Karriereleiter Perfektionisten, macht euch locker!

Die perfekte Rede kann es nicht geben. Denn die perfekte Rede ist die, die nicht perfekt ist. Wer sich davon verabschiedet, aalglatt ohne kleine Hakler, Patzer und Pannen durchkommen zu wollen, wird entspannter und wirkt nahbarer. Und damit punkten Sie umso mehr. Perfektionisten, macht euch mal locker. Also: Was ist die „perfekte“ Mischung aus perfekt und einfach nur menschlich?

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

„Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“. Nirgends gilt diese Lebensweisheit so sehr wie beim Reden vor Publikum. Und ich erinnere mich an ein Beispiel aus meiner Teenager-Zeit, das zeigt ganz gut, was ich meine. 

Da hatte ein Klassenkamerad zu seinem Geburtstag eingeladen. Nennen wir ihn Daniel, denn so hieß er nicht. Es dürfte sein 16ter gewesen sein, zumindest war der Anlass seinem Vater offenbar wichtig genug, seinen Sohn dazu zu überreden, den rund 20 Gästen gegenüber eine kleine Ansprache zu halten. Also vor lauter pubertären und gerade so postpubertären Teens im Alter von „noch nie Sex, aber schon mal ein Bier“. Wir saßen im Stuhlkreis im Garten, hinten rauchte der Grill, und das Geburtstagskind zückte seinen Spickzettel und fing an: „Liebe Freundinnen und Freunde,...“ und im Hintergrund stand sein Vater und nickte anerkennend.

Wir anderen wären am liebsten allesamt vor Fremdscham auf den Grill gesprungen. Und aus der Coolsten von allen ist es dann richtig herausgeplatzt: „Oh Gott!“

Dabei hatte Daniel es ja nur nett gemeint und er wollte uns mit seiner kleinen Rede ehren. Und es war alles drin, was man von einem 16-Jährigen erwarten konnte. Von „Ich freue mich, dass ihr alle da seid“ über „Wetter passt zum Tag“ bis „Lasst uns feiern.“ Was war also das Problem?

Antwort: Er wollte es zu gut machen. Und das hat dem Ganzen die Lockerheit genommen. Das war nicht er, das passte nicht zu uns. Wir wollten labern über Weiber und Typen, über Lehrer lästern und weitertratschen, wer mit wem wohl was laufen hat. Und dann sowas.

Es war der Versuch von Perfektion, der uns allen gezeigt hat, dass wir es gerade irgendwie nicht waren. Wir wollten unangepasst und unperfekt sein. Und diese liebe Rede hat uns von unserem Gastgeber abgegrenzt.

Hätte Daniel einfach gesagt: „Alle mal herhören, bitte! HEY! MAL HERHÖREN! Mein Vater wollte ja unbedingt, dass ich eine kleine Rede halte, aber ehrlich gesagt, Papa, sorry, das ist mir irgendwie peinlich. Wenn ich auf Kommando rülpsen könnte, würde ich das jetzt machen. Klappt aber nicht. Ich schmeiß jetzt das Fleisch drauf“, das wäre genau DIE runtergerotzte Verbrüderungs-Ansprache gewesen, die ins Herz und in den Bauch gegangen wäre. Weil die Ansprache einfach ungeschliffen gewesen wäre. Und auf unserer Wellenlänge. 

Jetzt würde ich nicht allen von Ihnen und euch empfehlen, bei jeder Gelegenheit vorne auf der Bühne am Mikro Verdauungsgeräusche zu machen. Aber ich hoffe, es ist klar, was ich meine: Es ist ein gutes Gefühl, wenn die Wellenlänge stimmt. 

Und dazu gehört die Erkenntnis: Keiner ist perfekt. Warum also soll der oder die da oben im Rampenlicht perfekt sein? Das entfernt uns als Redner vom Publikum. 

