Freytags-Frage
Die Klimaschutzaktivistinnen Luisa Neubauer (l) und Greta Thunberg stehen zusammen im Hambacher Forst. Quelle: dpa

Braucht Klimaschutz die Diktatur?

Die Klimaschützerinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer fordern in einem offenen Brief die Aufgabe von Demokratie und Marktwirtschaft zum Ziele des Umweltschutzes. Das ist in grotesker Weise naiv.

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Vor etwa 14 Tagen haben die beiden prominentesten sogenannten Klimaschützerinnen, Greta Thunberg und Luisa Neubauer, einen offenen Brief an die Regierenden in der Europäischen Union verschickt, den inzwischen viele Menschen, darunter auch einige Wissenschaftler, unterzeichnet haben.

In diesem Brief fordern sie die Abkehr vom bisherigen System demokratisch verfasster Marktwirtschaften in Europa. Wörtlich heißt es, Verträge seien zu zerreißen und existierende Vereinbarungen aufzugeben, und zwar in unvorstellbarem Ausmaß. Auch soll der Ökozid ein Straftatbestand werden. Die Lage sei zu ernst, um sie mit dem herrschenden System zu bewältigen (wenigstens in Europa). Es ist nicht bekannt, dass die beiden einen ähnlichen Brief an Präsident Xi Xinping in Peking oder Präsident Donald Trump in Washington geschickt hätten.

Das wäre aber dringend geboten, wenigstens mit Blick auf die Diagnose. Denn selbst wenn die Autorinnen mit ihrer Problembeschreibung übertrieben hätten, weisen sie auf das drängendste Problem der Menschheit hin, dessen Lösung in der Tat keinen weiteren Aufschub mehr erfahren darf. Es handelt sich beim Klimawandel um ein sogenanntes Allmendeproblem; der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen kann nicht kontrolliert werden, und die Folgen müssen alle Menschen tragen. Wenn in China die CO2-Emissionen steigen, leiden die Menschen auf der ganzen Welt darunter. Das bedeutet aber auch, dass Einsparungen an CO2-Emissionen hierzulande nicht notwendigerweise tatsächlich dazu führen, dass die Gesamtemissionen sinken. Es kann sogar über Preisveränderungen dazu kommen, dass es für andere nun billiger wird, CO2 auszustoßen, zum Beispiel weil die in Europa fallende (oder im Idealfall vollständig ausbleibende) Nachfrage nach Erdöl den Ölpreis weltweit sinken lässt und es für andere preiswerter macht, Öl zu verbrauchen.

Die Lösung allein in Europa ist somit nicht zielführend. Das heißt nicht, dass die EU sich keine Klimaziele setzten sollte, ganz im Gegenteil. In der Kritik an der halbherzigen Klimapolitik der EU ist den Verfasserinnen grundsätzlich zuzustimmen. Zum Beispiel wird auch in Europa immer noch die Verwendung von fossiler Energie vor allem für energieintensive Sektoren – meist mit hoher Beschäftigung oder strategischer Bedeutung – subventioniert. Auch ist das System der CO2-Zertifikate immer noch von vielen Ausnahmen für den Verkehr und andere, wiederum energieintensive, Sektoren durchlöchert. Die Preise für die Tonne CO2 sind viel zu niedrig. Eine effektive europäische Klimapolitik ist dringend geboten. Aber sie muss in die weltweite Klimapolitik eingebunden sein, vorzugsweise mit einer führenden Rolle.

Dafür ist es notwendig, dass Klimapolitik nicht gegen die Menschen gemacht wird. Sie darf gerade nicht zu gravierenden Wohlfahrtsverlusten führen oder den Rechtsstaat aushöhlen. Hier unterliegen die Verfasserinnen einem Denkfehler, der letztlich kontraproduktiv ist und dem Klima mehr schadet als nützt. Denn was bedeutet die Forderung konkret? Verträge zu zerreißen und Vereinbarungen aufzugeben, heißt auch, den Rechtsstaat aufzugeben und Eigentumsrechte zu ignorieren beziehungsweise für nichtig zu erklären.

