WirtschaftsWoche: Ich bin neulich auf der Autobahn geblitzt worden. Erlaubt waren 80 km/h – und ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich auch 80 gefahren bin. Wenn jetzt ein Bußgeldbescheid kommen sollte – was sollte ich tun?
Steffen Klug: Erstmal abwarten. Üblicherweise kommt erst ein Anhörungsschreiben, in dem Ihnen die Behörde den Tatvorwurf mitteilt – und Ihnen Gelegenheit gibt, sich zu äußern. Manchmal kommt auch schon gleich der Bußgeldbescheid. Wenn eins von diesen Schreiben kommt und Sie Zweifel am Tatvorwurf haben, sollten Sie rechtlichen Rat einholen. Ein Anwalt kann sich die Ermittlungsakte kommen lassen und auf Plausibilität überprüfen.
Lohnt sich das?
Jeder zweite Bußgeldbescheid ist angreifbar. Jede Behörde muss in der Lage sein, vor Gericht den Tatvorwurf zu beweisen. Sie greift ja in die Rechte des Bürgers ein. Immer dann, wenn ein Bürger damit nicht einverstanden ist, geht es vor Gericht. Inwieweit ein Gericht überzeugt ist oder nicht, das hängt vom Fall ab. Die meisten Ermittlungsakten geben aber Anhaltspunkte, um Zweifel am Tatvorwurf zu säen. Angriffspunkte finden sich eigentlich immer.
Welche?
Das fängt schon beim Messgerät an. Wenn Polizisten Laserpistolen benutzen, dann sind diese der Überprüfung gänzlich entzogen. Da schaut ein Messbeamter drauf, liest eine Zahl ab, die von einem anderen übertragen und per Funk weitergegeben wird. Da können sich Fehler einschleichen. Die größte Fehlerquelle ist der Mensch. Der Beweis beruht auf der Zeugenaussage des Messbeamten vor Gericht. Wenn er sich nicht an den konkreten Temposünder erinnern kann, weil er an dem Tag viele Messungen gemacht hat und weil der Fall schon ein halbes Jahr zurückliegt, kann ein Verfahren schon mal mit einem Freispruch enden. Wenn er sich aber am Tattag gut vorbereitet und Notizen gemacht hat, wird seine Aussage vor Gericht glaubwürdiger und steigert die Überzeugungskraft für das Gericht.
Zur Person
Steffen Klug ist Leiter der Verkehrsrechtsabteilung beim Verkehrsrechtsportal Freem. Zuvor war er von 2014 bis 2021 selbständiger Rechtsanwalt, vorwiegend im Verkehrs-, Straf- und Verwaltungsrecht.
Welche Fehlerquellen gibt es noch?
Das Messgerät muss vorschriftsmäßig aufgebaut sein, der bedienende Beamte muss über die nötige Sachkenntnis verfügen, der Auswerte-Beamte auch. Das Messgerät muss geeicht sei. Die ganze Beweiskette muss da sein – das ist in den seltensten Fällen so. Die Akten sind beinahe nie vollständig. Mitunter weigern sich Behörden sogar, die Messdaten herauszugeben. Viele Messgeräte speichern die Daten auch gar nicht, sodass die Messung nur bedingt nachvollzogen werden kann. Stellen Sie sich vor, bei einem Mord würde die Polizei die Tatwaffe als Beweis noch am Tatort entsorgen. Da würde man auch sagen, das kann doch nicht sein. Es gibt ein anhängiges Verfahren beim Bundesverfassungsgericht, wonach die Hersteller verpflichtet werden könnten, die Speicherung der Messdaten zu ermöglichen. Im Moment ist es noch nicht so.
Sie haben vorhin gesagt, dass jeder zweite Bußgeldbescheid angreifbar ist. Wie kommen Sie auf die Zahl?
Das sind Zahlen, die ich aus den Fällen herleite, die bei uns landen. In 50 Prozent der Fälle können wir eine Verbesserung für die Mandanten herausholen. Manchmal trifft auch der Tatvorwurf zu – aber wir können die Sanktionen abmildern. Bei den Punkten in Flensburg oder beim Fahrverbot kann man oft etwas machen. Viele Richter zeigen sich immer offener, die Sanktionen abzumildern, wenn vom Betroffenen ein Entgegenkommen kommt – ein Fahrsicherheitstraining beim TÜV zum Beispiel.
Sie arbeiten ja für das Verkehrsrechtsportal Freem, das zur Gruppe des Flugrechtportals Flightright gehört. Was machen Sie für Ihre Kunden?
Wir begleiten unsere Kunden durchs Verfahren. Wir legen Einspruch ein – das muss man, denn nach zwei Wochen wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig. Unsere Anwälte schauen die Akten durch – und gehen, wenn nötig, vor Gericht. Im vergangenen Jahr haben wir eine mittlere, vierstellige Anzahl an Verfahren geführt.
Ab welcher Strafe ergibt es Sinn, sich zu wehren?
Das hängt vom Betroffenen ab. Für manch einen ergibt es Sinn, sich gegen einen Bußgeldbescheid von 30 Euro zu wehren – aus idealistischen Motiven. Aber es gibt auch Berufskraftfahrer, deren Existenz an ihrem Führerschein hängt – die sich gegen jeden Vorwurf wehren müssen.
Was kosten Ihre Dienste denn?
Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, muss nichts bezahlen – die Kosten trägt die Versicherung. Solch eine Rechtsschutzversicherung empfehlen wir auch. Wenn die Betroffenen nicht versichert sind, machen wir ein Pauschalangebot: 690 Euro. Da ist die Verteidigung vor der Behörde und in erster Instanz vor Gericht mit drin. Eine erste Einschätzung zum Fall ist übrigens kostenlos.
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