Rohstoffe Was Amerikas Lithiumhunger auslöst, zeigt sich in Orovada

Bald vergifteter Boden? Rancher Bartell und andere Bewohner des Gebiets sorgen sich um die Folgen, die der Bau der Thacker-Pass-Lithium-Mine für die Region hat Quelle: David Calvert für WirtschaftsWoche

In Nevada wird die größte Lithiummine der USA in Betrieb gehen. Eine Chance für neuen Wohlstand, sagen die einen. Eine Gefahr für Umwelt, Leben und Gemeinschaft, fürchten die anderen. 

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Der Missmut steht Edward Bartell ins Gesicht geschrieben, als er aus seinem Pickup-Truck aussteigt. Noch brechen nur einige karge Grasbüschel durch die Schneedecke auf seiner Weide außerhalb des Örtchens Orovada, einer kleinen Ansiedlung im Norden des US-Bundesstaats Nevada. Extreme Wetterveränderungen ist man hier gewohnt. Aus dem Nichts können heftige Schneeschauer von den nahegelegenen Bergen übers Land ziehen. Dass der Winter in diesem Jahr ungewöhnlich kalt ausgefallen ist, ärgert auch Bartell. Eigentlich wollte der Rancher in den nächsten Tagen seine Rinderherde aus dem Winterquartier holen. Doch bis die Tiere tatsächlich zum Grasen kommen, könnte es nun noch etwas dauern. Nicht schön für Bartell, doch angesichts dessen, was unweit seines Landstücks bald passieren soll, nur ein kleines Problem für den Rancher.

Nur wenige Kilometer von Bartells Landstück startet gerade eines der wichtigsten Bergbauprojekte der USA. Nach Jahren der Planung, Rechtsstreitigkeiten und Genehmigungsquerelen begannen am 2. März die Bauarbeiten für die Thacker-Pass-Lithium-Mine, das größte Förderungsvorhaben für das Edelmetall in den USA. Ab 2026 sollen hier jährlich 40.000 Tonnen des Stoffes aus dem Boden geholt und direkt vor Ort verarbeitet werden. Eine weitere Verdoppelung der Produktionsmenge ist fest eingepreist. 

Das Projekt sei wegweisend für den grünen Umbau der größten Volkswirtschaft der Welt, sagen seine Anhänger. Und es bringe dauerhaft gutbezahlte Jobs in den abgelegenen Winkel des Silver State, nahe der Grenze zu Oregon. Doch Gegner der Mine sind nicht überzeugt. Umweltschädlich sei das Vorhaben, eine Gefahr für Grundwasser und Bevölkerung, sagen sie. Und dass das Edelmetall ausgerechnet aus Bergen geholt werden soll, die für einen in der Region lebenden Stamm amerikanischer Ureinwohner kulturell und historisch bedeutsam ist, verstärkt die Skepsis bei manchen in der Gegend zusätzlich.

von Julian Heißler, Karin Finkenzeller, Max Haerder

Geld alleine reicht nicht

Der kanadische Konzern hinter dem Projekt, Lithium Americas, versucht deshalb, gegenzusteuern. Dem Reservat spendiert das Unternehmen ein neues Gemeindezentrum, um Kritik einzufangen. Als in Orovada Bedenken aufkamen, da die 39 Lkw mit Chemikalien, die künftig täglich für den Betrieb der Mine notwendig sind, direkt an der örtlichen Schule vorbeifahren würden, bezahlte der Betrieb den Bau eines neuen Schulhauses abseits der Wege. Rund 50 Millionen Dollar, schätzen Experten, habe das Tochterunternehmen Lithium Nevada ausgegeben, um in der Region die Stimmung zu ihren Gunsten zu drehen. Viele Widerstände konnte der Konzern so überkommen, doch nicht alle Gegner sind zufrieden. Auch Bartell nicht.

Für ihn, so beschreibt er es, gehe es ums wirtschaftliche Überleben. Sollte die Mine wie geplant gebaut werden, sagt er, dann werde das Grundwasser unter seinem Land erheblich absinken. „Dann herrscht hier Dürre“, so der Rancher. Gras könne dann nicht mehr in ausreichender Menge wachsen, um seine Rinderherde zu ernähren. Mehrfach hat er deshalb bereits gegen das Thacker-Pass-Projekt geklagt. Allerdings ohne Erfolg. Vor einem knappen Monat wies ein Berufungsgericht die Beschwerden von Bartell und einigen anderen Gruppen weitestgehend zurück. Kurz darauf begann Lithium Americas mit den Bauarbeiten.

Vergifteter Boden

Myron Smart überrascht das nicht. Das Stammesmitglied der Fort McDermitt Paiute and Shoshone hat schon viele Minenprojekte in seiner Heimatregion erlebt. Eine große Rolle hätten die Bedenken der amerikanische Ureinwohner dort nur selten gespielt. „Unsere Interessen zählen nicht viel“, sagt er.

