Erhöhte Arbeitszeit Kann Griechenlands neue 6-Tage-Woche als Vorbild dienen?

Die griechische Regierung hat im vergangenen September die freiwillige Sechs-Tage-Woche beschlossen – ab Sommer können die Arbeitnehmer einen Tag mehr pro Woche arbeiten. Quelle: imago images

Während sich in Deutschland viele die Vier-Tage-Woche herbeiwünschen, wird in Griechenland ein anderer Weg eingeschlagen – und die Arbeitszeit erhöht. Der sechste Arbeitstag lockt mit üppigem Gehaltsaufschlag.

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Lange Zeit grassierte in Deutschland das Vorurteil der „faulen Griechen“. Vor allem während der Eurokrise hielt sich das abgedroschene Klischee hartnäckig. Mittlerweile ist es längst widerlegt. Gemessen an den Arbeitsstunden gehören die Griechen sogar zu den Fleißigsten in der EU: Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 2022 in Griechenland 42,8 Stunden.

Deutschland landet im Mittelfeld. Durchschnittlich arbeiten die Menschen hierzulande rund 40,4 Stunden wöchentlich. Eine Studie der Universität Groningen aus September 2023 zeichnet ein ähnliches Bild. Während die Beschäftigten in Griechenland mehr als 2000 Stunden pro Jahr schuften, belegen die Deutschen mit nicht einmal 1400 Stunden pro Jahr einen der hintersten Plätzen.

Dennoch werden in Deutschland Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche laut – am besten bei vollem Lohnausgleich. Zwar scheint sich nach einer neuen Civey-Umfrage die Debatte zu drehen. Doch Fakt ist: Je jünger die Befragten, desto beliebter die Vier-Tage-Woche.

Die Wirtschaft stagniert, Personallücken klaffen – werden wir wieder mehr arbeiten müssen? Jedenfalls zeigen neue Zahlen: Die Zweifel an der Vier-Tage-Woche waren noch nie so groß wie jetzt.
von Max Haerder

Während die Deutschen also weniger arbeiten wollen, geht die griechische Regierung andere Wege. Statt die Arbeitszeit zu reduzieren, dürfen Arbeitnehmer ab dem 1. Juli sechs Tage die Wochen arbeiten. Das Ganze soll auf Freiwilligenbasis erfolgen. Das heißt: Nur wer sechs Tage die Woche arbeiten möchte, kann das machen. Der sechste Arbeitstag lockt mit einem üppigen Gehaltsaufschlag: Fällt der zusätzliche Arbeitstag auf einen Samstag, gibt es 40 Prozent mehr. Bei Sonn- und Feiertagen erhalten die Arbeitnehmer 115 Prozent mehr Geld.

Sechs-Tage-Woche in Griechenland: Kampf gegen Fachkräftemangel

Doch ob das Konzept wirklich nur auf Freiwilligkeit beruht, bezweifelt Ökonom und Griechenland-Experte Jens Bastian. „Die Rechtslage sieht vor, dass es einen Aushandlungsprozess zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite geben soll. Das heißt also, dass der Arbeitgeber die Sechs-Tage-Woche fordern könnte, auch gegen den Willen der Beschäftigten“, erklärt er.

Doch wieso geht die griechische Regierung diesen Sonderweg? Wie so oft lautet die Antwort auf die Frage: der Kampf gegen den Fachkräftemangel. Ähnlich wie in Deutschland fehlt es in Hellas an qualifizierten Arbeitskräften, mithilfe der Mehrarbeit soll die Lücke gestopft werden.

In der griechischen Gesellschaft und auch bei den Oppositionsparteien wird die Gesetzesänderung kritisch gesehen. „Die Auseinandersetzung mit der Arbeitszeitreform hat polarisiert. Die Gewerkschaften haben sich dagegengestellt und die Oppositionsparteien stimmten im Parlament geschlossen gegen die Gesetzesänderung“, berichtet Bastian.



Und auch eine Umfrage des griechischen Jobportals kariera.gr zeigt, dass 55 Prozent der Jobsuchenden eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich bevorzugen. Die restlichen Befragten sehnen sich nach einer Lohnerhöhung bei einer Fünf-Tage-Woche.

