Die Autoren dieses Gastbeitrags sind Florian Follert und Werner Gleißner. Follert ist Assistant Professor an der Privatuniversität Schloss Seeburg in Seekirchen/Salzburg, Österreich. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Unternehmensrechnung. Gleißner ist Professor für BWL, insbesondere Risikomanagement an der Technischen Universität Dresden sowie Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement (DGfKM).
Die Coronapandemie offenbart insbesondere in Deutschland gravierende Mängel in politischen Entscheidungsprozessen. Ein aktuelles Beispiel ist die zentrale Beschaffung von FFP2-Masken, deren Distribution durch Apotheken erfolgte und öffentlichkeitswirksam als „kostenlos“ bezeichnet wurde. Nun hat die Bundesregierung auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten Wieland Schinnenburg (FDP) bestätigt, dass die Aktion insgesamt Kosten von 2,5 Milliarden Euro verursacht hat.
Rund 35 Millionen Berechtigte aus der definierten Risikogruppe haben dabei je 15 Masken erhalten, der Marktpreis der Masken lag bei etwa 0,5 Milliarden Euro. Der überwiegende Teil der 2,5 Milliarden Euro, also etwa 80 Prozent, waren offenbar Transaktionskosten. Diese Transaktionskosten verteilten sich auf Druck und Verteilung der Berechtigungsscheine, deren Versendung an die Krankenkassen und die Distribution der Masken durch die Apotheken. Die Apotheken erhielten anfangs 6,90 Euro, später 3,90 Euro pro Maske.
Das primär verantwortliche Bundesgesundheitsministerium hat dabei eine zweistufige Entscheidung getroffen: Erstens hat es entschieden, zum Schutz von 35 Millionen besonders gefährdeten Bürgern diesen zur Risikoreduzierung jeweils 15 FFP2-Masken zukommen zu lassen. Zweitens hat es entschieden, den oben skizzierten Weg bei der Distribution zu beschreiten.
Mangelnde Abwägung von Alternativen
Es ist offensichtlich, dass der überwiegende Teil der Gesamtkosten aus dem zweiten Teil der Entscheidung, also der Wahl des Distributionsweges, resultiert. Der hier vorliegende Fall ist zwar in den Auswirkungen weniger schwerwiegend als etwa das Versagen der europäischen Kommission im Rahmen der Beschaffung der Impfstoffe, aber im Hinblick auf den zugrundeliegenden Entscheidungsfehler möglicherweise sogar noch beeindruckender.
Der Fehler ist schon in einer früheren Phase des Entscheidungsprozesses aufgetreten. Grundsätzlich ergibt sich aus der Sicht eines Entscheiders der Wert einer Handlung stets vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Alternativen. Wenn man entschieden hat, jeweils 15 FFP2-Masken an bestimmte Personengruppen zu verteilen, muss man selbstverständlich über verschiedene Möglichkeiten nachdenken, wie man dieses Ziel erreichen kann. Offenkundig wurden andere Handlungsoptionen für die Verteilung der Masken als der oben beschriebene vom Gesundheitsministerium nicht berücksichtigt. Der entgangene Nutzen besserer Alternative ist nicht in das Kalkül eingeflossen.
So wäre es möglich gewesen, die FFP2-Masken einfach per Post an die Berechtigten zu schicken. Dieser Weg wäre schneller und wesentlich günstiger gewesen. Selbst wenn man einen Euro Versandkosten für jeden der 35 Millionen Berechtigten annimmt, käme man auf 35 Millionen Euro Gesamtkosten für die Aktion – ein verschwindend geringer Betrag im Vergleich zu den tatsächlich angefallenen Transaktionskosten von zwei Milliarden Euro bei dem von der Regierung gewählten Weg.
Auch für den Staat muss das Grundprinzip ökonomisch rationaler Entscheidungsfindung gelten: Ziele müssen mit möglichst geringem Aufwand erreicht werden. Denn die Ressource, die der Staat für sich in Anspruch nimmt – das Geld der Steuerzahler – ist knapp und darf nicht verschwendet werden.
Konkret heißt das: Für eine rationale Entscheidungsfindung müssen Ziel und Nebenbedingungen, unter denen dies erreicht werden soll, klar definiert werden. Sodann müssen bestehende Handlungsmöglichkeiten ermittelt und beurteilt werden. Ferner ist es erforderlich, den wahrscheinlichen Zielerreichungsgrad unterschiedlicher Handlungsoptionen sowie deren Kosten und Nutzen abzuschätzen. Auch müssen die Risiken berücksichtigt werden, die zu einer unplanmäßigen Entwicklung führen können. All dies ist im betrachteten Fall der Maskenbeschaffung nicht geschehen.
Vorbild Managerhaftung für die Maskenaffäre
Die beschriebenen Anforderungen an die Vorbereitung von Entscheidungen sind im Geschäftsleben von Unternehmern Gang und Gäbe. Wollen Vorstände nicht wegen Pflichtverletzung in Haftung genommen werden, müssen sie diese Anforderungen bei ihren unternehmerischen Entscheidungsfindungen erfüllen (Business Judgment Rule).
Die für Unternehmen in der Business Judgment Rule spezifizierten Anforderungen sollten in analoger Weise auch für die Entscheidungsträger in einem Staat gelten, dessen knappe Ressourcen möglichst optimal für die Erreichung von Zielen eingesetzt werden sollten, im aktuellen Fall für die Reduzierung der gesundheitlichen Risiken von Menschen. Erstaunlich ist jedoch, dass eine Haftung für Mandatsträger und korrespondierend dazu ein Haftungsfreiraum in Form einer Political Judgment Rule noch nicht einmal diskutiert werden.
Dabei führen die unnötig hohen Kosten bei der Maskenbeschaffung ebenso wie das Versagen der Politiker bei der EU-Impfstoffbeschaffung vor Augen, wie wichtig eine solche Political Judgment Rule wäre. Die Konsequenz ihres Fehlens ist in beiden Fällen ein an sich leicht vermeidbarer, aber letztlich gravierender Schaden für die Bevölkerung und die Steuerzahler.
Unzureichender politischer Sanktionsmechanismus
Verletzen Vorstände die Anforderungen der Business Judgment Rule, wird dies regelmäßig als Sorgfaltspflichtverletzung interpretiert und kann, wenn diese zu einem Schaden führt, zu Schadensersatzforderungen gegenüber den Vorständen führen. Viel spricht dafür, dass die gravierenden politischen Fehlentscheidungen auch darauf zurückzuführen sind, dass vergleichbare Sanktionsmechanismen auf politischer Ebene nicht existieren.
Der einzige Sanktionsmechanismus für Politiker ergibt sich über die Auswirkungen von Fehlentscheidungen auf die Wahlergebnisse. Die Praxis, auch der hier skizzierten Fälle, zeigt jedoch, dass ein derartiger Mechanismus in Anbetracht der oft durchaus komplexen Entscheidungsprobleme zu wenig sein dürfte. Ein Diskussionsprozess über die Etablierung einer Political Judgment Rule und zugehöriger Sanktionsmechanismen ist überfällig.
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