Acht Jahre altes Krisenszenario Der Staat kannte das Risiko einer Hochwasserkatastrophe

Hochwasser sind immer wieder eine Bedrohung. In Deutschland und dem angrenzenden Ausland regnet es regelmäßig, zudem ist die Region durch viele kleine Flüsse und Mittelgebirge mit steilen Hängen durchzogen. Quelle: dpa

Ein Krisenszenario mit extremen Überschwemmungen im Bundesgebiet hat die Bundesregierung bereits von Experten durchspielen lassen. Doch aus dem Strategiepapier haben Zuständige zu wenig gelernt.

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Vermisste und Tote, überflutete Häuser und gebrochene Dämme. Der Starkregen hält Teile Deutschlands fest im Griff und sorgt vielerorts für extreme Überschwemmungen. Was sich liest wie eine Zusammenfassung der dramatischen Szenen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, findet sich bereits in dem Strategiepapier „Risikoanalyse Bevölkerungsschutz Bund“ (Bundestagsdrucksache 17/12051), das die Bundesregierung vor rund acht Jahren dem Bundestag präsentierte. Sie ließ darin von Experten mögliche Umweltkatastrophen simulieren und durchspielen, wie das Land darauf am besten reagieren sollte. Darin: Das Krisenszenario eines Hochwassers, ausgelöst durch Schmelzwasser aus den Mittelgebirgen, gepaart mit starken Regenfällen. Es liest sich erschreckend aktuell – zumal wenn man bedenkt, dass womöglich manch ein Schaden hätte verhindert werden können, wenn einige Empfehlungen zügiger umgesetzt worden wären.

Krisenszenario Hochwasser

Hochwasser sind immer wieder eine Bedrohung. In Deutschland und dem angrenzenden Ausland regnet es regelmäßig, zudem ist die Region durch viele kleine Flüsse und Mittelgebirge mit steilen Hängen durchzogen. Das macht unterschiedliche Arten des Hochwassers möglich. Flusshochwasser treten im Sommer demnach natürlicherweise durch eine lang anhaltende, feuchte Witterung auf, sodass sich andauernde Regengüsse über große Flächen ergießen.

Und genau dies heben die Autoren in der Untersuchung hervor: Hochwasser seien Naturereignisse und könnten daher einfach nicht verhindert werden. „Es gibt keinen 100-prozentigen Hochwasserschutz“, heißt es in dem Papier. Einiges lernen lässt sich daraus dennoch. Die Autoren listen im rund 30-seitigen Bericht mögliche Folgen aus einer Überschwemmungskatastrophe auf.

Die Sachverständigen gehen in ihrer Risikoanalyse von einem langwierigen Hochwasser aus, das gleichzeitig in den Flüssen Donau, Rhein, Ems, Weser, Elbe und Oder sowie in den Nebenflüssen auftritt. Mit verheerenden Folgen: Das zusätzliche Wasser überschwemmt angrenzende Flächen. Deiche und Spundwände werden vielfach überflutet und zum Teil beschädigt. Es sei mit Toten und Verletzten zu rechnen.

Krisenmanagement Hochwasser

Der Hochwasserschutz basiert in Deutschland auf einem 3-Säulen-Konzept. Neben der Vorsorge, wozu etwa die Verhaltensvorsorge gehört, spielt der technische Hochwasserschutz, also der Bau von Deichen, Mauern, Talsperren sowie die Stärkung des natürlichen Wasserrückhaltes eine wichtige Rolle. Dabei werden gezielt Freiflächen eingesetzt, die überschwemmt werden können. Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2007 hat zudem die Risikobewertung sowie die Erstellung von Karten und Managementplänen für Hochwasser erleichtert. Trotzdem gebe es noch Nachholbedarf beim Hochwasserrisikomanagement, heißt es im Bericht.

Die Autoren fordern konkret

  • die Verbesserung der Risikokommunikation und eine Stärkung der privaten Eigenvorsorge
  • die Verbesserung des Schaden-Monitorings und der Schadensanalyse
  • die Unterstützung der Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene

Das habe man zum Teil erreicht, sagt Benno Fritzen, ehemaliger Vorsitzender des Arbeitskreises Zivil- und Katastrophenschutz der deutschen Berufsfeuerwehren und bis 2017 Chef der Feuerwehr Münster. Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten seien beispielsweise erstellt worden. Aber es scheitere bis jetzt an der Risikokommunikation mit der Bevölkerung. „Politiker müssen der Bevölkerung vermitteln, welche Risiken bestehen, wie sie sich darauf vorbereiten und was sie selbst tun können.“ Es reicht schließlich nicht, eine Warnung herauszugeben – wenn die Menschen nicht wissen, was dann zu tun ist. Die Bevölkerung sei zu schlecht informiert, so Fritzens Eindruck.