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Smart erinnert sich noch gut an das Ende eines anderen Bergbauprojekts. Vor knapp 30 Jahren wurde nur wenige Autominuten vom Reservat seines Stammes entfernt die Arbeit in einer Quecksilbermine eingestellt. Der Großteil des Abbaus lag damals schon Jahrzehnte zurück. Doch bis heute ist der Boden und das Trinkwasser im Reservat mit Giftstoffen wie Arsen belastet – ein Nebenprodukt, das auch beim Lithium-Abbau anfallen wird. Dass die Krebsraten im Reservat ungewöhnlich hoch sind, führen viele Stammesmitglieder auf die Mine zurück. Entsprechend besorgt ist Smart, dass jetzt erneut ein Großprojekt in unmittelbarer Nähe zu seiner Heimat entstehen soll. „Der Wind wird alle möglichen Stoffe wieder in unsere Richtung tragen“, sagt er. 

Edward Bartell in seinem Pickup: Er ist wenig begeistert von den Bauarbeiten für die Thacker-Pass-Lithium-Mine, die unweit seiner Ranch starten sollen Quelle: David Calvert für WirtschaftsWoche

Smart spricht nicht für den ganzen Stamm. Viele Mitglieder sehen im Thacker-Pass-Projekt auch eine Chance. 1000 Arbeiter werden in den kommenden Jahren gebraucht, um die Mine und die angeschlossenen Werke zu errichten. Das bietet Chancen für die Bewohner des Reservats. Wenn der Betrieb einmal aufgenommen wurde, sind immer noch 500 Jobs zu vergeben. Auch ist die Stammesführung froh, endlich das neue Gemeindezentrum mit angeschlossenem Kindergarten zu bekommen. Doch für Smart reicht das nicht. Die Führung hätte sich kaufen lassen, glaubt er.

Allein ist er mit seiner Meinung nicht. Im Reservat hängen gut sichtbar Protestplakate an Zäunen, die sich gegen die Lithium-Mine aussprechen. Der Grund für die Ablehnung ist nicht nur die mögliche Gesundheitsbelastung. Auch die Geschichte des Standorts der geplanten Mine macht ihnen Sorgen. 1865, kurz nachdem Nevada als Staat in die USA aufgenommen wurde, massakrierte die amerikanische Kavallerie dutzende Paiute. Laut Stammesmitgliedern fand das Gemetzel auf dem Thacker Pass statt. Spätestens seitdem hat der Ort für den Stamm eine enorme kulturelle Bedeutung. Da hilft es auch nichts, dass die Regierung versichert, der Überfall habe 15 Meilen vom Bergbauprojekt entfernt stattgefunden.

Protestplakate gegen die Thacker-Pass-Lithium-Mine Quelle: David Calvert für WirtschaftsWoche

Doch trotz dieser Einwände wird nun gebaut. Und das schafft ganz neue Probleme. Denn 1000 Jobs auf einer Großbaustelle müssen erst einmal besetzt werden. Keine leichte Aufgabe. Denn in Humboldt County, dem Standort der Mine, ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Im Januar suchten hier nur 319 Menschen einen Job. Deshalb arbeitet der Generalunternehmer derzeit daran, genug Arbeitsplätze in die Region zu bekommen. Doch es fehlt an Unterkünften. In Orovada, Bevölkerungzahl: 69, will man auf jeden Fall verhindern, dass 1000 Bauarbeiter über den Ort hereinbrechen. Also wird wahrscheinlich Winnemucca herhalten müssen – die rund 45 Meilen entfernte Hauptstadt des Landkreises. Bevölkerung: 8603.

Tausend Männer mehr

„Natürlich macht uns das Sorgen“, sagt Rich Stone. Der Bürgermeister von Winnemucca  sitzt in seinem holzvertäfelten Büro im Rathaus der Stadt. Eine Holzplakette mit der Aufschrift „Friendlyness in an old Nevada Tradition“ hängt gegenüber seinem Schreibtisch. Trotzdem wird er ernst, wenn er über die Probleme spricht. 

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1000 Arbeiter, größtenteils Männer, die vorübergehend in die Stadt kämen, könnten durchaus Probleme schaffen, sagt Stone. „Nevada ist ein 24-Stunden-Staat“, erklärt er. An jeder Ecke, selbst in Kleinstädten wie Winnemucca, gibt es Casinos und Bars, die rund um die Uhr geöffnet hätten. Das könne zu Schwierigkeiten führen. Grundsätzlich sei er jedoch froh, dass es nun endlich losgehe. Lithium Americas sei bislang ein hervorragender Partner gewesen. Und überhaupt habe man gute Erfahrungen mit der Bergbaubranche gemacht. „Die Mine wird einen großen Einfluss auf unsere Gemeinde haben“, so Stone.

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