Ein Präsident, der Teil einer Verschwörung ist – gegen den eigenen Staat und gegen den rechtmäßigen Ablauf eines Machtwechsels. Das ist üblicherweise Stoff aus dystopischen Romanen oder Autokratien. Genau dies wirft die US-Justiz nun aber dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten vor: Donald Trump. In einer beispiellosen Anklage, die alle bisherigen rechtlichen Vorwürfe gegen den Republikaner in den Schatten stellt. Und in einer Anklage, bei der es nicht nur für Trump ums Ganze geht, sondern auch für die amerikanische Demokratie.
Am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) soll Donald Trump nun vor dem Bundesgericht in Washington erscheinen. Für ihn ist die Sache klar: Nicht schuldig. In einer ersten Reaktion wies sein Wahlkampfteam die Vorwürfe zurück, nannte die dritte Anklage eine Hexenjagd und zog Parallelen zu Nazi-Deutschland. Doch wie geht es nun für den ehemaligen Präsidenten weiter – was steckt hinter der Anklage und könnte sie ihm bei seiner Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 schaden? Ein Überblick.
Gewaltexzess mit Toten
Der 6. Januar 2021 war eine Zäsur für die USA: Mitten in der Kongresssitzung, die Joe Biden als Gewinner der Wahl bestätigen sollte, erstürmte eine fanatische Menge das Kapitol in Washington, angepeitscht vom damals noch amtierenden Präsidenten Trump. Dessen Anhänger überrannten Absperrungen, zertrümmerten Scheiben, prügelten brutal Polizisten nieder, verwüsteten das Kongressgebäude. Insgesamt sollen 800 bis 1200 Personen beteiligt gewesen sein, viele davon filmen ihren Putschversuch. Einer der bekanntesten: Jake Angeli, der als Wikinger verkleidet zum Symbolbild für den Sturm wurde.
Mehrere Menschen kamen ums Leben. Mehrere Hundert Polizisten werden verletzt. Der Gewaltexzess war ein nie dagewesener Angriff auf das Herzstück der US-Demokratie. Der unverfrorene Versuch, das Ergebnis einer Wahl zu kippen. Und der Höhepunkt einer über Monate choreografierten Kampagne Trumps mit dem Ziel, die Präsidentenwahl 2020 als Betrug darzustellen und ihren Ausgang umzudrehen.
Gut zweieinhalb Jahre später folgt nun die nächste Zäsur für das Land: Der ehemalige Präsident und aktuelle republikanische Präsidentschaftsbewerber Trump wird wegen seines Feldzuges gegen den Wahlausgang und seiner Rolle bei der Kapitol-Attacke angeklagt.
Schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe
Die denkwürdige Anklageschrift listet auf 45 Seiten auf, wie Trump sich auf allen möglichen Wegen gegen seine Wahlniederlage stemmte, wie er eine Verschwörung mit sechs anderen Personen vorantrieb, das Justizministerium instrumentalisierte, Politiker im Bund und Bundesstaaten unter Druck setzte, darunter seinen Vize Mike Pence – alles mit dem Ziel, an der Macht zu bleiben. Dabei habe er genau gewusst, dass an seinen Wahlbetrugsbehauptungen nichts dran sei, argumentieren die Ankläger. Ihm wird Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten, Verschwörung zur Behinderung der Beglaubigung des Wahlsieges von Präsident Joe Biden am 6. Januar 2021, Behinderung und Verschwörung gegen das Wahlrecht vorgeworfen.
Sollte Donald Trump schuldig gesprochen werden, so drohen ihm für die Behinderung des Verfahrens und die Verschwörung dazu jeweils 20 Jahre Haft. Der Tatbestand Verschwörung zum Betrug an den USA könnte ihm zusätzlich fünf Jahre einbrocken.
Derart schwerwiegende strafrechtliche Vorwürfe gegen einen Ex-US-Präsidenten gab es noch nie. Überhaupt musste sich nie zuvor in der US-Geschichte ein ehemaliger Präsident wegen einer mutmaßlichen Straftat vor Gericht verantworten. Trump muss das nun gleich in mehreren Fällen. In New York wurde er im Frühling im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar angeklagt. Im Juni folgte eine Anklage in Miami wegen der Aufbewahrung streng geheimer Regierungsunterlagen in seinem Privatanwesen nach dem Abschied aus dem Weißen Haus. Zudem wird im Bundesstaat Georgia gegen ihn im Bezug auf Wahlmanipulation der Präsidentenwahl 2020 ermittelt und es laufen mehrere zivile Verfahren wegen sexueller Übergriffe.
Trumps rechtliche Probleme
Die Staatsanwaltschaft in New York legt Trump die Fälschung von Geschäftsunterlagen zur Last. Er soll damit versucht haben, schädliche Informationen und rechtswidrige Aktivitäten vor und nach der Präsidentenwahl 2016, aus der er als Sieger hervorging, zu verbergen. Im Zentrum der Vorwürfe steht die Zahlung von Schweigegeld an eine Pornodarstellerin. Trump plädierte auf „nicht schuldig“. Der Prozess begann im April 2024.
