Die deutsche Immobilienbranche steckt in einer handfesten Krise. Die rasant gestiegenen Zinsen sind schon ein schwerer Schlag. Lieferkettenprobleme, steigende Rohstoffpreise und Verunsicherung über die künftige Regulierung tun ihr Übriges. Manche Zahlen sehen regelrecht dramatisch aus. Für Hamburg wurde bei Immobilienpreisen kürzlich ein Verhandlungsspielraum nach unten in Höhe von 20 Prozent geschätzt.
Der Fertighausbauer Helma Eigenheimbau steht mitten im Sturm – und mit ihm seine Aktionäre. Das Unternehmen kämpft wegen der Immobilienkrise ums Überleben. Die Helma-Aktie hat innerhalb von nur eineinhalb Jahren 94 Prozent an Wert verloren, die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens steht auf der Kippe.
Dabei liefen die Geschäfte noch bis vor Kurzem gut. Helma ist ein Rundumversorger für den Hausbau. Vom Einfamilienhaus über standardisierte Wohneinheiten bis zum Ferienhaus deckt man alles ab. Seit der Gründung 1980 ist das im niedersächsischen Lehrte beheimatete Unternehmen fantastisch gewachsen. Aktionäre wurden seit dem Börsengang 2006 mit steigenden Kursen und Dividenden belohnt, zumindest nach dem Schock der Finanzkrise 2008. Eine Wohlfühlgeschichte aus dem deutschen Mittelstand.
Happy End in Gefahr
Bis plötzlich der Albtraum aller Anleger beginnt. Am 23. Mai dieses Jahres gibt Helma bekannt, dass der Dividendenvorschlag kassiert wird. Angesichts der sinkenden Nachfrage will man die Bilanz schonen, auch, weil im Laufe des Jahres Schuldenrückzahlungen anstehen. Man spricht von „geeigneten Refinanzierungsmaßnahmen“, zu denen man bereits „mit den finanzierenden Banken in konstruktiven Gesprächen“ sei. Der Kapitalmarkt nimmt das gelassen auf, die Aktie gibt nur unwesentlich nach.
Am 15. Juni wird eine Anpassung der Prognose veröffentlicht. Helma schätzt die wirtschaftliche Lage nun deutlich prekärer ein. Der Jahresumsatz soll statt etwas mehr als 302,5 Millionen Euro nur noch 220 bis 260 Millionen Euro betragen, unterm Strich steht statt Mini-Gewinn ein Verlust. Kein Wort mehr zu Refinanzierungsbemühungen. Und noch immer reagieren Börsianer überraschend ruhig, dabei zeigt eine einfache Überschlagsrechnung bereits, wie dramatisch die Lage zu diesem Zeitpunkt ist.
2022 blieb dem Unternehmen bei einem Umsatz von 302 Millionen Euro gerade mal ein Vorsteuergewinn in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Am unteren Ende der Umsatzprognose und mit steigenden Kosten im Nacken wäre in diesem Jahr dementsprechend ein Fehlbetrag von vielen Millionen Euro zu erwarten – womöglich im zweistelligen Bereich. Für so ein schlechtes Geschäftsjahr, in dem auch noch in den nächsten Monaten Schulden in Höhe von 35,5 Millionen Euro fällig werden, reichen die Rücklagen hinten und vorne nicht.
Ende 2022 (das Unternehmen veröffentlicht nur im Halbjahresturnus Geschäftszahlen) betrugen die liquiden Mittel gerade einmal 18,8 Millionen Euro. Bei einer Marktkapitalisierung von 18 Millionen Euro müsste man bestehende Anteile massiv verwässern, um mit frischem Kapital über die Runden zu kommen. Eher noch könnte sich Helma, wie zunächst angekündigt, mit den Banken bei einer Neuordnung des Fremdkapitals einig werden. Aber angesichts der jüngsten Zahlen fehlt womöglich die dafür notwendige Perspektive.
