Chefklimatologe warnt „Firmen spüren den Schmerz der Hitze noch nicht genug“

Die Hitzewelle hat Deutschland erreicht. Die Auswirkungen merken Unternehmen laut Klimatologe Ernst Rauch bisher kaum. Quelle: imago images

Wird die Hitze zur Gefahr für die deutsche Volkswirtschaft? Der Chefklimatologe des Versicherers Münchener Rück erklärt, warum finanzielle Gefahren bisher kein Umdenken bei Unternehmen gebracht haben – und weshalb der große Schaden noch immer ausbleiben dürfte. Zumindest für den Moment.

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WirtschaftsWoche: Herr Rauch, Sie befassen sich mit extremen Wetterlagen und den ökonomischen Gefahren, die davon ausgehen. Ist die aktuelle Hitzewelle besonders schlimm für die Wirtschaft?
Ernst Rauch: Man muss geographisch differenzieren. Es stimmt, dass wir in Südeuropa, insbesondere in Spanien und Portugal, aber auch im westlichen Teil Frankreichs und in Großbritanniens mancher Orts neue Temperaturrekorde sehen. Wir erleben allerdings gerade keine Hitzewelle, die ganz Europa betrifft.

Dennoch gibt es hierzulande Sorgen: Wassermangel, leere Baustellen, verdorrte Ernten, sinkende Produktivität der Volkswirtschaft.
In Deutschland haben wir von dieser Hitzewelle im Vergleich zu unseren südlichen und westlichen Nachbarn relativ wenig mitbekommen. Natürlich haben wir heiße Sommertage mit Temperaturen von 34 bis 36 Grad. Aber das ist weit entfernt von dem, was die Menschen in Spanien und Portugal erleben. Dort sehen wir tatsächlich lokal Wetterextreme, diese sind aber nicht auf ganz Europa übertragbar. Die Situation heute in Deutschland ist nicht mit dem Rekordjahr 2003 vergleichbar. Damals starben – von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – rund 70.000 Menschen an den Folgen einer lang anhaltenden Hitzewelle in Deutschland und Europa und es entstanden Schäden in Milliardenhöhe.

Während dieser Hitzewelle mussten Kraftwerke herunterfahren, Flüsse führten zu wenig Wasser für die Binnenschifffahrt, Ernten fielen aus. Sowas müssen wir aktuell nicht befürchten?
Das lässt sich auf das ganze Jahr gesehen noch nicht sagen, aber zumindest nicht jetzt sofort. Am Mittwoch im Laufe des Tages werden die Temperaturen vielerorts sinken und die Lage wird sich entspannen.

Ernst Rauch (60) ist Geowissenschaftler und Chef-Klimatologe des Rückversicherers MunichRe. Quelle: Imago

Zur Person

Also einfach einmal tief durchatmen und die Ruhe bewahren?
So würde ich das auch wieder nicht sagen. Hitzeperioden und Dürren gehen statistisch meist zusammen, sodass wir etwa in der Landwirtschaft bereits jetzt deutliche Probleme erkennen können. Auch wirtschaftliche Schäden etwa durch Niedrigwasser im Rhein lassen sich für dieses Jahr nicht ausschließen. 2018 hat es eine ähnliche Situation schon einmal gegeben. Die Logistik der anliegenden Industrie auf dem Fluss war eine Zeitlang massiv gestört. Mit enormen Folgen, weil die Unternehmen Waren und Güter nicht mehr transportieren konnten.

