Berufsunfähigkeitsversicherung „Wer glaubt, schlauer als die Versicherer zu sein, wird eines Besseren belehrt“

Wer einmal in Therapie war, hat es schwer beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung.  Quelle: imago images

Psychotherapien galten lange Zeit als Ausschlusskriterium für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Ein Makler erklärt, was sich inzwischen geändert hat und warum sich Geheimniskrämerei bei der Antragstellung nicht lohnt.

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WirtschaftsWoche: Herr Helberg, immer mehr Menschen nehmen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Habe ich als Kunde mit einer psychischen Erkrankung noch Chancen auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU)?
Matthias Helberg: Vor ein paar Jahren waren die Chancen noch sehr schlecht. Inzwischen versuchen die Versicherer genauer zwischen den vorbelastenden Faktoren zu differenzieren. Das erhöht die Aufnahmechancen für Menschen mit Vorerkrankungen.

Und wie genau differenzieren die Versicherer?
Es macht für die Versicherungsunternehmen einen großen Unterschied, ob Sie wegen einer akuten Krisensituation eine Kurzzeittherapie durchlaufen haben oder mehrere Jahre wegen einer Depression in Behandlung waren. Die Versicherer können auf die Daten tausender Versicherter zurückgreifen und daraus Wahrscheinlichkeiten ableiten. Führt eine Vorerkrankung besonders häufig zu einer Berufsunfähigkeit, schließen die Versicherer Sie für ihre Police aus.

Wie finde ich heraus, welcher Versicherer mich trotz meiner psychischen Erkrankung aufnimmt?
Ganz so einfach ist das nicht. Die psychischen Vorerkrankungen oder die absolvierte Therapie, das sind ja nur zwei Faktoren von vielen. Versicherer gucken sich immer das Gesamtbild an: Wie alt ist der Antragssteller? Welchen Beruf übt er aus? Welche Vorerkrankungen oder Diagnosen gibt es noch? Man kann leider nicht sagen: Wer vor mehr als drei Jahren eine Essstörung diagnostiziert bekommen hat, sollte beispielsweise zur Allianz gehen, die haben da kein Problem mit. Das funktioniert nicht.

Matthias Helberg. Quelle: PR

Zur Person

Soll ich also mehrere Versicherer durchprobieren, bis ich einen finde, der mich aufnimmt?
Grundsätzlich ist das eine gute Idee. Man sollte aber als Verbraucher sehr vorsichtig mit den eigenen Daten umgehen. Wenn Sie eine direkte Anfrage an einen Versicherer stellen, geht das in der Regel nicht anonym. Der Versicherer ist befugt, die von ihnen bei der Auskunft gemachten Angaben zu speichern. Es gibt sogar eine Art Schufa für Versicherte, das Hinweis- und Informationssystem der Deutschen Versicherungswirtschaft (HIS). Auf dieses System können auch andere Versicherer zugreifen und ihre Daten abfragen.

Wie kann ich mich davor schützen?
Unabhängige Versicherungsmakler können Verbrauchern dabei helfen, ihre Fälle anonym bei den Versicherern anzufragen und Angebote einzuholen.

Ist es möglich eine BU zu erhalten, während ich eine Therapie absolviere?
Das funktioniert weiterhin nur im Ausnahmefall. Um eine Chance zu haben, sollte der Kunde mindestens beschwerdefrei sein. Bestenfalls wurde die Therapie vor der Antragsstellung abgeschlossen. Welche Zeiträume bei den Gesundheitsfragen abgefragt werden, entscheidet jede Versicherung selbst. Wenn die Psychotherapie aber fünf Jahre zurückliegt, hat man in der Regel gute Chancen, ein Angebot unter Mitversicherung psychischer Krankheiten zu erhalten.

Kann ich meine Chancen auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung steigern, wenn ich meine Psychotherapie selbst bezahle und sie dann im Antrag verschweige?
Es gibt Psychotherapeuten, die damit öffentlich werben: „Bezahlen Sie Ihre Therapie bei mir privat, dann müssen Sie das beim Abschluss ihrer Berufs- oder Dienstunfähigkeitsversicherung nicht angeben.“ Das ist fatal. Nehmen wir an, Sie bekommen die BU und werden tatsächlich irgendwann arbeitsunfähig. Deckt der Versicherer Ihren Betrug auf, muss er Ihnen keinen Cent zahlen.

Manche Großunternehmen bieten ihren Mitarbeitern in Kooperation mit Versicherungsunternehmen eine BU ohne Gesundheitsfragen an. Ist das eine gute Gelegenheit für Menschen mit Vorerkrankungen, um doch noch an eine Police zu gelangen?
Das kann eine gute Lösung sein. Trotzdem sollte man sich die Vertragsbedingungen sehr genau anschauen. Muss ich wirklich keine Angaben zu Vorerkrankungen machen? Handelt es sich um eine BU im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge? Dann muss eine BU-Rente im Schadensfall vollständig versteuert und volle Krankenkassenbeiträge bezahlt werden. Das sollten Versicherte wissen.

Worauf sollte ich noch achten? 
Es kann sich lohnen, vor einem BU-Antrag die eigene Patientenakte einzusehen. Ich habe schon einige Fälle erlebt, in denen Ärzte abenteuerliche Diagnosen an die Krankenkassen übermittelt haben.

Zum Beispiel?
Ob man es glaubt oder nicht: Gynäkologen sind in Deutschland prädestiniert dafür, psychologische Diagnosen zu stellen. Da kann es schon mal passieren, dass einer schwangeren Frau bei der Vorsorgeuntersuchung gesagt wird, es sei alles in Ordnung. Hinterher mit der Krankenkasse wird dann aber eine „Hypochondrische Störung“ abgerechnet. So ist es einer Kundin von mir passiert. Sie wusste natürlich nichts von dieser Diagnose und hätte sie deswegen beinahe nicht beim Antrag angegeben. Kommt es bei einem solchen Fall später mal zu einer Berufsunfähigkeit, und die Versicherung erfährt rückwirkend von dieser Diagnose, könnte das schlimmstenfalls zu einem Verlust des Versicherungsschutzes führen.

Können Patienten nachträglich gegen eine aus ihrer Sicht falsche Diagnose vorgehen?
Das geht. Der Prozess dauert allerdings mitunter viele Monate und kann das Verhältnis zum behandelnden Arzt nachhaltig zerstören. Am Ende erhält man möglicherweise trotzdem keine Versicherung. Es hat sich als wirkungsvoller herausgestellt, den Versicherern die eigene Sicht auf die Umstände transparent zu schildern.  

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Transparenz wird also grundsätzlich belohnt?
Wer glaubt, schlauer als die Versicherungen zu sein, wird meist eines Besseren belehrt. Spätestens wenn wirklich ein Schadensfall eintritt, prüft der Versicherer alle Unterlagen und Befunde noch einmal ganz genau – auch aus der Zeit vor dem Abschluss.

Lesen Sie auch: Welche Versicherungen Sie wirklich brauchen – und welche nicht

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