Wenn es in Deutschland ein Problem gibt, ruft man nach Steuervorteilen. Das ist weder neu, noch besonders originell. Aber es wirkt besser, als die simple Forderung nach mehr Geld. Diesmal ist es Klaus Reinhardt, Chef der Bundesärztekammer, der steuerliche Anreize für Ärztinnen und Ärzte fordert, damit sie im Rentenalter weiterarbeiten. Viele von ihnen seien nämlich bereit, zumindest in Teilzeit weiter zu praktizieren, so Reinhardt gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die Steuer biete hier einen kurzfristig wirksamen Hebel. Und der solle dringend genutzt werden, denn der Ärztemangel werde sich absehbar massiv verschärfen. Immerhin sei fast jeder vierte berufstätige Arzt 60 Jahre oder älter, so Reinhardt. Die Argumentation mag schlüssig sein und womöglich können steuerliche Anreize tatsächlich helfen. Doch steuert Deutschland nicht auf einen allgemeinen Fachkräftemangel zu? Fehlen uns nicht auch Erzieher und Betreuerinnen in den Kindertagesstätten, Altenpfleger, Sanitärfachkräfte und Informatiker? Selbst wenn deren Altersschnitt nicht so hoch wie bei den Ärzten ist, können steuerliche Anreize auch hier nicht schaden. Berufsschullehrer sind übrigens auch überdurchschnittlich alt.
Ach so, wie sieht es eigentlich mit Journalisten aus? Können wir die nicht schon vor dem Ruhestandsalter steuerlich entlasten? Die sind wirklich wichtig! Sobald einzelne Gruppen steuerlich besonders gefördert werden sollen, geht das Geschacher los. Andere Gruppen rufen nach Gerechtigkeit: Wir auch! Das Gegenteil von „gut“ ist bekanntlich „gut gemeint“.
Insofern sollte die Bundesregierung auf die Forderung des Ärztepräsidenten zwar eingehen, aber nicht so, wie von ihm gedacht. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant ohnehin Anreize für ein längeres Arbeiten im Alter: Wer mag und kann, soll für die Weiterarbeit jenseits der regulären Rentenaltersgrenze belohnt werden. Dieses Vorhaben ist ein sinnvoller Kontrapunkt zum derzeitigen Frührenten-Trend. Die Anreize sollte die Bundesregierung allerdings allen bieten. Nicht nur denen, die am lautesten danach schreien.
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