Darüber solltet ihr mal schreiben | #15 Zahlt Deutschland wirklich hunderte Millionen für Fahrradwege und Busse in Peru?

Kundgebung von Landwirtschaft und Transportgewerbe in Berlin. Der Vorwurf, die Bundesregierung setze ihre Prioritäten bei der Entwicklungszusammenarbeit falsch, fand seinen Weg auch auf die Bauernproteste. Quelle: imago images

In der Serie „Darüber solltet ihr mal schreiben“ rufen wir zum Einsenden von Themen oder Fragen auf, die Sie interessieren. Diesmal: Ob Deutschland wirklich Millionensummen für Fahrradwege in Peru ausgibt?

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Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) lassen die Hilfen für die Verkehrswende in Peru nicht los. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ dementierte sie erneut eine falsche Zahlenangabe, die seit Wochen in den sozialen Netzwerken, den Kommentarspalten vieler Medien und auch bei den Bauernprotesten kursiert: Demnach habe Deutschland 315 Millionen Euro für die Radwege- und Busförderung gezahlt. „Diese Zahl ist nicht korrekt“, stellte Schulze klar.

Laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) belaufen sich die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit mit Peru, die den Bus- und Radverkehr betreffen, auf insgesamt rund 200 Millionen Euro. Davon fließen 44 Millionen Euro als Zuschüsse in den Aufbau eines Fahrradnetzes, 155 Millionen Euro sind Kredite der deutschen Förderbank KfW. Diese zinsverbilligten Darlehen gewährt die deutsche Förderbank für den Aufbau eines umweltfreundlichen Bussystems in Peru. Während die Zuschüsse nicht zurückgezahlt werden müssen, profitieren die Partnerländer bei den Entwicklungskrediten von der hohen Bonität Deutschlands und müssen daher weniger Zinsen zahlen.

Doch woher stammt die Falschangabe? Diese wurde unter anderem durch die ehemalige AfD-Abgeordnete Joana Cotar in einer Bundestagsrede Anfang Dezember verbreitet, Belege blieb die Politikerin allerdings schuldig. Trotzdem machte die Behauptung die Runde: Zuletzt wurde sie in der Talkrunde von Markus Lanz gegenüber der Grünen-Politikerin Ricarda Lang genannt, auch hier ohne Nachweise.



Allerdings: Die Rückzahlung der Kredite ist zwar vorgesehen, kommt aber nicht immer zustande. Laut Bundesfinanzministerium hat Deutschland Peru bis Ende Dezember 2022 exakt 233,1 Millionen Euro an Schulden erlassen, die das Land im Rahmen der „finanziellen Zusammenarbeit“ bei der KfW aufgenommen hatte. Diese Summe sei über viele Jahre - teilweise Jahrzehnte - aufgelaufen, so eine Sprecherin. In einer Reaktion wies sie zudem darauf hin, dass es sich um eine Umschuldung und nicht um einen Schuldenerlass handele: „Das heißt, die peruanische Regierung verpflichtet sich, das Geld, das sie nicht mehr für die Rückzahlung der Kredite aufwenden muss, stattdessen für entwicklungspolitische Projekte auszugeben“.

Die bereits genannten aktuellen Hilfsgelder des BMZ sind jedoch nicht die einzigen zugesagten Unterstützungsleistungen für den Andenstaat. In einer Pressemitteilung teilte das Ministerium im September mit, dass im Jahr 2022 insgesamt 426 Millionen Euro zugesagt wurden, die für die Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor bestimmt sind. Wie eine Sprecherin erklärte, kann sich die tatsächliche Verwendung der Fördermittel und der Abruf der Kredite aufgrund der langen Planungszeiten für Infrastrukturprojekte hinziehen.

Auch wenn bisher alles darauf hindeutet, dass es sich bei der ursprünglich genannten Summe bestenfalls um eine Halbwahrheit handelt, bleibt die Frage, warum sich die Bundesrepublik für den öffentlichen Nahverkehr in Südamerika interessiert. Die Gelder „sorgen für Mobilität für alle Teile der Bevölkerung zu erschwinglichen Preisen, ermöglichen so auch mehr Teilhabe der Armen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben und schützen das Klima“, sagt das BMZ. Das Entwicklungshilfeministerium sieht in den Investitionen eine sinnvolle Zukunftsinvestition, die dafür sorge, „dass wir weniger zahlen müssen, um Schäden und Verwüstungen nach Überschwemmungen oder Dürren zu reparieren und wiederaufzubauen.“

Die Bundesregierung begründet ihre Politik der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur moralisch nach dem Motto „Wohlstand verpflichtet“, sondern auch ökonomisch. Die enge Verflechtung der Weltwirtschaft macht auch den deutschen Wohlstand anfällig für Krisen in anderen Ländern. „Gewaltsame Konflikte oder Finanz- und Wirtschaftskrisen in Europa, Afrika, Asien oder Südamerika führen auch in Deutschland zum Verlust von Arbeitsplätzen.“ Darüber hinaus sieht sich Deutschland international mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen auch vertraglich in der Pflicht: „Sowohl die frühere Bundeskanzlerin Merkel als auch Bundeskanzler Scholz haben zugesagt, dass Deutschland dazu einen jährlichen Beitrag leistet, der auf mindestens sechs Milliarden Euro im Jahr 2025 ansteigen wird.“

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Dieses Versprechen wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt auf eine harte Probe gestellt. Nach der Einigung der Ampelpartner muss das BMZ eine Kürzung von 400 Millionen Euro hinnehmen. Das ist so viel wie in keinem anderen Ressort. Mit 11,5 Milliarden Euro hat das für Entwicklungszusammenarbeit zuständige Haus damit einen Anteil von 2,58 Prozent am Gesamthaushalt. Zum Vergleich: Das Landwirtschaftsministerium kommt mit 6,8 Milliarden Euro auf 1,53 Prozent. Das größte Stück vom Kuchen ist aber nach wie vor der Etat des Ministeriums für Soziales und Arbeit mit 38,52 Prozent. Von den 171,6 Milliarden Euro fließen nach Angaben des Bundes fast drei Viertel als Zuschüsse an die Rentner im Land, ein Viertel sind Sozialleistungen.

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Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 18. Januar veröffentlicht, wir haben ihn um weitere Fakten ergänzt und zuletzt am 1. Februar 2024 aktualisiert.

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