„Im Alltag holt das Gesetz etwas nach, was für viele Menschen bereits Realität ohne Rechtsgrundlage war“, erklärt der Griechenland-Experte. „Aufgrund der geringen Lohnentwicklungen und der hohen Inflation haben viele bereits gezwungenermaßen zwei Jobs.“ Denn in den vergangenen Jahren gab es eine Entwicklung hin zu einem Teilzeitarbeitsmarkt. „Vor allem jüngere Menschen arbeiten morgens im Café und nachmittags im Büro, um so überhaupt in den Arbeitsmarkt hineinzukommen.“

Für viele Griechinnen und Griechen ändert das Gesetz wohl nichts an der Lebensrealität. „Das heißt nicht, dass diese Realität in der Bevölkerung akzeptiert ist, sondern, dass sie erzwungen ist“, berichtet Bastian. Er begrüßt zwar, dass die sogenannte Schattenökonomie – also beispielsweise Schwarzarbeit – stärker ans Licht kommt. Doch ob das mit der Arbeitsreform gelinge, sei fraglich.

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Und auch den Zuschlag für die Mehrarbeit von bis zu 115 Prozent sieht der Experte kritisch: „In Griechenland haben wir immer noch eine steuerliche Situation und Sozialversicherungsabgaben, die den Arbeitgebern wie den Beschäftigten zu viel vom Lohn abzieht. Und deswegen sind viele gezwungen, am Ende mehr zu arbeiten.“ So klinge das Angebot auf dem Papier verlockend. Fraglich sei aber, wie viel nach Steuern- und Sozialabgaben tatsächlich auf dem Konto der Angestellten lande.

Womöglich profitiert der Staat am meisten von den neuen Regelungen. Denn durch die gestiegene Arbeitszeit kassiert er zusätzliche Einnahmen durch höhere Sozialabgaben und Steuern. Dass das Problem der fehlenden Fachkräfte durch die Arbeitszeitanhebung behoben wird, bezweifelt der Experte: „In den vergangenen zwölf Jahren haben viele junge, motivierte Menschen Griechenland aufgrund der mangelnden Zukunftsaussichten verlassen. Sie werden nicht durch Mehrarbeit und Arbeitszeitverlängerung zurückkommen.“

Viel wichtiger seien eine gute Ausbildungspolitik und eine angepasste Migrationspolitik, um auch ausländische Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gut zu integrieren. Fraglich sei ohnehin, ob das Gesetz mit den EU-Rechten kompatibel ist. Denn laut der Arbeitszeitdirektive der EU-Kommission darf eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden. Möglich wäre es also, dass sich der Europäische Gerichtshof dem Thema nochmal annimmt.

41-Stunden-Woche in Österreich

Neben Griechenland kochten in den vergangenen Wochen auch in Österreich Debatten um die Arbeitszeiterhöhung auf. Dort stellte die Industriellenvereinigung zuletzt die Forderung nach einer 41-Stunden-Woche auf, um den Schreien nach den verkürzten Arbeitszeiten entgegenzuwirken.

Auch in Deutschland gibt es nicht nur Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche. Zuletzt forderte FDP-Parteichef Christian Lindner mehr Lust auf Überstunden und sagte vergangenen Samstag auf dem Parteitag: „Wenn es Personalnot gibt, dann kann die Gaststätte nicht öffnen oder sie hat eben kürzere Öffnungszeiten, als man sich eigentlich wünscht und als die Gäste auch nutzen würden. Eine nicht geleistete Arbeitsstunde fehlt für Wachstum übrigens aber auch als Steuereinnahme und als Beitrag zur Stabilisierung unserer Sozialversicherung.“

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Als Modell für Deutschland sollte die Sechs-Tage-Woche nicht gesehen werden. „Griechenlands Konzept ist nicht wirklich auf Deutschland übertragbar, weil das Tarifrecht, das Arbeitsrecht und auch die Art und Weise, wie Gewerkschaften und Unternehmerverbände in Deutschland miteinander umgehen, ganz anders geprägt ist“, erklärt Bastian. Zuletzt hatte der Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) und der Deutschen Bahn gezeigt, dass die Debatte in Deutschland zur Arbeitszeitverkürzung geht.

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