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Quelle: AP

China jetzt abzuhaken, wäre ein schwerer Fehler

Das Gravitationszentrum der Weltwirtschaft verschiebt sich nach Asien. China bleibt auf Sicht hier einer der dominierenden Player. Die Weltwirtschaft wird eine globale Rezession nur vermeiden, wenn China in den nächsten zwei Jahren seine Herausforderungen meistern kann. Eine Kolumne.

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China begeht gerade das Frühlingsfest, die Begrüßung des Neuen Jahres. Das Jahr 2024 ist ein Jahr des Drachens, des meistverehrten Tieres in der chinesischen Mythologie. Die Vitalität und Kraft, die dem Drachen zugeschrieben wird, wird China 2024 brauchen. Die chinesische Wirtschaft, ebenso wie die chinesischen Kapitalmärkte, stehen vor einer entscheidenden Wegmarke. Nicht alle Herausforderungen sind von den Chinesen alleine zu lösen, einige wesentliche aber schon. Wie erfolgreich China damit umgeht, ist aber nicht nur für die chinesische Wirtschaft wichtig, sondern auch für die globale.

Die Welt hat sich seit 1990 dramatisch verändert. Heute wird vielfach von Multipolarität gesprochen, weil der Anteil des „Westens“ am globalen Sozialprodukt auf etwa 50 Prozent gesunken ist, gegenüber über 75 Prozent vor 35 Jahren. Die Bedeutung der BRICS-Länder ist gestiegen. Aber der ausgesprochene Wachstumschampion war vor allem China, das eine beeindruckende und dynamische wirtschaftliche Aufholbewegung hingelegte, und das gleichzeitig historische Erfolge in der Bekämpfung extremer Armut aufzuweisen hatte. Gleichzeitig ist China so etwas wie die industrielle Werkbank der Welt geworden, und anders, als zum Beispiel das industriell abtauchende Deutschland, ist es im industriellen Bereich nicht von Selbstzweifeln am Standort, Energiepreisschocks und politischer Feindseligkeit gehemmt. Der Anteil an der globalen Industrieproduktion ist um ein deutliches höher als der des in der Reihenfolge nächsten Landes.

In den vergangenen Jahren ist China trotz eines Wachstums, welches das der Eurozone oder der USA deutlich outperformte, in der Perzeption von einem Anker der globalen Wirtschaft zu einem potentiellen, zukünftigen Problemfall geworden. Der „Honeymoon“ der Kapitalanleger mit China ist schon länger vorbei, die Wahrnehmung hat sich zuletzt sogar weiter verschlechtert.

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Die Gründe dafür sind vielfältig, und sie liegen im strukturellen, ökonomischen und politischen Bereich. Beginnen wir mit den strukturellen. Die Demografie wird in den nächsten Jahrzehnten zuungunsten Chinas laufen. Die Jahrzehnte andauernde Ein-Kind-Politik ist zwar mittlerweile aufgegeben, aber der Übergang zu mehr Transferempfängern und weniger Arbeitskräften wird wiederum Jahrzehnte in Anspruch nehmen und die Wachstumsdynamik vermindern. Zudem musste der Westen in der „Coronazeit“ von 2020 bis 2022 die länger andauernde restriktivere chinesische Politik mit erheblichen Störungen der Lieferketten mitverdauen. Die Diversifikation von Lieferketten wird kommen und in manchen Produktionsbereichen neue Direktinvestitionen in andere Regionen verlagern.

Dann kommen die „akuten ökonomischen“. Der Übergang von einem auf Exporte und Investitionen aufgebauten Wachstumsmodell zu einem von heimischem Konsum und Dienstleistungen getriebenen verläuft holprig. Die seit mehreren Jahren andauernde Krise des Immobiliensektors und speziell der Immobilienentwickler (zum Beispiel Evergrande) ist für den ungünstigen Zustand der ökonomischen Entwicklung nicht überraschend, bleibt aber dennoch eine massive und bislang nur notdürftig geflickte, aber nicht dauerhaft gelöste Herausforderung. Und „last but not least“ droht die Wirtschaft, auch auf Grunde der genannten strukturellen Faktoren, in eine Deflation abzurutschen.