In diese Kerbe schlägt auch ein Analystenbericht vom 19. Juni, der endgültig wachrüttelt. Christian Bruns vom Nebenwertespezialisten Montega wundert sich darin offen darüber, warum es von Helma kein Update zu den Refinanzierungsgesprächen gibt. Die starke Umsatzanpassung bereite ihm Sorgen, die Finanzen seien angesichts der bald fälligen Schuldscheindarlehen besorgniserregend. Bruns‘ Fazit ist vernichtend: „Aufgrund der kurzfristig ungeklärten Finanzierung und der dadurch extrem eingeschränkten Visibilität setzen wir unser Rating und das Kursziel für die Aktie aus.“
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Als Reaktion auf diese Meldung fällt der Aktienkurs von neun auf fünf Euro. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr war die Aktie zeitweise 69 Euro wert. Einen Tag später zieht Warburg Research nach und setzt ebenfalls das Rating aus. Zuvor hatte das Kursziel bei 37,50 Euro gelegen.
Hätte man es ahnen können?
Aktionäre stehen nun vor einem Scherbenhaufen. Haben sie sich die Situation zu lange schöngeredet? Dafür gibt es zumindest Indizien. Zwar war Helma Anfang 2022 noch optimistisch. Darauf folgte dann aber eine negative Prognoseanpassung im September, in welcher der Jahresumsatz plötzlich um bis zu 60 Millionen Euro beziehungsweise 17 Prozent niedriger eingeschätzt wurde. Eine weitere Anpassung nach unten folgte im November.
Im Oktober gab es mit dem Wechsel der Unternehmensführung ein weiteres Warnsignal. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Gerrit Janssen wurde überraschend entlassen. Er hatte das Wachstum des Unternehmens seit 2009 als Finanzchef begleitet und 2018 von Unternehmensgründer Karl-Heinz Maerzke den Vorstandsvorsitz übernommen. 2021 wurde sein Vertrag noch vorzeitig verlängert, bis 2027. Im vergangenen Herbst dann der plötzliche Abgang.
Mit Janssens Nachfolgerin Andrea Sander bekam Helma Verstärkung von extern. Sanders Karriere kennt allerdings keine Stationen in der Immobilienwirtschaft. Die neue Vorstandsvorsitzende ist Fachfrau für Compliance, Wirtschaftsprüfung und Risikofragen. Anders ausgedrückt: die richtige Chefin für harte Zeiten.
Die größten Finanzierungsfallen für Immobilienkäufer
Wer seine finanzielle Belastungsgrenze für Zins und Tilgung überschätzt, gefährdet die gesamte Finanzierung. Die Monatsraten sollten ein Drittel der Einkünfte nicht übersteigen. Schließlich geht das Alltagsleben auch für Immobilienbesitzer weiter. Unvorhergesehene Ausgaben, etwa eine größere Autoreparatur, müssen problemlos bezahlbar bleiben. Dafür sind Reserven in Höhe von drei bis sechs Monatsgehältern empfehlenswert.
Quelle: Bausparkasse Schwäbisch-Hall, eig. Recherche
Stand: 2022
Bauherren sollten genau kalkulieren, ob sie mindestens zwei oder besser drei Prozent Tilgung im Monat stemmen können. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Rechnung: Spätestens bei Renteneintritt sollte die Immobilie abbezahlt sein. Die Bauzinsen sind zuletzt zwar gestiegen, die Zinsaufschläge für lange Kreditlaufzeiten von 20 oder gar 30 Jahren sind aber nicht besonders hoch. Eine möglichst lange Zinsbindung ist deshalb sinnvoll und sichert gegen einen weiteren Zinsanstieg ab.
Je mehr Eigenkapital in die Finanzierung eingebracht wird, desto weniger Geld muss sich der Kreditnehmer leihen. Als Faustregel gilt: Mindestens 20 Prozent der Gesamtkosten (Bau-, Kauf- und Kaufnebenkosten) sollten Käufer aus eigenen Mitteln bestreiten können. Wer den Kreditbedarf unterschätzt, muss womöglich eine teure Nachfinanzierung in Kauf nehmen. Setzt man die Bedarfssumme dagegen zu hoch an, verlangen Banken eine Nichtabnahmeentschädigung.
Banken finanzieren sie nur ungern mit: Die Gesamtnebenkosten aus Grunderwerbsteuer, Gebühren für Notar und Grundbucheintrag sowie mögliche Maklerprovisionen können sich auf bis zu 15 Prozent des Kaufpreises summieren. Wer eine Immobilie im Wert von 300.000 Euro finanzieren will, sollte also bereits 45.000 Euro für die Nebenkosten angespart haben.