Und das gilt vor allem dort, so zeigt sich nun auch an kleineren Flüssen und Bächen, wo sich die Menschen des Risikos eines Hochwassers kaum bewusst sind. „Wir sind auf heftige Ereignisse vorbereitet.“, sagt Fritzen. „Wenn jedoch ein Starkregen wie der aktuelle eintritt, überschreitet das die Möglichkeiten der lokalen Einsatzkräfte. Dann wird eine überörtliche Unterstützung und Koordination erforderlich.“ Während das in den Ländern überwiegend gut funktioniere, hake es aber noch zu oft bei länderübergreifenden Ereignissen und Maßnahmen. „Eine solche bundesweite „Einsatzleitung“ gibt es leider nicht. Das ist ein großer Mangel.“

Es bleibt nicht folgenlos

Im Krisenszenario ist das Leben der Bevölkerung direkt betroffen

  • durch Schäden an Wohngebäuden, wobei nicht alle die Kosten des Wiederaufbaus selbst tragen könnten
  • durch lang anhaltende, großflächige Stromausfälle, da einige Kraftwerke heruntergefahren werden müssten. Andere könnten nicht mehr über den Landweg mit Brennstoffen versorgt werden. Dies könne aber zum Teil durch das europaweite Verbundnetz aufgefangen werden.
  • durch lokale Stromausfälle oder das Eindringen von Wasser in Infrastrukturen, wodurch es kurzfristig zu Ausfällen im Telefonnetz kommen könne
  • durch Verkehrseinschränkungen an Flughäfen, Häfen, über die Schiene und Straße

Auch wenn das Krisenszenario stark an die aktuelle Situation erinnert – der entscheidende Faktor dort ist ein anderer: Riesige Schneehöhen, ausgelöst durch eine lange Kälteperiode treffen auf Tauwetter. Kombiniert mit warmer Luft und starkem Regen, kommt es zu einer massiven Schneeschmelze. Doch auch tiefer gelegene Gebiete können das zusätzliche Wasser nicht aufnehmen, es hat bereits viel geregnet und der Boden ist gesättigt. Ganz anders dagegen ist die Situation jetzt: Lang andauernder Starkregen hat die aktuellen Überschwemmungen ausgelöst. Auch wenn die Wassermassen über hundert Tote forderten, Häuser und ganze Staudämme unter sich begruben, dürfte sich die aktuelle Situation deutlich schneller bessern als im Krisenszenario. Dort treten erhöhte Wasserpegel über einen zweimonatigen Zeitraum auf.

Folgen für die Wirtschaft

Im Krisenszenario prognostizieren die Autoren extreme Schäden für die deutsche Wirtschaft. Die entstandenen Kosten würden für die öffentliche Hand einen so „großen, überregionalen bis bundesweiten Umfang“ erreichen, dass der Bund kurz- bis mittelfristig begrenzte Finanzmittel zur Verfügung stellen müsste. Demzufolge müsste ein Nachtragshaushalt auf Bundesebene verabschiedet werden. Zudem könnte ein EU-Hilfsprogramm in Anspruch genommen werden.

Betroffene Unternehmen könnten die entstandenen Kosten nicht aus eigener Kraft tragen und hätten mittel- bis längerfristigen Umsatzausfälle zu erwarten. Viele Firmen wären dann von der Insolvenz bedroht oder wären bereits insolvent. Auch überregionale Lieferketten wären gefährdet, es drohe eine Rezession. Insgesamt seien bis zu 400.000 Haushalte betroffen. Rund ein Prozent der 41,5 Millionen Haushalte In Deutschland (Stand 2019) litten also unter den volkswirtschaftlichen Folgen.

Konkret rechnen die Autoren für die private Wirtschaft mit Engpässen

  • durch Schäden an Betriebsstätten
  • durch wirtschaftliche Einbußen bei der wirtschaftlichen Leistung
  • im Tourismus. Weniger Menschen würden in betroffene Gebiete reisen.

Experte sieht Handlungsbedarf

Deiche werden, auch in Deutschland, seit 1000 Jahren gebaut. Der Einsatz zur Freihaltung von Überschwemmungsflächen war schon in den Preußischen Gesetzen von 1905 festgelegt. Trotzdem verdeutlichen zahlreiche Hochwasserereignisse, dass die Maßnahmen immer wieder angepasst werden müssen, je mehr Menschen in bestimmten Regionen leben und je mehr sich auch die dortige Industrie verändert. Starkregen sei im Vergleich zu Hochwassern ein neueres Phänomen, sagt Fritzen. Aktuell wird aber erforscht, welche Folge er für Deutschland habe und wie auch der Katastrophenschutz darauf besser reagieren kann. Diesen Erkenntnissen müssten dann aber Taten folgen – etwa Investitionen an der richtigen Stelle oder Schulungen, um eingespielte Prozesse neu auszurichten.

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