden und ist eine Antwort auf eine nahezu bargeldlose Gesellschaft.
Deutschland ist das komplette Gegenteil. Im Vergleich zu einer Bargeldnutzung von rund acht Prozent in Schweden, sind Münzen und Scheine mit 60 Prozent das beliebteste Zahlungsmittel der Deutschen. Auch wenn die Corona-Pandemie den Digitalisierungsprozess vorübergehend beschleunigt hat, ist der Umsatzanteil der Kartenzahlung nur leicht auf 60 Prozent gestiegen, wie Zahlen einer Markterhebung des Forschungsinstituts EHI zeigen. Gleichzeitig gibt es immer weniger Geldautomaten in Deutschland und in Europa. Wer Bargeld abheben will, muss zum Teil lange Wege gehen – oder an fremden Automaten hohe Gebühren zahlen.
Wird Schweden also bald zum Vorbild für Deutschland? Oder, anders gefragt, kann Deutschland überhaupt mit diesem rasanten Wandel mithalten? „Auf jeden Fall“, findet Hackelöer. Allerdings sei zu erwarten, dass die Entwicklung in Deutschland sehr viel langsamer verlaufe als in Schweden. „In Deutschland ist Bargeld sehr kulturell verankert. Außerdem gibt es immer wieder Ängste bezüglich des Datenschutzes.“
Debatten über den digitalen Euro oder strengere Bargeldobergrenzen enden in Deutschland zuweilen in Untergangsfantasien. Manche wittern gar „Vorbereitungen auf die digitale Diktatur“. Auch Kritiker, die weniger für Dramatisierungen bekannt sind, führen vor allem einen Punkt an: Keine Zahlungsvariante ist anonymer als Bargeld. Wer über Dienstleister wie Paypal oder Visa eine Überweisung tätigt, gibt einer Zwischeninstanz – in den Fällen gar mit unternehmerischem Interesse – seine Daten preis. Und auch Zahlungen mit dem digitalen Euro wären nicht komplett privat. Schließlich würden Verbraucher über eine Infrastruktur zahlen, die von der EZB ausgegeben wird.
Übrigens ist Deutschland in Sachen digitaler Zahlungsverkehr nicht ganz das Schlusslicht: Österreich ist noch vor Deutschland das europäische Land, in dem am häufigsten bar gezahlt wird. Die Wiener Regierung überlegt aktuell sogar, ein „Recht auf Bargeld“ in die Verfassung aufzunehmen. Letztlich entscheiden jedoch über Erfolg oder Misserfolg eines Bezahlmittels allein die Verbraucher.
Lesen Sie auch den Kommentar: Bargeld ist Freiheit!