Die Staatsanwaltschaft wirft Trump die gesetzeswidrige Aufbewahrung höchstsensibler Informationen aus seiner Zeit als US-Präsident vor. Laut Anklageschrift handelt es sich unter anderem um Dokumente mit Informationen zu nuklearen Fähigkeiten der USA und militärischen Notfallplänen der Vereinigten Staaten. Die Bundespolizei FBI hatte im vergangenen August sein Privatanwesen Mar-a-Lago in Florida durchsucht und dort verschiedene Verschlusssachen beschlagnahmt. Auch hier plädierte Trump bei der Vorstellung der Anklage in Miami im Juni auf „nicht schuldig“. Es ist die erste Anklage auf Bundesebene für Trump. Der Prozess soll am 20. Mai 2024 starten.
Auf Bundesebene sitzt Trump inzwischen auch im Zusammenhang mit versuchtem Wahlbetrug und dem Angriff seiner Anhänger auf das Kapitol auf der Anklagebank. Hintergrund sind Trumps Bemühungen, seine Niederlage gegen den Demokraten Joe Biden bei der Präsidentenwahl 2020 nachträglich umzudrehen. In der Anklageschrift werden Trump vier formale Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten. Es geht dabei um mutmaßliche Straftaten während seiner Amtszeit im Weißen Haus. Bei seinem Erscheinen vor Gericht plädierte der Republikaner Anfang August auf „nicht schuldig”. Der Termin für einen Prozessbeginn steht noch nicht fest.
In Georgia ermittelte die Staatsanwaltschaft mehr als zwei Jahre lang gegen Trump wegen möglicher Manipulationsversuche bei der Wahl 2020. Georgia gehörte zu jenen Bundesstaaten, die für den Wahlausgang eine Schlüsselrolle spielten. Biden gewann dort nur ganz knapp mit etwa 12.000 Stimmen Vorsprung. Trump bemühte sich, seine dortige Wahlniederlage nachträglich ändern zu lassen – wie auch in anderen Bundesstaaten. Unter anderem forderte er damals den obersten Wahlaufseher in Georgia in einem Telefonat unverblümt auf, genügend Stimmen für ihn „zu finden”, um das Ergebnis „nachzuberechnen”. Nun wurde gegen ihn und 18 weitere Personen Anklage erhoben.
Neben den strafrechtlichen Verfahren ist Trump auch in eine Reihe von zivilrechtlichen Streitigkeiten verwickelt. Im Mai wurde Trump in einem Zivilverfahren wegen eines sexuellen Übergriffs und Verleumdung zu einer Geldstrafe in Millionenhöhe verurteilt. Eine New Yorker Geschworenenjury sah es als erwiesen an, dass Trump die Schriftstellerin E. Jean Carroll Mitte der 1990er Jahre in einem New Yorker Nobelkaufhaus sexuell missbraucht und später verleumdet hatte. Den Vorwurf der Vergewaltigung wiesen die Geschworenen zurück. Trump kündigte an, gegen die Entscheidung vorzugehen.
Es geht auch um die US-Demokratie
Bei der Anklage rund um die Wahl und die Kapitol-Attacke geht es nun erstmals um mutmaßliche Straftaten während Trumps Amtszeit. Und es geht um die Grundfesten der amerikanischen Verfassung: Darf ein amtierender Präsident Lügen über eine Wahl verbreiten, darf er versuchen, den Wählerwillen umzukehren, und dafür seinen Regierungsapparat einsetzen?
All das war bereits Gegenstand eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump, das er dank der Mehrheit seiner Republikaner im Senat ohne Verurteilung überstand. Es war auch Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Kongress, der für Trump ebenso folgenlos blieb. Dass er sich deswegen nun vor Gericht verantworten muss, hat jedoch eine neue Dimension.
Sollte Trump die Anklage unbeschadet überstehen, könnten Radikale das als Freibrief verstehen, ein unliebsames Wahlergebnis einfach nicht zu akzeptieren und einen friedlichen Amtswechsel zu behindern. Und die Stimmung könnte sich international ausbreiten: Bei der Wahl in Brasilien im vergangenen Jahr sorgten sich Beobachter, dass Bolsonaros Anhänger ähnlich reagieren wie Trumps. Sollte Trump verurteilt werden, könnte das wiederum enorme gesellschaftliche Verwerfungen in einem ohnehin politisch tief gespaltenen Land auslösen. Eine Entscheidung darüber ist aber weit entfernt.