Die IHK warnt aktuell erneut genau vor solch einem Zustand. Diesmal können die Firmen allerdings wegen Fahrermangels nur begrenzt auf die Straße und wegen kaputter Bahn-Infrastruktur nur begrenzt auf die Schienen ausweichen.
Dieses mögliche Szenario zeigt, wie schlecht unsere Infrastruktur auf die Klimakrise vorbereitet ist. Aber wie gesagt: Noch sind wir nicht an diesem Punkt. Weder fehlt soviel Niederschlag wie im Jahr 2018, noch ist es aktuell flächendeckend so heiß wie damals. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der Klimawandel es wahrscheinlicher macht, dass solche Hitzewellen in Zukunft regelmäßiger, häufiger und intensiver vorkommen. Gesellschaftliche wie ökonomische Schäden werden also wachsen. Das antizipiert die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten. Trotzdem sind wir immer noch nicht gut genug vorbereitet, etwa beim angesprochenen Ausbau der Infrastruktur. Ein anderes Beispiel wäre der vermehrte Einsatz von hitzeresistenten Saatgut. Da passiert noch immer viel zu wenig.

In der Hitze verdorrt das Gras, und auch die Weizen- und Maisfelder könnten weniger Ertrag bringen, warnt Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbands. Er warnt: Wenn Europa weniger erntet, führt das zu Hunger.
von Jacqueline Goebel

Warum?
Weil die Unternehmen bisher den ökonomischen Schmerz noch nicht genug gespürt haben und trotzdem Geld für die Anpassung an die Erderwärmung ausgeben sollen. Die Gefahr und die Kosten der Hitze und Wetterextreme wachsen schleichend. Es ist ein wenig wie mit dem Frosch im Topf, der seine Situation erst erkennen kann, wenn das Wasser schon kocht.

Sie als Rückversicherer erinnern den Frosch zweimal pro Jahr mit einem Report und in täglichen Kundengesprächen an das kochende Wasser…
Das tun wir, weil das Bewerten und „Managen“ des entstehenden Risikos Teil unseres Geschäftsmodells und damit unserer DNA ist. Industrieunternehmen wiederum haben eine andere DNA. Dort gibt es zahlreiche andere Risiken, die jeweils unmittelbarer erscheinen und deshalb höhere Priorität bekommen. Wir möchten mit unseren Daten Transparenz über die tatsächlichen und zu erwartenden Risiken und Kosten von Naturkatastrophen geben.

Dann wiederholen Sie doch hier einmal diese Details.
Wir differenzieren erst einmal nach verschiedenen Gefahren-Typen – Überschwemmungen, Hagel, Stürme, Dürre – und weisen dann auf klimabedingte Veränderungen bei der Eintrittswahrscheinlichkeit entsprechender Ereignisse hin. Die Sturzflut im Ahrtal war im vergangenen Jahr ein mahnendes Beispiel für eine Naturkatastrophe, die der Klimawandel wahrscheinlicher macht. Mit einem neuen Rekordschaden, bei dem allein die Versicherungswirtschaft in Deutschland über acht Milliarden bezahlte, das Vierfache der bis dahin schlimmsten Überschwemmung. Dazu kommt ein volkswirtschaftlicher Schaden von rund 30 Milliarden Euro durch ein einziges Wetterereignis.

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Kann man die Zunahme von Hitzewellen ökonomisch vergleichen?
Auch hier steigen die finanziellen Schäden, sie lassen sich allerdings schwieriger ökonomisch bewerten. Es ist oft nicht direkt nachvollziehbar, ob jetzt die Hitze oder ein anderer Faktor dafür gesorgt hat, dass die Kosten für ein Unternehmen steigen. Insgesamt wächst die Vulnerabilität der Wirtschaft allerdings. Niedrigwasser treffen Lieferketten empfindlich, die Ausgaben für Energieverbrauch und Hitzeschutz steigen, die Produktivität geht zurück. Deswegen ergibt ja die Dekarbonisierung für die Wirtschaft eigentlich so viel Sinn, weil sie diese Prozesse abzuschwächen  hilft. Nur betriebswirtschaftlich hat sie für die Einzelunternehmen oft erst einmal keinen Sinn. Wir müssen lernen, dieses Dilemma besser aufzulösen. Es gilt, eine kurzfristige betriebswirtschaftliche Last jetzt in Kauf zu nehmen, um den großen volkswirtschaftlichen Schaden später zu verhindern.

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