Expats in Russland „Die Gefährdung wird jeden Tag größer“

Flüge aus Russland werden auf Grund des Kriegs in der Ukraine gestrichen. Für Entsandte deutscher Firmen erschwert das die Ausreise. Quelle: REUTERS

Für Expats in Russland verschärft sich die Sicherheitslage, warnt ein Experte – und erklärt, wie weit die Fürsorgepflicht der Unternehmen geht.

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Im Januar galt Omer Dotou noch als Spielverderber, als er von einer Auslandsentsendung nach Russland abriet. Ein Unternehmen aus dem Energiesektor wollte einen Mitarbeiter dorthin schicken, um neue Geschäfte anzubahnen. Dotou war als externer Berater involviert. Der Jurist leitet bei der auf Entsendungsberatung spezialisierten BDAE Gruppe die Abteilung, die Unternehmen dabei unterstützt, Mitarbeiter sicher ins Ausland zu bringen. Er beobachtet arbeitsrechtliche Entwicklungen ebenso wie die geopolitische Lage. 

Als er sich gegen die Entsendung aussprach, folgten die Verantwortlichen seinem Rat – der betroffene Mitarbeiter war enttäuscht. „In solchen Situationen mag es wie ein Blick in die Glaskugel erscheinen, aber meiner Erfahrung nach gibt es Indikatoren, die auf eine sich schnell verändernde Sicherheitslage schließen lassen“, sagt Dotou. Und heute sei das Unternehmen froh, dass ihr Mitarbeiter nicht in Russland sitzt.

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Vor Entsendungen in die Ukraine mahnt der BDAE-Experte schon seit der Annexion der Krim 2014 zur Vorsicht. Doch mittlerweile wird die Lage für Entsandte deutscher Firmen auch in Russland ungemütlich. Ein erstes Anzeichen war ein neues Gesetz, das Ende letzten Jahres in Kraft trat. Demnach sollten ausländische Beschäftigte in Russland eine Reihe medizinischer Untersuchungen über sich ergehen lassen, etwa die Lungen röntgen, sich auf Drogen testen lassen und psychische Erkrankungen offenlegen.

von Max Haerder, Maxim Kireev, Andreas Macho, Vinzenz Neumaier, Volker ter Haseborg, Cornelius Welp, Sascha Zastiral, Lukas Zdrzalek


„Die Gefährdung wird jeden Tag größer“

Mit dem Angriff auf die Ukraine erhöhte sich die Gefahr auch in Russland schlagartig. „Es gibt viele Faktoren, die die Sicherheitslage in Russland verschärft haben“, sagt Dotou. Einer davon sind die Sanktionen des Westens, die es Expats schwerer machen, ihr Geld aus Deutschland zu bekommen. Dazu kommt die Sorge, dass ein falscher Kommentar im Netz oder eine unvorsichtige Äußerung im Betrieb zum Krieg in der Ukraine die Mitarbeiter in Schwierigkeiten bringen könnten. Was die Situation ebenfalls verkompliziere, seien die schwindenden Möglichkeiten das Land zu verlassen. „Zu wissen, dass man nicht einfach nach Hause kann, belastet die Entsendeten“, sagt der BDAE-Berater. Noch könne man zum Beispiel über die Drehkreuze Doha oder Istanbul ausreisen. Wie lange das jedoch noch möglich bleibt, ist zunehmend fraglich. Auch die Versicherungssituation für Expats werde schwieriger. Wer krank wird, könne nicht mehr ohne Weiteres ausgeflogen werden. Policen könnten durch die Sanktionen nicht immer bezahlt werden, der Versicherungsschutz sei damit gefährdet. 

Letzter Ausweg: Außerordentliche Kündigung

Bei seinen Kunden wachse deshalb die Sorge, den letzten Zeitpunkt zu verpassen, zu dem eine Rückholaktion noch problemlos gelingen kann. „Unternehmen sollten jetzt handeln und ihre Leute rausholen, solange es noch möglich ist“, sagt Dotou. Für diejenigen, die dennoch vor Ort bleiben, habe der Arbeitgeber eine erweiterte Fürsorgepflicht. Dieser komme man vor allem nach, in dem man Mitarbeiter gut informiert. Entscheiden müssten diese immer noch selbst. „Als Unternehmen kann man zum Beispiel die Empfehlung aussprechen, nicht an Demonstrationen teilzunehmen“, sagt der Experte, „verbieten kann man das aber nicht.“

Kommen Mitarbeiter diesen Empfehlungen nicht nach, weigern sich, aus einem gefährlichen Gebiet zurückzukehren oder gehen bewusst Gefahren ein, haben Firmen wenig Spielraum. Ein Abmahnungsgrund liegt nicht vor, solange die Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt ist. „Als letztes Mittel bleibt dann nur die außerordentliche Kündigung“, sagt Omer Dotou. 

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Die Sorgen seiner Kunden sind längst nicht mehr nur auf die Ukraine und Russland fokussiert. Zunehmend fragten ihn Unternehmen mit Geschäft in Polen oder Rumänien, ob Entsendungen dorthin noch empfehlenswert sind. Und auch in Hongkong oder Taiwan könne schneller als erwartet ein neuer politischer Krisenherd entstehen, so Dotou. Derzeit raten er und seine Kollegen zu kürzeren Entsendungen, um im Krisenfall schneller reagieren zu können. Gänzlich verzichten kann die deutsche Wirtschaft aber nicht auf ihre Expats. 

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