Ich hatte da mal ein Aha-Erlebnis, als ich als Moderator im WDR Fernsehen anfangen habe. Vorher hatte ich einige Jahre als Kinderfernsehmoderator gearbeitet und hatte anfangs irgendwie das Bedürfnis, allen zu zeigen: Ich kann auch handfesten Nachrichtenjournalismus. Mein Mittel der Wahl waren geschliffene Moderationen und dabei bloß nicht verspielt wirken, also lieber ernst und engagiert. Und irgendwann hat es dann ein Missverständnis gegeben zwischen der Regie und mir und ich wusste nicht mehr, welche Kamera dran ist. Meine Blicke sprangen zwischen den Kameras hin und her, das Kamera-Rotlicht hat hin und her geflackert, bis beides endlich wieder zusammengepasst hat. Zuschauer finden sowas ja immer super. Und wollen erleben: Wie lösen die das da im Fernsehen jetzt? Das Feedback an mich danach war: „Da wurdest du Mensch.“ - „Das war so witzig, wie du da so verdutzt und amüsiert geguckt hast.“ Das ungeplante Improvisieren hatte mir also unverhofft Herzpunkte eingebracht. Das war mir eine Lehre.

Gehen wir es also mit Spaß am Ungeschliffenen an. Was nicht heißt, dass nun aber auch wirklich alles egal ist. Verstehen Sie all das hier bloß nicht als Aufruf zur Gleichgültigkeit.

Generell gilt: Sprechen Sie vor Publikum nur dann, wenn Sie für das brennen, was Sie vermitteln wollen. Denn genau das ist der Sinn eines persönlichen Vortrags. Dass Sie mit Ihrer Leidenschaft das Feuer bei den Zuhörern entfachen. Und sie damit überzeugen, so dass am Ende alle sagen: „Ja! Das stimmt.“

Immer dann, wenn Sie nur etwas herunter rattern, was das Publikum mit gleichem Effekt genauso gut irgendwo in einem Skript nachlesen könnte, dann ist der Aufwand für einen persönlichen Vortrag im Grunde vergeudet: Spalten voller Bilanzen, Folien voller Spiegelstriche, alles, von dem Sie glauben, als Dokument per E-Mail verschickt lassen sich die Inhalte besser vermitteln, das wird als Vortrag kaum zünden. 

Es gilt also: Seien Sie voller Begeisterung bei der Sache. Dann erreichen Sie Ihre Zuhörer im Bauch und im Kopf. Und überzeugen. Weil der Funke überspringt.

Aber überzeugen von was? Da sind wir schon beim nächsten Knackpunkt: Selbstverständlich muss der Inhalt Hand und Fuß haben. Wenn wir hier von Lockerheit ohne krampfhaften Drang zu Perfektion sprechen, dann heißt das auf keinen Fall, dass es egal ist, was Sie rüber bringen wollen. Schlecht vorbereitet dummes Zeug zu erzählen, kann zwar extrem tiefenentspannt rüberkommen, aber die Sache, von der Sie überzeugen wollen, taugt dann nichts. Auch in diesem Fall ergibt ein Vortrag keinen Sinn. 

Es geht also allein darum, bei der Art, wie wir den Vortrag, die Präsentation, die Vorlesung, das Referat rüberbringen, den Anspruch abzulegen, es müsse perfekt rüberkommen. Weil das aus der Natur der Sache heraus eben nicht geht. 

Diesen Anspruch abzulegen, ist gar nicht so einfach. Denn wir bekommen es jeden Tag anders vorgelebt. Nehmen wir etwa mal Versprecher.

Sich zu versprechen gilt als Fehler. Das liegt zum einen daran, dass etwa Fernsehmoderatoren in Info-Sendungen meist mit Telepromptern vortragen. Das macht es leicht, geschliffenes Deutsch zu präsentieren. Diese Texte ähneln allerdings oft einem Schriftdeutsch. Wenn dann mal etwas unrund klingt, ist es gleich falsch. Denn es passt nicht zum sonst so auf Grammatik durchprüfbaren Vortrag.

Zum anderen sind auch im fiktionalen Bereich Versprecher nicht vorgesehen. Nennen Sie mir mal eine Netflix-Serie, in der die eine Figur undeutlich spricht oder sich verhaspelt und die andere fragt: „Wie bitte?“, ohne dass dies einen dramaturgischen Hintergrund hätte. 

Aber Versprecher folgen im echten Leben eben keiner Dramaturgie. Deshalb mein Tipp: 

1. Versprecher einfach liegen lassen

Sehen Sie Versprecher nicht als Klopper, sondern als menschlich. Und das soll Ihre Rede doch auch sein: menschlich.