Trump vergleicht Anklage mit Nazi-Deutschland
Für Donald Trump kam die Anklageschrift des Sonderermittlers Jack Smith nicht aus dem Nirgendwo: Er hatte sie bereits Tage vorher auf seinem sozialen Netzwerk „Truth Social“ angekündigt. „Ich habe gehört, dass der gestörte Jack Smith eine weitere gefälschte Anklageschrift gegen Ihren Lieblingspräsidenten herausgeben wird, um die Präsidentschaftswahlen 2024 zu behindern“, schrieb er. Über sein Wahlkampfteam wies der Republikaner die Vorwürfe zurück und erklärte, er habe immer das Gesetz befolgt. Die gesetzlose Art, wie der Ex-Präsident und seine Anhänger verfolgt würden, „erinnert an das Nazi-Deutschland der 1930er-Jahre, die ehemalige Sowjetunion und andere autoritäre, diktatorische Regime“, hieß es weiter.
Wie auch die vorherigen Anklagen sei die dritte „nichts mehr als das neue korrupte Kapitel einer politisch motivierten Hexenjagd“. Seine Kampagne beklagte wie bereits Trump das Timing des Strafverfahrens. Man frage sich, wieso die Staatsanwälte zweieinhalb Jahre gebracht hätten, um Anklage zu erheben. Das Strafverfahren komme nun mitten im Wahlkampf und zu einer Zeit, in der die Republikaner im Kongress ihrerseits Untersuchungen gegen Präsident Biden vorantrieben.
Republikanische Wähler mehrheitlich hinter Trump
Trumps Anwälte dürften versuchen, das Verfahren möglichst lange hinauszuzögern. Ob es bis zur Präsidentenwahl Anfang November 2024 ein rechtskräftiges Urteil in diesem Fall geben wird, ist fraglich. Antreten dürfte Trump bei der Wahl nach Einschätzung von Rechtsexperten im Übrigen auch als verurteilter Straftäter. Klar ist aber bereits, dass das Wahljahr 2024 eines wird wie kein anderes: Dadurch dass der – bislang führende – republikanische Präsidentschaftsbewerber den gesamten Wahlkampf über parallel mehrere Gerichtsverfahren zu bestreiten haben wird.
Erstaunlich ist, dass Trump der wachsende Berg an juristischen Problemen politisch überhaupt nicht schadet. Im Gegenteil. Seine Verbündeten verteidigten ihn wie gewohnt kompromisslos. Die „New York Times“ veröffentlichte erst vor wenigen Tagen eine Umfrage, wonach Trump 54 Prozent der republikanischen Wähler hinter sich hat – mehr als alle anderen Präsidentschaftsbewerber seiner Partei zusammen. Selbst Floridas Gouverneur Ron DeSantis, Trumps größter parteiinterner Konkurrent, liegt dramatisch abgeschlagen hinter ihm. Alle anderen dümpeln im einstelligen Bereich. Die neue Anklage dürfte diesen längeren Trend nicht so schnell umkehren – egal wie gewichtig die Vorwürfe darin sind. Wenig überraschend ist da die Reaktion seiner früheren Mitstreiter. Ex-Vize Pence, der sich ebenfalls für die republikanische Kandidatur bewirbt, teilte scharf gegen seinen ehemaligen Chef aus: „Die heutige Anklage ist eine wichtige Erinnerung: Wer sich über die Verfassung stellt, sollte niemals Präsident der Vereinigten Staaten sein.“ Trumps größter innerparteilicher Konkurrent, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, kommentierte die Vorwürfe in seinem Statement nicht direkt.
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Die meisten Anschuldigungen gegen Trump zur Wahl wurden bereits im Amtsenthebungsverfahren und im Untersuchungsausschuss öffentlich ausgebreitet: ausgestrahlt im Fernsehen zur besten Sendezeit, angereichert mit eindrücklichen Videos und bemerkenswerten Zeugenaussagen. All das hat Trumps Basis nicht dazu gebracht, sich von ihm abzuwenden. Seine hart gesottenen Anhänger stört auch nicht, dass er Staatsgeheimnisse in einem Badezimmer aufbewahrt hat.
Die Spenden fließen
Und wie schon bei seiner lang angelegten Kampagne zum angeblichen Wahlbetrug hat Trump bereits vor Monaten damit begonnen, seiner Basis einzuflüstern, dass sie Ermittlern und Anklägern nicht trauen dürfen. All das sei nichts als der politisch motivierte Versuch, ihn von der Rückkehr an die Macht abzuhalten. Viele Anhänger wiederholen das brav. Nach den vorherigen zwei Anklagen gingen Trumps Umfragewerte nach oben, ebenso wie die Spendeneinnahmen seiner Wahlkampagne.
Laut der jüngsten Umfrage der „New York Times“ sind 37 Prozent der republikanischen Wählerschaft Hardcore-Trump-Anhänger, die ihm gegenüber extrem loyal sind, sich durch nichts abschrecken lassen und rein gar nichts von den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn halten. Hinzu kommen demnach weitere 37 Prozent des republikanischen Wählerpools, die offen dafür sind, Trump zu wählen. Für seine parteiinternen Konkurrenten ist es daher sehr schwierig, ihn zu schlagen. Daran dürfte auch die neue Anklage vorerst nichts ändern.
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