Manchmal erzählen robuste Ansagen eine Geschichte der Verunsicherung. Als Kamala Harris am Freitag auf die Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz tritt, spricht sie über den Eigennutz der USA. Über das amerikanische Bekenntnis zur Nato. Und über milliardenschwere Waffenpakete für die Ukraine. Die Vereinigten Staaten müssten in der Welt weiter eine dominante Rolle spielen, sagt die US-Vizepräsidentin. „All das aufs Spiel zu setzen, wäre töricht“, so Harris.
Die beschriebene Verunsicherung steckt im Detail. Geradezu auffällig viel Zeit verbringt Harris bei ihrem Auftritt damit, die Irrwege von Donald Trump zu kritisieren, ohne dessen Namen zu nennen. Auch ihre Zusicherungen an das Nato-Bündnis gibt die Vizepräsidentin nie im Namen Amerikas, sondern immer nur für das aktuelle Regierungs-Duo: „Joe Biden und ich sind überzeugt, dass…“ ist ein Satz, den die Vizepräsidentin auffällig oft sagt. Dahinter steckt die Wahrheit, dass die US-Regierung zur Zeit heftig mit dem hohen Alter ihres eigenen Kandidaten kämpfen muss, der in Wahlkampf-Umfragen zusehends hinter Donald Trump zurückfällt. Die Furcht vor einem Nato-ablehnenden Trump im Weißen Haus kann Haris deshalb nicht nehmen, selbst wenn sie es in München nach Kräften versucht.
Auch hinter den Kulissen haben es die Protagonisten der Münchner Sicherheitskonferenz bislang kaum geschafft, die Verunsicherung der europäischen Partner zu beruhigen, die der frühere und potenziell neue US-Präsident der Vereinigten Staaten vor einer Woche ausgelöst hat. Trump hatte Russland bei einer Wahlkampfveranstaltung unverblümt dazu aufgerufen, Nato-Partner anzugreifen, falls diese ihre finanziellen Verpflichtungen nicht einhalten. Anschließend hatte sein Sicherheitsberater Keith Kellogg eine gestaffelte Nato-Mitgliedschaft mit Abzügen bei der Beistandspflicht ins Spiel gebracht.
Mehrere US-Delegationen versuchten laut Beteiligten deshalb bis in die Abendstunden, die Wogen der westlichen Partner im Bayerischen Hof in München zu glätten. Wie jedes Jahr ist ein eigener Stock des Hotels nur für die amerikanischen Vertreterinnen und Vertreter reserviert. Die Gespräche auf der Konferenz laufen auch Hochtouren.
Was macht Europa?
Nur einen Tag nach Harris betritt am Samstagmorgen der deutsche Bundeskanzler dieselbe Bühne. Frisch im Gepäck hat Olaf Scholz eine bilaterale Sicherheitsvereinbarung mit der Ukraine. Und ein neues deutsches Milliarde-Euro-Waffenpaket für den Krieg gegen Russland. „Deutschland wird in den 20er- und 30er-Jahren das zwei Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben erreichen“, verspricht Scholz. Er betont, dass 18 Nato-Staaten dasselbe Ziel bereits erreicht hätten, und die anderen Partner kurz davor stünden, es zu erreichen. Das mag man durchaus auch als Botschaft an die US-Republikaner verstehen, die Trumps Nato-Kritik gerade durch den Wahlkampf tragen.
Seine Verunsicherung in Bezug auf die USA verformt Scholz dabei zu Druck auf die EU-Partner. „Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine pro Jahr 20 Milliarden zur Verfügung gestellt“, sagt der Kanzler, eine „vergleichbare Anstrengung“ für Europa müsse das Mindeste sein.
Egal, wer im Weißen Haus sitzen wird. Die Bedeutung dahinter ist kein Geheimnis: Berlin sieht den Kontinent noch immer zu abhängig vom US-Partner und will diesen Zustand ändern – deshalb sei eine Aufstellung der eigenen Fähigkeiten und eine breite internationale Unterstützung für die Ukraine aktuell wichtiger denn je, heißt es in Regierungskreisen. Egal ob andere EU-Staaten das nun einsehen oder nicht.
Stärke-Botschaft aus der Ukraine
Die Botschaft, dass es auch ohne die USA gehen muss, trägt am Ende auch der Ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj selbst am Samstag ins Ziel. Er tritt kurz nach Olaf Scholz auf. „Die Beistandspflicht der Nato im Artikel fünf wird in Zukunft nicht nur eine Frage für Washington sein“, erklärte Selenskyj. „Sondern für alle europäischen Hauptstädte.”
Der ukrainische Präsident hält es für ein Märchen, dass Europa sich nicht alleine verteidigen könne. Der Kontinent habe seine Abhängigkeiten zu Russland überwunden, sagt Selenskyj. Der Kontinent bleibe einer der wichtigsten Unterstützer im Kampf der Ukraine. Und mittlerweile könne die europäische Seite des Atlantiks auch alleine das Chaos an seinen Grenzen verhindern.
Ob das wirklich stimmt, lässt sich Stand heute bezweifeln. Selenskyj skizziert auf eine Publikumsfrage hin noch eine andere Idee: Er habe Donald Trump in die Ukraine eingeladen, um sich selbst ein Bild zu machen. Der habe bislang aber noch nicht reagiert.
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