Schneller schlau: Deflation

Last but not least kommen die politischen Faktoren dazu. Seit der Präsidentschaft Trumps wurde China mit Sanktionen insbesondere im Bereich der Chipindustrie aber auch mit generellen Zöllen belegt. Das Verhältnis zu den USA und dem Westen hat sich verschlechtert. Die Wucht der westlichen Sanktionen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat auch die Risikoeinschätzung bei den Kapitalmarktteilnehmern über das, was potentiell im „Worst Case“ als Verlust möglich ist, deutlich verschärft. Im Jahr der US Präsidentschafts- und Kongresswahlen sind die Stimmen aus Washington eher noch kritischer geworden als schon zuvor.

Was kann China nun tun, um diesen Herausforderungen für sein Wachstum zu begegnen? Bei den strukturellen nicht viel. Demografie und Lieferkettendiversifikation sind gesetzte Themen, und dass beides zu niedrigerem Wachstum als in der Vergangenheit führen wird, auch. China kann aber durch Ausnutzung seiner komparativen Vorteile den Prozess der Lieferkettendiversifikation in die Länge ziehen und mit einer Diversifikation seiner eigenen Lieferketten partiell gegensteuern. In Summe wird die Kombination dennoch wachstumsdämpfend sein.

Begrenzt ist Chinas Spielraum auf der politischen Seite. Eine Distanzierung von Russland würde helfen, ist aber nicht zu erwarten. Zwar hat sich China im Ukraine-Konflikt auf der Seite Russlands kaum engagiert, es hat sich nur nicht offensiv gegen Russland positioniert. Aber angesichts des Nachrichtenflusses aus dem US-Kongress über die „Kommunistische Partei Chinas als Grund allen Übels“, das Spielen mit dem Ein-China-Prinzip, der US-amerikanischen Containment-Politik in Südostasien gibt es keinen Anreiz, daran etwas zu ändern. Damit wird das belastete Verhältnis zu Washington und die Angst vor weiteren Sanktionen weiterhin auf dem chinesischen Wachstum und den Kapitalmärkten als Last liegen. Aber das ist nicht neu, und vieles sollte bereits an den Märkten eskomptiert sein, auch wenn es in diesem Jahr besonders akut werden könnte.

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Letztendlich wird China vor allem die akuten konjunkturellen Probleme adressieren müssen, und meine Überzeugung ist, dass es das auch tun wird. Den deflationären Tendenzen sollte zunächst mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik begegnet werden. Die Krise im Immobiliensektor wird durch staatliche Bauprogramme abgemildert und über die Zeit gestreckt, ohne die nicht-staatlichen Entwickler mit einem Blankoscheck auszustatten. Die Transformation des Wachstumsmodells wird generell mit zusätzlichem staatlichen Stimulus gefördert, benötigt aber Zeit.

Der Kapitalmarkt wird diese Bemühungen aufgrund der politischen Rahmenbedingungen nur eingeschränkt honorieren und diese auch erst dann, wenn China es schafft, den Eindruck von Ernsthaftigkeit zu vermitteln. Das Volumen der staatlichen Maßnahmen bisher erinnerte eher an die „Lost-Decade“ in Japan und konnte das Stimmungsbild nicht drehen.

Längerfristig sollte China davon profitieren, dass der Trend vorgezeichnet ist, dass das Land auch ökonomisch wieder zum „Reich der Mitte“ wird. Die Eurozone hat es überholt und selbst bei verringertem Wachstum wird das Land mit etwa viermal so viel Einwohnern wie die USA dieselben in den nächsten 20 Jahren hinter sich lassen. In vielen Bereichen neuer Technologien sind chinesische Unternehmen die einzigen ernstzunehmenden Konkurrenten für amerikanische, und das Land verfügt über gut ausgebildete Arbeitnehmer und Wissenschaftler, sowie eine über die letzten Jahrzehnte ihresgleichen suchende Infrastruktur, die seine ökonomische Attraktivität unterstreichen. Bei weiterer Fragmentierung der Weltwirtschaft sind die Chancen Chinas, mehr Länder an sich zu binden als der Westen, hoch. Damit ist das Incentive für beide Seiten, längerfristig zu einem „Deal“ zu kommen, signifikant.

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China jetzt abzuhaken, hielte ich von daher ökonomisch und aus Kapitalmarktsicht für einen Fehler. Die Herausforderungen einer erfolgreichen Navigation durch die nächsten zwei Jahre verlangen aber, dass das Land seine Probleme dort entschieden angeht, wo es sie alleine lösen kann: Im Bereich der akuten konjunkturellen Herausforderungen. Das erfordert Mut und das Eingehen von Risiken – und würde damit gut in das Jahr des Drachen passen.

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