Guthaben aus Riester-Verträgen, Darlehen aus öffentlicher Hand, wie Kredite der KfW-Bank, oder auch Baugeld vom Bürgermeister können den Kreditbedarf senken. Zusätzlich kann es weitere Zuschüsse geben. Wer die besonders für Familien mit Kindern lukrative Wohn-Riester-Förderung oder das Baukindergeld nicht für die Finanzierung nutzt, verschenkt mitunter eine fünfstellige Summe. Oberländers Tipp: „Käufer sollten sich im Vorfeld gezielt nach Zulagen und Förderungen erkundigen.“
Auch die Stimmung unter den Helma-Angestellten hätte als rote Flagge herhalten können. Auf der Bewertungsplattform Kununu hagelt es seit einem Jahr ausschließlich negative Bewertungen. Zuvor deuteten die Rezensionen von Helma als Arbeitgeber eher von Zufriedenheit in der Belegschaft.
Klar ist: Das Management hätte das Unternehmen besser für eine Durststrecke wappnen müssen. Bis 2021 zahlte Helma recht üppige Dividenden. Sogar für das schwierige Geschäftsjahr 2022 sollte es noch bis vor Kurzem eine Ausschüttung geben, fast in Höhe des Nettogewinns. So baut man keine Reserven auf.
Womöglich ging der Vorstand davon aus, dass sich das Geschäftsumfeld rasch wieder verbessern würde. Im laufenden Jahr haben die Vorstandsmitglieder jedenfalls bisher keine einzige Helma-Aktie gehandelt, im vergangenen Jahr ausschließlich zugekauft. Gründer Maerzke besitzt noch immer 31 Prozent des Unternehmens. Vielleicht fehlte es dem Management schlicht an Vorstellungskraft. Schließlich hatte man jahrzehntelang nur sinkende Zinsen gesehen. Im Jahr 2011 baute Helma das Geschäft aus, stieg in die Entwicklung und den Vertrieb von Ferienimmobilien ein – ein riskantes Geschäft, das mittlerweile ein Viertel des Umsatzes ausmacht. Das zeugt von einer gewissen Risikobereitschaft und einem großen Selbstbewusstsein. Einem zu großen?
Finger weg!
Für Helma-Aktionäre gibt es einen schwachen Hoffnungsschimmer: Die Aktie hat schon einmal eine Höllenfahrt gut überstanden. Sie fiel im Laufe der Finanzkrise von über 20 auf unter 2 Euro, konnte sich danach aber prächtig erholen. Nachdem im Jahr 2007 bei einem Umsatz von 50 Millionen Euro ein Verlust von 6,5 Millionen Euro in der Bilanz stand, war man bereits 2009 wieder knapp profitabel.
Nun steht die Zukunft von Helma ein weiteres Mal auf der Kippe. Leider, muss man sagen. Schließlich konnte das Unternehmen mit seinen Produkten durchaus überzeugen. Zwischen 2005 (dem Jahr vor dem Börsengang) und 2021 hat sich der Umsatz fast exakt verzehnfacht, von 33 auf 331 Millionen Euro. Das entspricht einem beeindruckenden jährlichen Wachstum von 15,5 Prozent.
Vergangener Glanz und ein vor eineinhalb Jahrzehnten gelungener Turnaround nützen heute aber nichts. Wer auf den aktuellen Aktienkurs von unter fünf Euro und die 4,69 Euro an Gewinn pro Aktie im Jahr 2021 blickt und ein Schnäppchen wittert, verkennt den Ernst der Lage. Völlig zurecht zahlen Anleger an der Börse für einen Euro erwarteten – sprich: unsicheren – Umsatz nur noch zirka acht Cent. Dass es anders geht, zeigt ein Konkurrent aus Berlin: Für die Deutsche Eigenheim Union bezahlen Anleger aktuell noch grob die Hälfte der Umsatzschätzung.
Aktuell ist Helma ein Paradebeispiel für die Kernschmelze am Immobilienmarkt und für Anleger uninvestierbar. Spannend wird es am 7. Juli, wenn die Hauptversammlung ansteht. Aktionäre, die daran teilnehmen, werden viele Fragen im Gepäck haben.
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