Mobilisierung Putins Entschluss zeigt: Der Kreml ist sich des Fiaskos in der Ukraine bewusst

Wladimir Putin in seiner Fernsehansprache zur Teilmobilisierung: In den kommenden Wochen wird er 300.000 Reservisten einziehen. Quelle: imago images

Die Mobilisierung des russischen Präsidenten ist ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns im Krieg mit der Ukraine. Wenn Wladimir Putin das Blatt nun nicht wenden kann, steht seine politische Zukunft auf dem Spiel. Ein Kommentar.

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Fast acht Monate nach dem Überfall auf die Ukraine zündet Wladimir Putin nun eine neue Stufe der Eskalation im Krieg mit dem unbeugsamen Nachbarland. Mit einer Teilmobilmachung will der russische Präsident in den kommenden Wochen und Monaten 300.000 Reservisten, ehemalige Soldaten und kampferprobte Männer einziehen. Zumindest auf dem Papier bedeutet dies mehr als eine Verdoppelung der bisherigen russischen Truppenstärke in der Ukraine. Ein Schritt, der von Militärkreisen und radikal-patriotischen Kräften in Russland zuletzt immer deutlicher gefordert wurde. Immer lauter wurden Stimmen, die Putin und seinen Verteidigungsminister Sergej Schojgu als Zauderer kritisierten, die es nicht wagen, das ganze Gewicht der russischen Kriegsmaschinerie in den Krieg zu werfen. Gleichwohl birgt die Entscheidung für Putin ein immenses militärisches und auch innenpolitisches Risiko. Denn wenn die Mobilisierung scheitert oder nicht das gewünschte Resultat bringt, könnte es für den Kremlherren gefährlich werden.

Tatsächlich zeigt Putins Entschluss zumindest, dass sich der Kreml des bisherigen Fiaskos in der Ukraine bewusst ist. Der Plan, die Ukraine mit einer zeitlich begrenzten Militäroperation in die Knie zu zwingen, während der Großteil der Russen unbehelligt ein normales Leben führt, ist endgültig gescheitert. Zwar hält Russland noch immer ukrainisches Gebiet von der Größe Bayerns besetzt, doch die Initiative liegt seit Wochen bei den Ukrainern. Die blitzschnelle ukrainische Offensive bei Charkiw hat gezeigt, wie dünn die russischen Verteidigungsreihen eigentlich sind, die von der Ukraine förmlich überrannt wurden. Fast schon entschuldigend verwies Putin in seiner Mobilisierungsansprache auf eine „mehr als 1000 Kilometer lange“ Frontlinie. Russland braucht verzweifelt mehr Infanterie und Personal allein für die Verteidigung dieser Gebiete, geschweige denn für neue Offensiven. Allein mit Berufssoldaten, Söldnern und Freiwilligen lässt sich diese Lücke nicht schließen.

Flankiert wird die Mobilisierung durch eilig aufgesetzte Referenden auf dem besetzten Gebiet. Am Endergebnis dieser Abstimmungsfarce gibt es keine Zweifel. Die Botschaft ist klar: Russland will zeigen, dass diese Gebiete mit allen Mitteln verteidigt werden sollen – bis hin zur nuklearen Abschreckung. Die endgültige Kriegswende zu Gunsten der Ukraine soll so mit allen möglichen Mitteln aufgehalten werden.