Wenigen kleinen Versprechern brauchen Sie selbst gar keine Beachtung zu schenken. Lassen Sie sie links liegen.

Wenn Sie sich mal ordentlich verhaspeln, lächeln Sie einfach kurz und machen Sie einfach weiter. Das zeigt allen: „Habe ich selbst gemerkt. Aber das bringt mich nicht aus dem Konzept.“

Wenn es sich häuft und Sie denken: langsam fällt es auf, dann sagen Sie kurz etwas wie „meine Güte“.

Aber entschuldigen Sie sich nur für Versprecher, wenn diese den Inhalt verfälschen oder wenn Sie einen Namen falsch aussprechen. Aber auch dann keine großen Arien bitte. Denn sonst kann schnell der Eindruck entstehen, Sie seien mit Ihrer Wirkung auf Ihr Publikum unzufrieden. Und das lässt Sie im Zweifel unsouverän wirken.

2. Haben Sie etwas vergessen? Dann holen Sie es einfach nach

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Den roten Faden Ihres Vortrags kennen vorab nur Sie. Deshalb merkt außer Ihnen auch keiner, wenn Sie davon abweichen. Wenn Sie etwas vergessen, vermisst das außer Ihnen im Zweifel keiner. Wenn Sie was durcheinander bringen und deshalb spontan etwas umstellen, ist das nur für Sie eine Umstellung. Das Publikum lässt einfach alles auf sich zukommen.

Selbst wenn Sie noch einmal eine schon gezeigte Folie aufrufen wollen, um etwas nachzuliefern, was Ihnen durchgegangen war: Tun Sie´s. Gucken Sie sich einfach vor Ihrem Auftritt in Ruhe an, wie Sie schnell zurückspringen können. Dann bedeutet das Hüpfen durch die Folien für Sie keinen Stress mehr. 

3. Erinnern Sie sich: Es geht um Ihre innere Flamme

Wenn es zwischendurch etwas holpert, weil Sie sich versprechen, Sie etwas vergessen oder Formulierungen nicht so schön rübergebracht haben, wie Sie es von sich gewohnt sind, dann kann der Anspruch auf Perfektion Ihnen noch während des Auftritts die Laune versauen. Das Gefühl „es läuft nicht“ zieht Sie im blödesten Fall so weit runter, dass eine Abwärtsspirale beginnt. Sie werden nervös, es kommen dadurch noch mehr „Fehler“ und am Ende droht ein Blackout. Aber das können Sie leicht abschalten: Besinnen Sie sich auf das, worauf es ankommt: Sie wollen überzeugen. Und das tun Sie mit dem Feuer Ihren Augen, der Kraft Ihrer Stimme und vor allem mit Ihren guten Ideen, wie Sie den Menschen Bilder in den Kopf malen. Nicht damit, dass Sie aalglatt durchs Programm flutschen.

Wenn Sie während des Auftritts spüren, dass sich in Ihrem Innern Zweifel breit machen: Lächeln Sie in sich hinein und denken Sie daran: Ihr Publikum will an Ihnen mit Ihrer Leidenschaft teilhaben. So dringen Ihre Inhalte wohlig warm in die Bäuche ein. 

Ein glatt gelutschter Auftritt ist dafür nicht erforderlich. Und kann sogar den Blickwinkel der Zuhörer verstellen. Wenn das Publikum merkt, dass hier alles reibungslos, glatt, auf Hochglanz poliert und makellos über die Bühne gehen soll, dann richtet es die Antennen unbewusst auch darauf aus. Wir kennen das etwa daher, wenn Apple das neue iPhone präsentiert. Das Ganze wirkt derart einstudiert, dass kleinste Ungereimtheiten gleich als Makel gelten. Weil jeder weiß: Das wollten die selbst gar nicht so. Da ärgern die sich jetzt. Das gibt nachträglich noch Diskussionen.

Soweit müssen wir es bei unserem eigenen Vortrag nicht kommen lassen. Indem wir die Verbissenheit im Auftritt eintauschen gegen Spaß an der Sache.

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