Private Eigentumsrechte sind ganz entscheidend für die sorgsame und effiziente Nutzung der Ressourcen. Fehlen Sie, fehlt auch das Interesse am Eigentum, also auch an der Natur. Und die Aufgabe des Rechtsstaates bedeutet auch, dass Menschen in Zukunft nicht mehr klagen können, wenn sie etwas an der Klimapolitik auszusetzen haben. Einen offenen Brief wie der, der hier diskutiert wird, darf dann nicht mehr verfasst werden – ihre Unterzeichner dürften mit Sanktionen zu rechnen haben. Wer definiert außerdem, was Ökozid ist? Machen sich die Eltern, die ihre Kinder aus dem Münchner Süden im Oberklasse-Diesel in die Stadt zur FFF-Demo fahren, schuldig? Oder muss man dann „guten“ vom „schlechten“ Ökozid unterscheiden?

Auch die Frage, was noch produziert werden darf, wenn es dabei zum Ausstoß klimaschädlicher Gase kommt, ist dann eine willkürlich zu entscheidende. Aus Sicht der Verfasserinnen ist dies kein Problem, denn die Entscheidungen über Zuteilung von Ressourcen sollen nun demokratisch und gerecht erfolgen. Aber die Erfahrung mit allen Systemen ohne Rechtsstaat zeigen, dass weniger demokratisch und gerecht, sondern nach den Kriterien Macht und Interessenlage entschieden wird. Die Erfahrung lehrt auch, dass sich in den dazu notwendigen Gremien immer die Bremser durchsetzen werden – Besitzstandsdenken würde regelmäßig die Kreativität schlagen, die nötig ist, den Klimaschutz zu bewältigen.

Schließlich müssen wir noch einmal zur Effektivität einer Umweltpolitik in einer Welt ohne private durchsetzbare Eigentumsrechte zurückkommen. Die zahlreichen Umweltskandale in der Sowjetunion, der Deutschen Demokratischen Republik und anderen Ländern des sozialistischen Blocks vor 1990 zeigen, dass sich ohne private Eigentumsrechte niemand für die Erhaltung des Eigentums (in diesem Falle der Umwelt) zuständig fühlt. Entsprechend schlecht war und ist noch heute die Umweltqualität in sozialistischen Ländern.

Man kann den Verfasserinnen diesen Denkfehler nachsehen, denn sie sind zu jung, um den Sozialismus selbst erlebt zu haben; das gilt nicht gleichermaßen für viele Unterzeichner. Dennoch ist die Forderung nach Aufgabe von Demokratie und Marktwirtschaft zum Ziele des Umweltschutzes in grotesker Weise naiv. Es ist ein altes Dilemma, dass Klimaschützer ökonomisches Denken ablehnen und damit immer zu ineffektiven und ineffizienten (also verschwenderischen) Lösungen kommen.

Wären sie wirklich ausschließlich am Klima interessiert (und nicht an der Abschaffung des Kapitalismus und der Erlangung von Macht), würden sie das Instrumentarium, dass der Wettbewerb und die Marktwirtschaft bieten, mit Augenmaß aufgreifen. Gerade das große Innovationspotential von privaten Unternehmen würden sie anzapfen wollen – anstelle eines statischen Command-and-Control-Denkens. Wenn die Rahmenbedingungen richtig gesetzt sind, werden unternehmerische Typen zu Treibern des Klimaschutzes, und das sogar mit der Aussicht auf gute Einkommen. Schaffen wir Marktwirtschaft und Rechtsstaat ab, werden diese Typen zu Unterlassern – dem Klima wäre nicht geholfen.



Das heißt wie gesagt nicht, dass es keinen Handlungsbedarf gibt: Nötig sind globale Abkommen, die durchgesetzt werden. Es sind strenge Grenzwerte zu setzen, und Strafen für die Verletzung dieser Grenzen müssen hoch sein. Aber innerhalb der Grenzwerte muss das Innovationspotential der Marktwirtschaft ausgenutzt werden. Dabei muss der Wettbewerb durch das Kartellrecht durchgesetzt werden; Monopole sind zu verhindern, Markmacht zu begrenzen. Die Einführung einer Öko-Diktatur in Europa macht die Menschen hierzulande nur arm und unfrei, ohne dem Klima zu dienen. Das ist dann kein Vorbild für andere Länder; sie werden Klimaschutz dann eher meiden als vorantreiben.

Das alles ist nicht neu, sondern wird immer wieder vorgetragen. Wer das Klima schützen will, wählt die Instrumente nach den Kriterien Effektivität und Effizienz; Moralisieren sollte keine Rolle spielen. Es ist zu hoffen, dass die beiden Initiatorinnen des Briefs schnell dazulernen und dass ihr jüngstes Pamphlet noch schneller in Vergessenheit gerät.

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