Nach der Ankündigung der Teilmobilmachung Russlands durch Kremlchef Putin kommt es im Land offenbar zu panikartigen Fluchtbewegungen. Die Flugpreise explodieren. Dahinter steckt die Furcht, nicht mehr wegzukommen.
von Max Biederbeck, Rüdiger Kiani-Kreß, Angelika Melcher

Gleichwohl bleiben große Zweifel an der Effizienz einer solchen Teilmobilisierung. Zum einen hat Russland beträchtliche Teile seines Arsenals und seiner besten Truppen in der Ukraine aufgerieben. Es fehlt an erfahrenen Offizieren und modernen Panzern. Soldaten berichten immer wieder von großen Problemen bei der Versorgung mit Schutzwesten, Kleidung, Nachtsichtgeräten und sogar Schuhen, die von Familien in Russland mit eigenen Mitteln zusammengekauft werden müssen. Dass Zehntausende neue Soldaten kurzfristig mit Waffen, Kleidung und Technik ausgestattet und auf den Kampf vorbereitet werden können, ist mehr als fraglich.

Zum anderen kommt die Mobilisierung zu einem Zeitpunkt, wo sich auch in Russland eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit gemacht hat. Zwar hat sich eine kleine und lautstarke ultrapatriotische Opposition rechts von Putin dafür stark gemacht, im Krieg mit der Ukraine noch einen Gang höher zu schalten, die breite Öffentlichkeit hielt sich mit Kriegsbegeisterung allerdings zurück. Während in der Ukraine Menschen täglich Millionen Euro für die eigene Armee spenden, müssen russische Freiwillige mühsam eigene Mittel zusammensuchen.

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Umfragen zeigten, dass zuletzt nur noch eine Minderheit die Nachrichten zum Ukraine-Krieg aufmerksam verfolgt hat. Mehr noch: Unter den 18- bis 39-Jährigen, also in jener Altersgruppe, die für die Mobilisierung in Frage kommt, unterstützt gerade einmal ein Drittel eindeutig den Krieg gegen die Ukraine. Die teils mangelhafte Versorgung, militärische Niederlagen und die Versuche des Militärs diese Realität zu vertuschen, haben sich in der Bevölkerung mittlerweile herumgesprochen. Viele Soldaten, die aus der Ukraine zurückkehren, wollen ihre Verträge nicht verlängern und lieber zuhause bleiben.

Das heißt nicht, dass die Mobilisierung zum Scheitern verurteilt ist, allerdings werden junge Männer vor den Wehrämtern nicht Schlange stehen. Schon wenige Stunden nach Putins TV-Ansprache waren Tickets nach Istanbul, Jerewan, Baku und Astana, also Städte wo Russen ohne Visum schnell hinfliegen können, für viele Tage im Voraus ausverkauft. Viele, die sich nach Kriegsbeginn noch nicht in Sicherheit gebracht haben, werden es jetzt tun.

Bislang hatte es Putin vermocht, den Krieg aus dem russischen Hinterland und aus den großen Metropolen größtenteils herauszuhalten. Wer in der Ukraine kämpfte und starb, so dachten viele, sei ohnehin freiwillig dort. Die wenigsten Familien und Angehörige dieser Soldaten wagten es deshalb, den Krieg zu kritisieren. Wer gegen den Krieg war und öffentlich seinen Mund hielt, konnte sein Leben unbehelligt weiterleben.

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Wenn nun mehr Russen willkürlich für den Krieg eingezogen werden und dort sterben, wenn die Mobilisierung nur schleppend vorankommen und am Ende nicht das gewünschte Resultat bringt, wie Kritiker bereits jetzt warnen, dürften noch mehr Russen Zweifel an Putins Kurs kommen. Bislang hat sich Putin damit herausgeredet, dass Russland gar nicht richtig Krieg führe. Wenn die Ukraine nun aber trotz der Mobilisierung weiter vorrückt, wird sich Putin den Vorwürfen nicht mehr entziehen können. Die einen werden Putin dafür kritisieren, dass er den Krieg überhaupt begonnen hat. Andere wiederum, dass er nicht radikal genug vorgegangen ist. Dritte werden sagen, Putin habe falsch oder zu zögerlich auf Probleme und Niederlagen reagiert. Wenn der Kremlherr nun also den Einsatz in Ukraine erhöht, so steigt auch das Risiko für seine persönliche Macht und seine politische Zukunft.

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